Rz. 1
Die Vorschrift des § 9 ErbStG bestimmt den jeweiligen Entstehungszeitpunkt der Steuerschuld bei allen vier objektiven Steuertatbeständen und steht systematisch im Zusammenhang mit § 38 AO. Die Tatbestände, die die Steuerschuld begründen, sind für den Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer in den §§ 1 bis 8 ErbStG geregelt.
Gemäß § 38 AO entsteht die Steuerschuld, sobald der jeweilige Steuertatbestand gem. §§ 1 bis 8 ErbStG, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, verwirklicht ist. Die Steuerentstehung ist damit sowohl von der Steuerfestsetzung durch das Finanzamt als auch von der Kenntnis der Behörden und/oder des Steuerpflichtigen von dem steuerpflichtigen Vorgang grundsätzlich unabhängig. § 9 ErbStG konkretisiert für den Bereich des Erbschaftsteuerrechts, wann die Tatbestandsverwirklichung für die Erwerbe der Erbschaftsteuer gegeben ist (s. Hannes/Holtz in M/H/H,§ 9 Rn. 2 und Fischer in F/P/W, § 9 Rn. 2) und stellt eine Spezialregelung zu § 38 AO dar.
Rz. 2
Der durch § 9 ErbStG determinierte Stichtag ist von großer Bedeutung für das Erbschaftsteuergesetz. Maßgebend für die Besteuerung ist die zu diesem Zeitpunkt geltende Gesetzesfassung. Spätere Gesetzesänderungen spielen für den bis dahin entstandenen Steueranspruch keine Rolle, sofern vom Gesetzgeber keine zulässige echte Rückwirkung vorgesehen ist (vgl. Art. 3 ErbStRG vom 24.12.2008, BGBl I 2008, 3018 sowie Gleichlautende Ländererlasse vom 23.02.2009, BStBl I 2009, 446). Dies war beispielsweise der Fall für bestimmte Erwerbe von Todes wegen, die zwischen dem 01.01.2007 und dem 31.12.2008 erfolgten. Dort hatten die Steuerpflichtigen sechs Monate lang ein Wahlrecht, ob das ErbStG a. F. oder das ErbStRefG auf den Erbschaftserwerb angewendet werden sollte. Die Höhe des persönlichen Freibetrags richtete sich jedoch stets nach § 16 ErbStG in der bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Fassung (ErbStG a. F.). Für die Besteuerung bleiben im Übrigen die tatsächlichen Verhältnisse vom Stichtag der Steuerentstehung maßgebend. Damit können aufgrund der Maßgabe der Tatbestandsverwirklichung auch keine Sachverhalte schenkung- oder erbschaftsteuerrechtlich mit steuerrechtlicher Wirkung rückwirkend gestaltet werden (vgl. Fischer in F/P/W, § 9 Rn. 3).
Rz. 3
Der in § 9 ErbStG geregelte Entstehungszeitpunkt bestimmt nicht nur, auf welchen Stichtag der Erwerb nach § 11 BewG zu bewerten ist, sondern ist auch der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung über die beschränkte oder unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 ErbStG und die Einordnung des Erwerbs in die Steuerklasse nach § 15 ErbStG. Der Entstehungszeitpunkt ist außerdem maßgeblich für die Berechnung aller Fristen innerhalb des ErbStG, z. B. auch bei der Frage, ob Erwerbe gem. § 14 ErbStG zusammenzurechnen sind, oder für den nachträglichen Wegfall von Steuerbefreiungen (s. § 13 Abs. 1 Nr. 2, 3, 13, 16 Buchst. b ErbStG), für die Behaltensfrist in § 13a Abs. 5 ErbStG, für die Anwendbarkeit von § 27 ErbStG und für die Erhebung der Erbersatzsteuer bei Familienstiftungen. Auch der Stichtag der Wertermittlung nach §§ 11, 12 ErbStG richtet sich nach dem Tag der Steuerentstehung, was bei Wertveränderungen zwischen den Zeitpunkten der Steuerentstehung und der Steuerveranlagung Auswirkungen haben kann, wenn z. B. nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer eingetretene Wertverluste zwar den Wert für den Erwerber gemindert, nicht jedoch die Bemessungsgrundlage für die Steuerberechnung geschmälert haben. Es gilt stets das Stichtagsprinzip des § 9 ErbStG. Ggf. kann in solchen Fällen auf Billigkeitsmaßnahmen durch die FinVerw gehofft werden; hierauf besteht aber kein Anspruch. Verfahrensrechtlich hat der Entstehungszeitpunkt Auswirkung auf den Zeitpunkt der Festsetzungsverjährung. Man spricht daher auch vom sog. Stichtagsprinzip bei der Erbschaftsteuer. Stichtagsprinzip bedeutet auch, dass grundsätzlich Ereignisse nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung keinen Einfluss mehr auf die Höhe der Steuer haben können. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So können mit dem Erwerb im Zusammenhang stehende Kosten auch dann noch geltend gemacht werden, wenn sie nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung entstehen (s. § 10 Rn. 230 ff.).
Rz. 4
Für die Fristenberechnung gelten gem. § 108 Abs. 1 AO die Vorschriften des BGB (s. §§ 187ff. BGB). Gemäß § 187 Abs. 1 BGB wird bei einer Frist, für deren Anfang ein Ereignis maßgebend ist, der Tag des Ereignisses bei der Berechnung der Frist nicht mitgezählt.
A schenkt dem B am 14.05.2011 400.000 EUR. Alle weiteren Schenkungen, die der A an den B innerhalb eines Zeitraums bis einschließlich des 14.05.2021 (§ 188 Abs. 1 BGB) macht, sind gem. § 14 Abs. 1 ErbStG zusammenzurechnen.
Rz. 5
§ 9 ErbStG regelt nur den Zeitpunkt der Steuerentstehung. Die Fälligkeit des Steueranspruchs wird gem. § 220 Abs. 2 Satz 2 AO erst durch Bekanntgabe des Steuerbescheids geregelt.
Rz. 6
Während es bei Schenkungen unter Lebenden für die Verwirklichung des § 9 ErbStG auf die Ausführung der Schenkung (Zeitpu...