Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 1
Der Erwerb von Todes wegen nach § 3 ErbStG schließt in seinem Grundtatbestand (s. § 3 Abs. 1 ErbStG) an Rechtsbegriffe und -institute des Erbrechts (5. Buch des BGB) an. Demgegenüber sind in § 3 Abs. 2 ErbStG Hilfs- oder Ersatztatbestände geregelt, die an einen Erbfall anknüpfen, aber durch Sonderkonstellationen wie z. B. entgeltliche erbrechtliche Erwerbsvorgänge (s. § 3 Abs. 2 Nr. 4–7 ErbStG) gekennzeichnet sind.
Rz. 2
§ 3 ErbStG ist der erste Haupttatbestand ("erste Säule") des ErbStG und erfasst alle Erwerbsvorgänge von Todes wegen, während sich der zweite Haupttatbestand mit lebzeitigen unentgeltlichen Übertragungen auseinandersetzt (§ 7 ErbStG). Die Unterscheidung ist nicht immer einfach, wie die Schenkung auf den Todesfall, der Erwerb aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter oder auch die "Abfindungsfälle" anlässlich einer unentgeltlichen Übertragung belegen (s. Rn. 457 ff. und s. Rn. 480; aber auch s. § 7 Rn. 616 ff.). Die Zuordnung zu dem jeweiligen Haupttatbestand erfolgt nicht aufgrund der Rechtstechnik (Einzelrechtsnachfolge vs. Gesamtrechtsnachfolge), sondern aufgrund einer phänomenologischen Zuordnung: War der Tod einer Person der Auslöser für den Übertragungsvorgang, so liegt ein Erwerb von Todes wegen vor.
Rz. 3
Bei § 3 ErbStG handelt es sich um einen abschließenden Katalog von Steuertatbeständen (s. BFH vom 06.03.1991, BStBl II 1991, 412; s. a. Wälzholz in V/S/W, § 3 Rn. 2). Neben den abschließenden Erwerbstatbeständen des Abs. 1 existierten weitere erbschaftsteuerpflichtige Tatbestände in den Nrn. 2–4 sowie Abs. 2 (ebenfalls enumerativ aufgezählt). Im Umkehrschluss müsse dies nach Ansicht des BFH bedeuten, dass nicht in § 3 ErbStG genannte Erwerbstatbestände keinen Erwerb von Todes wegen darstellen können.
In einem in 2011 entschiedenen Fall hatte ein Erbprätendent im Rahmen eines Prozessvergleichs eine Abfindung vom Alleinerben für die Anerkennung von dessen Stellung als Alleinerbe erhalten. Diese Abfindungszahlung sei, so der BFH, nicht als Erwerb von Todes wegen zu qualifizieren. Aus diesem Grunde liege kein erbschaftsteuerpflichtiger Vorgang vor (s. BFH vom 04.05.2011, BStBl II 2011, 725).
Aufgrund des enumerativen Charakters der abgebildeten Erwerbstatbestände stellt das Erbrecht die Grundlage für den praxisgerechten Umgang mit § 3 ErbStG dar. Daher schließt sich an die einführende steuerliche Vorabcharakterisierung eine erbrechtliche Übersicht an, bevor die steuerspezifischen Detailfragen geklärt werden.
Rz. 4
Bei der Kommentierung der Grundtatbestände des § 3 Abs. 1 ErbStG steht die Einbeziehung des Erbrechts sowie der einschlägigen einkommensteuerlichen Auswirkungen im Vordergrund, um dem Leser einen geschlossenen, interdisziplinären Überblick zu verschaffen. Die Kommentierung der – weit weniger praxisrelevanten – Ergänzungstatbestände des § 3 Abs. 2 ErbStG folgt dem herkömmlichen Schema dieses Kommentars.
Rz. 5
Erbrechtliche Erwerbsfälle mit Auslandsberührung unterliegen nach dem deutschen internationalen Privatrecht dann § 3 ErbStG, wenn es sich beim Erblasser um einen deutschen Staatsbürger handelt (s. § 2 Rn. 14 ff. und s. Anhang 1 Rn. 1 ff.).
Rz. 6
Das ErbStG 2008 und das ErbStG 2016 brachten im Anwendungsbereich des § 3 ErbStG nur marginale Änderungen (Behandlung des "früheren" Erbersatzanspruchs eines nichtehelichen Kindes sowie die Komplettierung der Steuerpflicht aufgrund eines Bereicherungstatbestandes wegen beeinträchtigender Schenkungen, s. § 2269 BGB, § 3 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG). Auch die ErbStR haben hier keine Änderungen gebracht.
Rz. 7
Die integrierte Vorabkommentierung des Erbrechts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Erbrecht für das Erbschaftsteuerrecht eine nur vorherige Wirkung (Präzedenz) und keine vorrangige Wirkung (keine Prävalenz) hat. So weicht das ErbStG in einigen Anwendungsfällen vom ErbR ab (Hauptfälle: Vor-/Nacherbschaft sowie Beendigung der Zugewinngemeinschaft von Todes wegen).
Rz. 8–9
vorläufig frei