A. Inhalt und Gegenstand der Regelung
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 130 Abs. 1 AO können rechtswidrige sonstige Steuerverwaltungsakte grundsätzlich zurückgenommen werden; Einschränkungen gelten jedoch aus Vertrauensschutzgründen nach § 130 Abs. 2 AO für rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte. § 130 Abs. 3 AO regelt die Rücknahmefrist, § 130 Abs. 4 AO die örtliche Zuständigkeit der für die Rücknahme zuständigen Finanzbehörde. Zum Begriff des sonstigen Verwaltungsakts wird auf s. Vor §§ 130–132 AO Rz. 4 ff., zum Begriff der Rechtswidrigkeit auf s. Vor §§ 130–132 AO Rz. 7 ff. und zum Begriff des begünstigenden, bzw. belastenden Verwaltungsakts auf s. Vor §§ 130–132 AO Rz. 10 ff. verwiesen. Wird der Verwaltungsakt erst nach seinem Erlass rechtswidrig, findet nicht § 130 AO, sondern § 131 AO Anwendung (von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 31).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Rücknahme eines rechtswidrigen sonstigen Verwaltungsakts kann auch während des Einspruchs- oder finanzgerichtlichen Verfahrens erfolgen (§ 132 Abs. 1 AO). Das FG kann jedoch nicht ohne Antrag des Klägers prüfen, ob die Verwaltungsbehörde nach § 130 Abs. 1 AO verpflichtet ist, den bestandskräftigen Verwaltungsakt aufzuheben bzw. darüber nach ihrem Ermessen zu entscheiden (BFH v. 20.12.2005, VII B 327/04, BFH/NV 2006, 707). Wird der zurückgenommene Verwaltungsakt durch einen neuen ersetzt, wird dieser Gegenstand des Verfahrens (s. § 365 AO Rz. 11, s. § 68 FGO Rz. 4, s. § 127 FGO). Bei einer Teilrücknahme bleibt der bestehen bleibende Teil des Verwaltungsakts Gegenstand des Verfahrens, sodass diese Vorschriften keine Anwendung finden (s. § 365 AO Rz. 13).
B. Rücknahme rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte (§ 130 Abs. 1 AO)
Tz. 3
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Mangels Vertrauensschutz können rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach der Regelung des § 130 Abs. 1 AO jederzeit ohne Weiteres ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind (AEAO zu § 130, Nr. 3). Die Rücknahme ist auch möglich, wenn der Verwaltungsakt nichtig ist (s. Vor §§ 130–132 AO Rz. 6). Sie ist zeitlich unbefristet möglich, bei Haftungs- und Duldungsbescheiden ist jedoch die Festsetzungsfrist nach § 191 Abs. 3 AO zu beachten (von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 27).
Tz. 4
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Die Rücknahme ist auch ohne Antrag des Betroffenen möglich. Dieser hat keinen Anspruch auf Rücknahme, sondern lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Prüfung. In die Ermessenserwägung ist einzubeziehen, dass der Betroffene den Verwaltungsakt hat unanfechtbar werden lassen (zur Ermessensausübung s. Rz. 25 ff.).
C. Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte (§ 130 Abs. 2 AO)
Tz. 5
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Das Vertrauensschutzinteresse des Betroffenen beschränkt die Rücknahme rechtwidriger begünstigender Verwaltungsakte. Voraussetzung für die Rücknahme ist, dass eine der Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO erfüllt ist, da in diesem Fall das Vertrauen nicht schutzwürdig ist.
I. Erlass durch sachlich unzuständige Behörde (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 AO)
Tz. 6
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Erlässt eine sachlich unzuständige Behörde den Verwaltungsakt, kommt eine Rücknahme nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO in Betracht, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig oder nichtig ist. Die sachliche Unzuständigkeit führt nach § 125 Abs. 1 AO nur dann zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts, wenn sie besonders schwer wiegt und offenkundig ist (s. § 125 AO Rz. 6). Im Übrigen ist der Verwaltungsakt nur rechtswidrig. Das Handeln eines nach dem Geschäftsverteilungsplan unzuständigen Beamten oder die Nichtbeachtung des Zeichnungsrechts fallen nicht unter die sachliche Zuständigkeit und begründen keine Rechtwidrigkeit des Verwaltungsakts (von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 48).
II. Erwirkung durch unlautere Mittel (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 AO)
Tz. 7
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Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt, ist eine Rücknahme nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO zulässig. Die Regelung entspricht der Änderungsvorschrift für Steuerbescheide nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2c AO (s. § 172 AO Rz. 37 ff.). Die Aufzählung der Regelung ist nicht abschließend, sondern beispielhaft. Erforderlich ist Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist.
Tz. 8
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Eine arglistige Täuschung liegt vor bei bewusster und vorsätzlicher Irreführung. Darunter fällt jedes vorsätzliche Verschweigen oder Vortäuschen von Tatsachen, durch das die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst oder ein Irrtum der Behörde aufrechterhalten wird (BFH v. 23.07.1998, VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433). Darunter fällt auch die pflichtwidrige Nichtangabe entscheidungserheblicher Tatsachen, wenn der Betroffene gegenüber der Finanzbehörde zur Mitteilung verpflichtet ist.
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Drohung ist psychischer Zwang. Der Bedrohte muss mit dem Übel rechnen, unabhängig davon, ob der Täter in der Lage ist, dieses auszuführen (von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 51). Die Androhung zulässiger Mittel, wie z. B. die Einlegung eines Rechtsmittels, ist keine Drohung i. S. des § 130 Abs. 2 Nr. 2 A...