A. Begriff der Gesamtrechtsnachfolge

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Gesamtrechtsnachfolge ist Nachfolge in die gesamte Rechtsstellung des Vorgängers. Ihr ist eigentümlich, dass das Vermögen "als Ganzes" auf den Rechtsnachfolger übergeht. Im Gegensatz zur Einzelrechtsnachfolge bedarf es keiner Übertragung der einzelnen zum Vermögen gehörenden Rechte und Pflichten. Die Gesamtrechtsnachfolge kann nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung stattfinden. Dabei kann die Gesamtrechtsnachfolge das gesamte Vermögen einer Person betreffen oder sich auf ein Sondervermögen beziehen.

 

Tz. 2

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Als Fälle der Gesamtrechtsnachfolge kommen u. a. in Betracht: Erbfolge (s. § 1922 BGB) und Nacherbfolge (s. § 2139 BGB), Gütergemeinschaft (s. § 1416 BGB) und fortgesetzte Gütergemeinschaft (s. § 1483 BGB), Nachfolge des Fiskus in Vereinsvermögen (s. § 46 BGB), Vermögensübergang bei Erlöschen einer Stiftung (s. § 88 BGB), Verschmelzung nach §§ 2ff. UmwG, Spaltung nach §§ 123ff. UmwG (nicht aber Ausgliederung nach § 123 Abs. 2 Nr. 3 UmwG, BFH v. 07.08.2002, I R 99/00, BStBl II 2003, 835; BFH v. 23.03.2005, III R 20/03, NJW 2005, 2799), Vermögensübertragung nach §§ § 174f. UmwG, Anwachsung des Anteils am Vermögen einer Personengesellschaft gem. § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB, sowie bei Abwachsung (Eintritt eines weiteren Gesellschafters in eine Personengesellschaft).

 

Tz. 3

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Gesamtrechtsnachfolge i. S. der Vorschrift liegt aber auch dann vor, wenn ein nur steuerrechtsfähiges Sondervermögen auf einen möglicherweise ebenfalls nur steuerrechtsfähigen Rechtsnachfolger übergeht.

 

Tz. 4

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Keine Gesamtrechtsnachfolge liegt in den Fällen der Umwandlung nach §§ 190ff. UmwG vor, weil es sich nur um sog. formwechselnde Umwandlungen handelt, bei denen die Identität des umgewandelten Unternehmens gewahrt bleibt (s. § 202 UmwG). Auch beim Erbschaftskauf liegt (s. §§ 2371ff. BGB) keine Gesamtrechtsnachfolge vor oder wenn es der Vornahme von Einzelübertragungsakten bedarf (so zum Verhältnis zwischen Vorgründungsgesellschaft und Gründungsgesellschaft im Körperschaftsteuerrecht, BFH v. 08.11.1989, I R 174/86, BStBl II 1990, 91). Auch der Vermächtnisnehmer, dem nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung gegenüber dem Beschwerten zusteht (s. § 2174 BGB), ist nicht Gesamtrechtsnachfolger.

B. Wirkung der Gesamtrechtsnachfolge

 

Tz. 5

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Mit dem Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge wächst der Rechtsnachfolger in vollem Umfang in die Stellung des Vorgängers hinein (für den Erben s. BFH v. 21.07.2016, X R 43/13, BFHE 255, 27). Das bedeutet, dass bei der Feststellung der Rechte und Pflichten, die den Rechtsnachfolger betreffen, so zu verfahren ist, als ob der Rechtsnachfolger mit dem Vorgänger identisch wäre, "eine Rechtsnachfolge also gar nicht eingetreten wäre". Ein steuerlich relevantes Verhalten des Rechtsvorgängers ist grundsätzlich dem Rechtsnachfolger zuzurechnen (zur Veräußerung von geerbten Unternehmensgegenständen durch den Erben s. BFH v. 13.01.2010, V R 24/07, BStBl II 2011, 241). Die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis, an dem der Rechtsvorgänger beteiligt war, gehen unverändert auf den Rechtsnachfolger über (§ 45 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Gesamtrechtsnachfolger wird anstelle des Vorgängers mit dem Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge Beteiligter (s. § 78 AO). Wegen des für Vollstreckungsmaßnahmen erforderlichen Leistungsgebots s. § 254 Abs. 1 Satz 3 AO. Wird der Fiskus Erbe eines Steuerschuldners, vereinigen sich Anspruch und Forderung in einer Person. Diese Konfusion bewirkt das Erlöschen des Anspruchs (BFH v. 07.03.2006, VII R 12/05, BStBl II 2006, 584).

 

Tz. 6

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Die Rechtsprechung macht von dem Grundsatz, dass der Gesamtrechtsnachfolger materiell- und verfahrensrechtlich in die abgabenrechtliche Stellung des Rechtsvorgängers einrückt (BFH v. 15.08.1983, IV R 99/80, BStBl II 1984, 31), insofern eine Ausnahme, als höchstpersönliche Verhältnisse oder Umstände, die unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verknüpft sind, von der Zurechnung ausgeschlossen sind (BFH v. 12.11.1997, X R 83/94, BStBl II 1998, 148: Realsplitting). Daher kann auch ein Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen (BFH v. 17.12.2007, GrS 2/04, BStBl II 2008, 608, m. w. N. auf die durch die Entscheidung gegenstandslos gewordene frühere Rechtsprechung).

 

Tz. 7

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Die Unanfechtbarkeit eines gegen den Rechtsvorgänger ergangenen Steuerbescheids muss der Gesamtrechtsnachfolger gegen sich gelten lassen (s. § 166 AO). § 166 AO enthält insoweit hinsichtlich des Gesamtrechtsnachfolgers keine eigenständige Regelung, denn dessen Einrücken in die verfahrensrechtliche Stellung des Vorgängers folgt bereits aus § 45 AO. § 166 AO erweitert aber die Bekanntgabewirkungen (s. § 124 AO) eines gegenüber dem Vorgänger ergangenen VA auf den Gesamtsrechtsnachfolger. Keine Wirkunge...

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