Schrifttum

Rudloff, Die mündliche Verhandlung im Steuerprozeß, DStR 1984, 392;

Lemaire, Die drei Phasen der mündlichen Verhandlung – Hinweise und Tipps zum Ablauf, AO-StB 2002, 348.

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO regelt den Grundsatz der Mündlichkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens (s. Vor FGO Rz. 51). Die mündliche Verhandlung des Rechtsstreites vor dem Gericht (Senat, § 5 Abs. 3 Satz 1 FGO oder Einzelrichter, §§ 6, 79a Abs. 3 und Abs. 4 FGO) ist auch im finanzgerichtlichen Verfahren die Regel; sie dient der Verwirklichung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die persönliche Verhandlung des Gerichtes mit den Beteiligten bildet sowohl in Tatbestands- und Beweisfragen (§§ 92 Abs. 2, 81 FGO) wie hinsichtlich der rechtlichen Durchdringung der Streitsache erfahrungsgemäß eine unersetzliche Erkenntnisquelle. Die Unmittelbarkeit des Austausches von Tatsachen und Ansichten schafft eine Erörterungsdichte, wie sie das papierene oder elektronische Nebeneinander von Schriftsätzen nicht erzielen kann (Rudloff, DStR 1984, 392). Allerdings sind die Beteiligten, wie sich aus § 91 Abs. 2 FGO ergibt, nicht verpflichtet, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (beachte aber § 80 FGO). In derartigen Fällen ist der Grundsatz der Mündlichkeit gewahrt, wenn die ordnungsgemäße Ladung der Beteiligten festgestellt und entsprechend § 92 Abs. 2 FGO der wesentliche Inhalt der Akten vorgetragen wird.

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nicht obligatorisch ist die mündliche Verhandlung in Beschlusssachen (§ 90 Abs. 1 Satz 2 FGO; § 5 FGO Rz. 4; § 113 FGO; auch § 101 Abs. 3 VwGO; BFH v. 02.09.2008, X S 40/08, juris), so z. B. bei Entscheidungen über die Ablehnung von Gerichtspersonen (§ 51 FGO), die Verweisung an das zuständige Gericht (§ 70 FGO), die AdV (§ 69 Abs. 3 FGO) oder Anträge auf einstweilige Anordnungen (§ 114 FGO) und – vor dem BFH – über die Verwerfung der Revision als unzulässig (§ 126 Abs. 1 FGO; BFH v. 16.02.1967, V R 177/66, BStBl III 1967, 368) sowie über Beschwerden (§§ 128ff., 132 FGO) und NZB (§ 116 FGO; BFH v. 03.11.2010, X S 28/10, BFH/NV 2011, 203). Jedoch ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in all diesen Fällen zulässig (BFH v. 21.02.1979, VII B 28/78, BStBl II 1979, 392).

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ohne mündliche Verhandlung kann das Gericht – abweichend vom Grundsatz des § 90 Abs. 1 FGO – gem. § 90 Abs. 2 FGO entscheiden, wenn sämtliche Beteiligten (§ 57 FGO) zustimmen; es muss aber nicht. Im Revisionsverfahren vor dem BFH bedarf es nur des Einverständnisses der originär Beteiligten, nicht des beigetretenen BMF (BFH v. 11.11.2010, VI R 17/09, BFH/NV 2011, 503; BFH v. 11.11.2010, VI R 16/09, BFH/NV 2011, 501). Das geforderte "Einverständnis" muss vorher erteilt werden; es ist Prozesshandlung und daher bedingungsfeindlich und unwiderruflich (z. B. BFH v. 26.10.1970, III R 122/66, BStBl II 1971, 201; BFH v. 09.01.2006, XI B 176/04, BFH/NV 2006, 1105; BFH v. 19.04.2016, IX B 110/15, BFH/NV 2016, 1060) und muss ausdrücklich, klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden (z. B. BFH v. 21.05.2014, III B 3/14, BFH/NV 2014, 1389; BFH v. 12.10.2017, III B 32/17, BFH/NV 2018, 211; s. Vor § 40 FGO Rz. 5); deshalb ist ein unter Vorbehalt des Widerrufs erklärtes Einverständnis unwirksam (BFH v. 05.11.1991 BStBl II 1991, 425; BFH v. 09.08.1996, VI R 37/96, BStBl II 1997, 77). Dies gilt auch dann, wenn die Einverständniserklärung wegen (noch) fehlenden Einverständnisses anderer Beteiligter noch nicht "relevant" geworden ist (BFH v. 12.02.2007, XI B 123/06, BFH/NV 2007, 1152: Verzicht gilt nur für den Ehegatten, der ihn erklärt hat). Demnach ist der Verzicht unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung eines zuvor gestellten Beweisantrags unwirksam (BFH v. 12.06.2013, X B 37/12, BFH/NV 2013, 1592). Dem steht nicht entgegen, dass ein Beteiligter sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung grds. gegenständlich beschränken kann, z. B. indem er den Verzicht auf eine Entscheidung durch den Vorsitzenden bzw. den Berichterstatter anstelle des Senats (§ 79 a Abs. 3 und Abs. 4 FGO) oder aber allein auf eine Entscheidung durch den Senat beschränkt, sodass eine Entscheidung durch den Einzelrichter (§ 6 FGO) nicht ohne mündliche Verhandlung ergehen darf (BFH v. 20.06.2016, VI B 115/15, BFH/NV 2016, 1482). Nach den allgemeinen Grundsätzen ist auch die Erklärung einer Auslegung zugänglich (BFH v. 21.05.2014, III B 3/14, BFH/NV 2014, 1389; s. Vor § 40 FGO Rz. 9). So ist z. B. die Erklärung, "ein schriftliches Verfahren" durchführen zu wollen, als Einverständnis i. S. des § 90 Abs. 2 FGO auszulegen (BFH v. 09.09.2013, III B 26/13, BFH/NV 2014, 46). Die Verzichtserklärung setzt Postulationsfähigkeit voraus (BFH v. 14.05.2007, III B 98/06, BFH/NV 2007, 1528). Unwirksam ist auch ein Verzicht, der unter der Bedingung erteilt wird, dass eine außergerichtliche Einigung in bestimmten Streitpunkten erzielt wird (BFH v. 12.10.2017, III B 32/17, BFH/NV 2018, 211). Der Ver...

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