Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterziehungszinsen bei Wegfall der Steuerschuld
Leitsatz (redaktionell)
- Die Akzessorietät des Hinterziehungszinsenanspruchs schließt die Festsetzung von Zinsen für einen Schenkungssteueranspruch nicht aus, wenn der Steueranspruch im Rahmen des Zugewinnausgleichs rückwirkend weggefallen ist.
- Der rückwirkende Wegfall des Schenkungsteueranspruchs führt nicht zum Entfallen des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung.
- Die Unkenntnis der rechtlichen Verpflichtung zum Handeln, also der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens der Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG, ist nicht als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 StGB sondern als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln.
- Bei der Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes einer vollendeten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO sind die hinterzogenen Steuern zu verzinsen.
- Anders als Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe hindert das Vorliegen von persönlichen Strafaufhebung- oder Strafausschließungsgründen, wie etwa die Selbstanzeige nach § 371 AO, das Entstehen des Hinterziehungszinsanspruchs
Normenkette
ErbStG § 29 Abs. 1 Nr. 3; AO §§ 235, 370 Abs. 1; ErbStG § 30
Streitjahr(e)
2016
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Schenkungsteuer gemäß § 235 der Abgabenordnung (AO).
Die Klägerin ist die Ehefrau in zweiter Ehe des A (Zuwendender). Dieser ist B und war bis zum Jahr 1998 C der D. Im Zusammenhang mit dem Transfer von Kundenvermögen auf ausländische Konten trat er von diesem Posten zurück. Anfang des Jahres 1999 erging ihm gegenüber ein Strafbefehl wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Die Klägerin war bis zu ihrer ersten Heirat und der Geburt ihrer Tochter E.
Mit Schreiben vom 23. November 2015 teilte die Steuerfahndung bei dem Finanzamt dem Beklagten (das Finanzamt FA -) mit, im Rahmen eines steuerlichen Ermittlungsverfahrens seien im Kalenderjahr 2014 Feststellungen getroffen worden, die vermuten ließen, dass die Klägerin vom Zuwendenden diverse Zuwendungen erhalten habe. Hierbei handelte es sich um die Zuwendung eines Miteigentumsanteils von ½ an dem Grundstück F, die im Zusammenhang mit dem Erwerb des Grundstücks im Jahr 1995 erfolgte, die Zuwendung einer Bargeldsumme zum 1. Januar 2000 in Höhe von umgerechnet 1.800.000,-- € sowie die Übertragung des zweiten Miteigentumsanteils von ½ an dem Grundstück F im Jahr 2010.
Auf Anforderung des FA teilte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2015 mit, die fraglichen Zuwendungen seien Gegenstand eines im Jahr 2014 durchgeführten Zugewinnausgleichs gewesen. Am 11. Juli 2014 hätten die Ehegatten einen Ehevertrag geschlossen, durch den der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft zugunsten der Gütertrennung aufgehoben worden sei. Auf den daraufhin durchzuführenden Zugewinnausgleich zu ihren Gunsten seien die bereits erfolgten Zuwendungen – u. a. die Übertragung einer Bargeldsumme in Höhe von 1.800.000,-- € in 2000 zur Einzahlung auf ein Depot der G – angerechnet worden. Zum Nachweis wurde eine Kopie des notariellen Vertrages vom 11. Juli 2014 vorgelegt. Hinsichtlich der dort getroffenen Vereinbarungen wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 21. Dezember 2015 (Bl. 5 ff. der Schenkungsteuerakte) Bezug genommen.
Nach umfangreichem Schriftsatzwechsel vertrat das FA die Auffassung, hinsichtlich der Schenkungen sei zwar von einer (nachträglichen) Steuerfestsetzung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) abzusehen. Für den Zeitraum, in dem Schenkungsteuer zugunsten der Klägerin hinterzogen worden sei, seien aber Zinsen im Sinne des § 235 AO festzusetzen. Insoweit berief sich das FA auf das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 28. März 2012 (II R 39/10).
Mit Bescheid vom 18. August 2016 setzte das FA Zinsen für hinterzogene Schenkungsteuer in Höhe von 228.585,-- € fest. Dabei legte das FA einen zu verzinsenden (abgerundeten) Betrag von 311.000,-- € und einen Zinslauf von 147 Monaten zugrunde.
Hiergegen legte die Klägerin am 26. August 2016 Einspruch ein und begründete diesen wie folgt: Der Zinsbescheid sei rechtswidrig, da der verzinste Schenkungsteueranspruch nicht bestehe, sondern mit Durchführung des Zugewinnausgleichs “mit Wirkung für die Vergangenheit”, also rückwirkend (ex tunc) erloschen sei. Der Wortlaut des § 29 Abs. 1 ErbStG sei insoweit eindeutig. Daher könne auf die Steuerschuld bzw. deren Festsetzung auch nicht – wie vom FA erklärt – verzichtet werden. Nach dem rückwirkenden Wegfall der Steuerschuld sei eine Festsetzung von Zinsen nicht (mehr) zulässig. Insoweit werde auf die Kommentierung von Jülicher (in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Loseblatt Stand November 2017, § 29, Rdnr. 76) Bezug genommen. Entgegen der Ansicht des FA folge aus § 235 Abs. 3 AO nichts anderes, da ein Schenkungsteuerbescheid zu keinem Zeitpunkt erlassen worden sei und auch nicht fälschlicherweise nicht erlassen worden se...