Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Verkündung des Urteils durch Verlesen der Formel am Schluss der mündlichen Verhandlung oder in einem besonderen Verkündungstermin soll die Regel bilden; die Beteiligten, mit denen mündlich verhandelt wird, können und müssen (BFH v. 17.08.2011, X B 122/10, BFH/NV 2011, 1912) erwarten, dass ihnen auch das Urteil mündlich bekannt gegeben und – in seinen Grundzügen – erläutert wird (s. auch § 311 Abs. 3 ZPO). Allerdings sind die Beteiligten in der Praxis nur selten an einer Verkündung interessiert. Die Verkündung erfolgt in öffentlicher Sitzung nach erneutem Aufruf der Sache bei Senatssachen durch den Vorsitzenden des Senats in Anwesenheit der übrigen an der Sitzung beteiligten Richter, einschließlich der ehrenamtlichen Richter, in Einzelrichtersachen durch den Einzelrichter. Die Verkündung kann unmittelbar nach der Beratung über das Urteil oder am Schluss der Sitzung erfolgen (BFH v. 25.09.2007, I B 72/07, BFH/NV 2008, 86; BFH v. 18.12.2007, XI B 178/06, BFH/NV 2008, 562; BFH v. 25.10.2012, X B 130/12, BFH/NV 2013, 228). Die Beteiligten müssen nicht anwesend sein. Nach § 104 Abs. 1 Satz 2 FGO kann die Verkündung auch in einem besonderen Verkündungstermin (§ 155 FGO i. V. m. § 311 Abs. 4 Satz 1 ZPO) erfolgen, der am Verhandlungstermin festgesetzt werden und nicht später als zwei Wochen nach der Verhandlung anberaumt werden soll. In diesem Termin bedarf es der Anwesenheit aller Senatsmitglieder nicht mehr. Von der Möglichkeit der Verkündung am Terminstage machen die FG gelegentlich, von der Anberaumung eines Verkündungstermins nur äußerst selten Gebrauch. Auch bei Verkündung ist das Urteil selbstverständlich zuzustellen; insoweit regelt § 104 Abs. 1 Satz 2 FGO an sich eine Selbstverständlichkeit.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
In der Regel machen die FG jedoch von der Ausnahmeregelung des § 104 Abs. 2 FGO Gebrauch. Danach ist statt der Verkündung die Zustellung des Urteils zulässig. In einem solchen Fall verkündet das Gericht am Schluss der mündlichen Verhandlung regelmäßig einen entsprechenden Beschluss. Ergeht ein solcher Beschluss nicht, kann darin nicht eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gesehen werden (BFH v. 01.08.1990, II B 36/60, BStBl II 1990, 987; BFH v. 15.07.2015, II R 33/14, BFH/NV 2015, 1697). Nach § 104 Abs. 2 FGO ist das Urteil binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übermitteln. Die Zwei-Wochen-Frist entspricht der des § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO. Wie dort genügt für die Einhaltung die Niederlegung der Urteilsformel, während die Niederlegung des vollständigen Urteils alsbald nachgeholt werden kann (st. Rspr., u. a. BFH v. 22.02.1980, VI R 132/79, BStBl II 1980, 398; BFH v. 26.01.2010, X B 147/09, BFH/NV 2010, 1081). Die Übermittlung kann grds. auch in elektronischer Form erfolgen; wegen des Unterschriftserfordernisses in § 105 Abs. 4 FGO dürfte aber Schriftform erforderlich sein. Bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO, § 90a FGO) bleibt zur Bekanntgabe durch Zustellung ohnehin keine Alternative. Dies stellt § 104 Abs. 3 FGO klar. Die Zustellung des verkündeten Urteils erfolgt nach vollständiger Abfassung in den Fristen des § 105 Abs. 4 FGO (s. § 105 FGO Rz. 15). Etwaige Mängel der Verkündung eines Urteils werden durch dessen nachfolgende fehlerfreie Zustellung geheilt (BFH v. 22.03.1993, XI R 23, 24/92, BStBl II 1993, 514; BFH v. 15.02.2012, IV B 126/10, BFH/NV 2012, 774). Die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist für sich allein ist kein in der Revision beachtlicher Verfahrensmangel. Aber auch s. § 116 FGO Rz. 20 ff. Zur Frist für die Übergabe des vollständigen Urteils s. § 105 FGO Rz. 15.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Erlassen bzw. ergangen ist das Urteil mit der Verkündung (BFH v. 06.12.2011, XI B 64/11, BFH/NV 2012, 747), bei Bekanntgabe durch Zustellung mit der Zustellung. Damit wird das Urteil wirksam und löst die Bindungswirkung nach § 318 ZPO i. V. mit § 155 FGO aus. Der Zustellung des vollständigen Urteils (einschl. Tatbestand und Entscheidungsgründe) bedarf es zur Ingangsetzung der Revisionsfrist (§ 120 Abs. 1 FGO). Vor der Bekanntgabe ist das Urteil zwar gefällt bzw. beschlossen, jedoch noch ein Internum des Gerichts; wer das Urteil fällen muss, ergibt sich bei Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung aus § 103 FGO. Erneute Beratung und Abstimmung, wenn Bedenken auftreten, ist so lange möglich, als das Urteil noch nicht verkündet oder zugestellt ist (aber auch s. § 103 FGO Rz. 4). Die Möglichkeit zur Änderung entfällt, sobald die Entscheidung verkündet ist (BFH v. 09.06.2011, XI B 67/11, BFH/NV 2011, 1714) oder der Tenor oder das vollständige Urteil der Geschäftsstelle übergeben ist (BFH v. 28.11.1995, IX R 16/93, BStBl II 1996, 142; BFH v. 30.12.2008, I B 171/08, BFH/NV 2009, 949; BFH v. 08.03.2011, IV S 14/10, BFH/NV 2011, 1161).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Nichtberücksichtigung eines nach der Beschlussfassung über das Urteil, aber vor dessen Verkünd...