A. Bedeutung der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Aus dem Gebot der Rechtsicherheit (s. Art. 20 Abs. 3 GG) folgt, dass die Umsetzung des Gesetzes im Verwaltungsakt, der die Rechte und Pflichten des Bürgers konkretisiert, hinreichend bestimmt sein muss. Nur bestimmte Verwaltungsakte können befolgt und vollzogen werden und lassen die Grenzen der materiellen Bestandskraft erkennen. Aus dem Inhalt des Verwaltungsakts muss sich klar, vollständig und widerspruchsfrei ergeben, welche Behörde wem gegenüber was feststellt und von wem was verlangt. Dies gilt auch für Nebenbestimmungen (s. § 120 Abs. 2 AO).
B. Verhältnis zu anderen Regelungen
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für zahlreiche Verwaltungsaktstypen bestehen Spezialregelungen, die weiterreichende Bestimmtheitserfordernisse enthalten und den § 119 AO ergänzen, z. B. für den Abrechnungsbescheid (s. § 218 Abs. 2 AO), die Anordnung des dinglichen Arrests (s. § 324 Abs. 1 AO), den Aufteilungsbescheid (s. § 279 Abs. 2 AO), den Duldungsbescheid (s. § 191 Abs. 1 AO), den Feststellungsbescheid (s. § 179 Abs. 2 AO), den Haftungsbescheid (s. § 191 Abs. 1 AO).
C. Inhaltliche Bestimmtheit
I. Bestimmtheit des Inhaltsadressaten
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Verwaltungsakt muss zutreffend und eindeutig angegeben sein, gegenüber wem die Regelung des Einzelfalls ergehen soll, d. h. für wen er bestimmt ist (Inhaltsadressat) und was Gegenstand der Regelung ist (BFH v. 23.08.2017, I R 52/15, BFH/NV 2018, 401). Die zweifelsfreie Angabe des Inhaltsadressaten muss sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergeben (BFH v. 30.01.2018, VIII R 20/14, BFHE 260, 400). Steuerbescheide, die die Adressaten lediglich mit der jeweiligen Steuernummer benennen und weder eine (vollständige oder abgekürzte) Firmenbezeichnung noch eine Anschrift tragen ("leeres Adressfeld"), erfüllen nicht die Voraussetzungen an die hinreichende Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit ihres Inhaltsadressaten (BFH v. 23.08.2017, I R 52/15, BFH/NV 2018, 401). Zweifel können durch Auslegung behoben werden (BFH v. 29.08.2012, XI R 40/10, BFH/NV 2013, 182), bei der die Regelung des § 133 BGB entsprechend anzuwenden ist und auf den jeweiligen Empfängerhorizont abzustellen ist (BFH v. 04.09.2017, XI B 107/16, BFH/NV 2017, 1412; zur zweifelsfreien Bestimmung des Inhaltsadressaten im Einzelnen s. § 122 AO Rz. 9). Lässt sich der Inhaltsadressat eines Verwaltungsakts auch durch Auslegung anhand der dem Betroffenen bekannten Umständen (BFH v. 19.03.2009, IV R 78/06, BStBl II 2009, 803) nicht hinreichend sicher bestimmen, ist der Steuerverwaltungsakt nach § 125 AO nichtig (s. § 125 AO Rz. 3; BFH v. 30.09.2015, II R 31/13, BStBl II 2016, 637). Dagegen berührt die bloße Firmenänderung die Identität einer Gesellschaft nicht und stellt die Bestimmtheit des Inhaltsadressaten nicht in Frage (BFH v. 26.06.2008, IV R 89/05, BFH/NV 2008, 1984). Eine Heilung durch Berichtigung oder Klarstellung kommt nicht in Betracht (BFH v. 25.01.2006, I R 52/05, BFH/NV 2006, 1243 ff.). Ist der Inhaltsadressat zwar eindeutig bezeichnet, jedoch nicht der richtige Betroffene (Steuerschuldner), ist der Verwaltungsakt dagegen "nur" rechtswidrig aber nicht nichtig (BFH v. 03.05.2017, X R 12/14, BFH/NV 2017, 1485).
II. Bestimmtheit des Regelungsinhalts
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Aus dem Verwaltungsakt muss sich eindeutig und zweifelsfrei der Inhalt der Regelung, also das, was gewollt ist, ergeben. Abzustellen ist zunächst auf den Tenor (Ausspruch) des Verwaltungsakts. Nicht zum "Inhalt" des Verwaltungsakts i. S. des § 119 Abs. 1 AO gehören Datum, Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung, für die § 119 Abs. 1 AO keine Geltung hat. Die Begründung des Verwaltungsakts ist jedoch bei der Auslegung seines Inhalts ebenso zu berücksichtigen wie sonstige Schriftstücke, die dem Adressaten bekannt sind und auf die im Verwaltungsakt hingewiesen wurde (BFH v. 08.03.2017, II R 38/14, BStBl II 2017, 1005; zur Auslegung eines Haftungsbescheides BFH v. 27.08.2009, V B 75/08, BFH/NV 2009, 1964; zur Auslegung einer Billigkeitsentscheidung BFH v. 01.10.2015, X R 32/13, BStBl II 2016, 139). Für die Auslegung ist entscheidend, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH v. 08.02.2007, IV R 65/01, BFH/NV 2007, 1004 ff.); Unklarheiten gehen zulasten der Behörde (BFH v. 12.02.2014, II R 46/12, BStBl II 2014, 536 hinsichtlich eines Grunderwerbssteuerbescheids, bei dem ein anderer als der in dem Steuerbescheid genannter Erwerbsvorgang besteuert wird), wobei im Zweifel das den Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen ist (BFH v. 28.06.2005, X R 54/04, BFH/NV 2005, 1749 und BFH v. 11.07.2006, VIII R 10/05, BStBl II 2007, 96 zur Auslegung von Feststellungsbescheiden). Widersprechen sich Ausspruch und Begründung oder schließen sie sich aus, ist der Verwaltungsakt nicht hinreichend bestimmt (BFH 15.03.1985, VI R 30/81, BStBl II 1985, 581). Die Auslegung muss eindeutig ergeben, zu wessen Gunsten/Lasten welche Rechtsfolge bestimmt wird. Auch der zugrunde liegende Sachverhalt muss eindeutig erkennba...