1 Sinn und Zweck der Bewertung
Rz. 1
Die Bewertung eines WG, d. h. die Beimessung eines monetären Wertes, ist nicht nur im allgemeinen Wirtschaftsleben von fundamentaler Bedeutung, sondern auch für Zwecke der Besteuerung. Ohne eine Bewertung ist die Festsetzung von Steuern denklogisch nicht möglich.
Rz. 2
In der Bewertungspraxis ergeben sich je nach Zweck der Bewertung (z. B. aus Verkäufer- oder Käufersicht) unterschiedliche Ergebnisse. Um jedoch aus steuerlicher Sicht eine einheitliche gesetzliche Grundlage zu haben, bedarf es der Rechtsnormen, die die Bewertung der jeweiligen Wirtschaftsgüter kodifizieren. Infolgedessen wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Bewertungsgesetz ins Leben gerufen, das insb. für die Vermögensteuer, die Erbschaft-/Schenkungsteuer, die Grundsteuer, die Gewerbekapitalsteuer sowie die Grunderwerbsteuer von Bedeutung ist bzw. war. Bis zum heutigen Tag ist hingegen die ertragsteuerliche Bewertung grds. am Handelsrecht ausgerichtet, das primär die Ausschüttungsbemessungsfunktion im Fokus hat.
Rz. 3
Immer dann, wenn die Besteuerung am Vermögen oder an der Substanz anknüpft, ist von Bedeutung, dass diese zu keiner verfassungswidrigen Privilegierung führt (BVerfG vom 07.11.2006, 1 BvL 10/02, BStBl II 2007, 192). So hat beispielsweise bis zum Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 die grundsätzliche Anknüpfung der Bewertung des BV an der Steuerbilanz zu hohen Verwerfungen geführt, insb. im Vergleich zu (nicht) börsennotierten KapG. Seitdem ist die Bewertung des BV sowie nicht börsennotierter KapG-Anteile am gemeinen Wert als sozusagen "steuerlichem Verkehrswert" ausgerichtet.
2 Anwendungshierarchie und Bedeutung
Rz. 4
Im Grundsatz sind die allgemeinen Vorschriften des Bewertungsgesetzes auf alle öffentlich-rechtlichen Abgaben anzuwenden, die durch Bundesrecht geregelt sind und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (§ 1 Abs. 1 BewG). Sind hingegen in anderen Steuergesetzen besondere Bewertungsvorschriften enthalten, kommen diese vorrangig zur Anwendung (§ 1 Abs. 2 BewG). Des Weiteren kommen die allgemeinen Bewertungsvorschriften nicht zur Anwendung, soweit im zweiten Teil des Bewertungsgesetzes besondere Bewertungsvorschriften enthalten sind (§ 1 Abs. 2 BewG).
Rz. 5
Die allgemeinen und besonderen Bewertungsvorschriften sind insb. für die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die Grundsteuer sowie die Grunderwerbsteuer von Bedeutung, spielen aber auch im Ertragsteuerrecht immer wieder eine wichtige Rolle (u. a. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ("verdeckte Gewinnausschüttung"), § 6 AStG und § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ("Wegzugsbesteuerung")).
3 Historische Entwicklung
Rz. 6
Die Kodifizierung erster Regelungen zur Wertermittlung finden sich in der Reichsabgabenordnung vom 13.12.1919 (RGBl I, 1993). Diese wurden um das erste Vermögensteuergesetz vom 08.04.1922 (RGBl I, 335) sowie das zweite Vermögensteuergesetz vom 19.12.1923 (RGBl I, 1205) ergänzt. Aufgrund z. T. unterschiedlicher Bewertungsregelungen in den jeweiligen Ländern wurde das Bewertungsgesetz vom 10.08.1925 (RGBl I, 214) eingeführt, mit dem das "Bewertungsvielerlei" ein Ende haben sollte. Das Ziel wurde jedoch nur bei der Vermögensteuer erreicht; bei den Realsteuern konnten die Länder weiterhin nach ihren eigenen Vorschriften verfahren.
Rz. 7
Nach der Überarbeitung des Bewertungsgesetzes 1925 durch das Bewertungsgesetz vom 22.05.1931 (RGBl I, 222) wurde das Ziel der Vereinheitlichung des Bewertungsrechts erst mit dem Reichsbewertungsgesetz vom 16.10.1934 (RGBl I, 1035) erreicht, da nunmehr auch die Realsteuern Grundsteuer und Gewerbesteuer erfasst wurden. Auf dieser Grundlage wurde dann erstmals eine allgemeine Feststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes auf den 01.01.1935 vorgenommen.
Rz. 8
Mit der Neufassung des Bewertungsgesetzes vom 10.12.1965 (BGBl I 1965, 1861) wurde dann der Grundstein für die Einheitsbewertung in der Bundesrepublik Deutschland auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 gelegt. Weitere Modifikationen gab es durch das Vermögensteuerreformgesetz vom 17.04.1974 (BGBl I 1974, 949), wonach auf die Einheitswerte 1964 ein Zuschlag von 40 % für Zwecke der Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Gewerbesteuer und selbst genutzten Wohnung vorzunehmen war, sowie durch den Einigungsvertrag vom. 31.08.1990 (BGBl II 1990, 889), der insb. die Bewertung von Vermögen in den neuen Bundesländern sowie die dortige Nichterhebung der Vermögensteuer regelte. Mit dem Steueränderungsgesetz 1992 vom 25.02.1992 (BGBl I 1992, 297) wurde die generelle Übernahme der Steuerbilanzwerte für Zwecke der Einheitsbewertung des BV angeordnet.
Rz. 9
Eine weitreichende Zäsur im Bewertungsrecht gab es durch das Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.1996 (BGBl I 1996, 2049) sowie das Gesetz zur Fortführung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590). Grundlage hierfür waren die Urteile des Bundesverfassungsgerichts jeweils vom 22.06.1995 zur Vermögensteuer (2 BvL 37/91, BStBl II 1995, 655) sowie zur Erbschaftsteuer (2 BvR 552/91, BStBl II 1996, 671). So wurde die Vermögensteuer ab dem 01.01.1997 und die Gewerbekapitalsteu...