Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 20
Das Erbschaftsteuergesetz kennt als Hauptsteuertatbestände die Erbschaft und die Schenkung. In beiden Fällen kommt es zu einem Rechtsträgerwechsel aufgrund eines unentgeltlichen Übertragungsaktes. § 1 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG schließlich hat als dritter Steuertatbestand die ergänzende Funktion, bei Fehlen eines rechtsfähigen Auflagenbegünstigten eine subjektive Steuerpflicht des Beschwerten zu fingieren, was in Folge zur Steuerpflicht der Zweckzuwendung führt. Der weitere und vierte gesetzliche Steuertatbestand ist schließlich der Familienstiftung vorbehalten. Mit der in § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG angeordneten Erbersatzsteuer wird ein Gesetzesauftrag erfüllt, der auf einer Fiktion basiert (unterstellter Generationenwechsel innerhalb von 30 Jahren). Die Ersatzerbschaftsteuer lässt keine konstitutiven Merkmale für das Erbschaftsteuerrecht erkennen und ist umgekehrt als "Ausreißer" im System des ErbStG zu qualifizieren; eigentlich ist die Erbersatzsteuer eine Vermögensteuer sui generis (dazu s. § 1 Rn. 18 m. w. N.).
Während bei der Erbschaft das ganze Vermögen des Erblassers auf den/die Erben übergeht, steht bei der Schenkung die Übergabe einzelner Vermögensgegenstände oder einzelner Vermögensgruppen (Wirtschaftseinheiten) im Vordergrund. In beiden Fällen ist der Erwerber bereichert. Insoweit knüpft die Erbschaftsteuer an die gesteigerte finanzielle Leistungsfähigkeit des Erwerbers an. Diesem Aspekt (zuletzt vom BVerfG im Beschluss vom 07.11.2006, DStR 2007, 235, zum Ausgangspunkt des Neubewertungsappells gemacht) ist es zu verdanken, dass der Vermögenszuwachs des Erwerbers erst nach Abzug des ggf. erforderlichen Aufwands ermittelt werden kann. Entscheidend ist dabei, dass der steuerliche Anknüpfungspunkt nicht das Vermögen des Übergebers (keine Nachlasssteuer), sondern die Bereicherung des/der einzelnen Erwerber/s ist. Die Einordnung der Erbschaft-/Schenkungsteuer als Personensteuer führt u. a. dazu, dass identisches Vermögen bei mehreren unentgeltlichen Übertragungen z. B. innerhalb einer Familie mehrfach dieser Steuer unterliegt. Ebenso kann es wegen des verschiedenen Charakters der betroffenen Steuern zu unterschiedlichen Wertansätzen kommen.
Soweit der Erbschaftsteuer eine Umverteilungsfunktion ("ius distributiva" nach Aristoteles) zukommen soll, ist die damit verbundene politische Botschaft wohl eher plakativer Art, als dass das tatsächliche Steueraufkommen diese Behauptung verifizieren könnte. Mit einem Steueraufkommen von ca. 8,6 Mrd. EUR in 2020 bei einem Gesamtsteueraufkommen von 740 Mrd. (knapp über 1 %) wird dieses Ziel kaum zu verwirklichen sein (so schon Tipke, StRO II, § 14, 1).