Dipl.-Finanzwirt Jörg Ramb
Rz. 5
Es werden nach dem persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser oder Schenker drei Steuerklassen unterschieden.
Der Steuerklasse I gehören neben dem Ehegatten alle Abkömmlinge in gerader Linie an (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Übersicht Steuerklasse I
Ehegatten und Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft |
bei einer im Zeitpunkt der Steuerentstehung wirksamen Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft i. S. d. § 1 LPartG. |
Kinder |
Eheliche, nichteheliche, Adoptiv- und Stiefkinder |
Abkömmlinge der Kinder und Stiefkinder |
Enkel, Urenkel usw., auch die eines adoptierten Kindes oder Stiefkindes |
Eltern und Voreltern bei Erwerben von Todes wegen |
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Rz. 6
Von Steuerklasse II werden folgende Erwerber erfasst:
Übersicht Steuerklasse II
Verwandte in gerader Linie |
Eltern und Voreltern bei Schenkung |
Verwandte in der Seitenlinie (§ 1589 Abs. 1 Satz 2 BGB) |
Geschwister: vollgebürtige, halbgebürtige (nur ein gemeinsamer Elternteil) und adoptierte Geschwister. Kinder von Geschwistern: Neffen und Nichten. |
nicht Verwandte |
Stiefeltern, Schwiegerkinder und Schwiegereltern, geschiedene Ehegatten |
Rz. 7
Die Steuerklasse III erfasst alle übrigen Erwerber, z. B. Pflegekinder und Pflegeeltern, Verlobte, Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften.
Rz. 8–9
vorläufig frei
Es soll ein Geldbetrag von 455.000 EUR im Wege einer Schenkung zugewendet werden.
Lösung:
Je nach der Steuerklasse ergibt sich folgende Steuer:
Erwerber |
Steuerklasse, § 15 ErbStG |
Persönlicher Freibetrag, § 16 ErbStG |
Steuersatz, § 19 ErbStG |
Schenkungsteuer |
Ehegatte |
I |
500.000 EUR |
- |
- |
Kind |
I |
400.000 EUR |
7 % |
5.140 EUR |
Enkel |
I |
200.000 EUR |
11 % |
28.050 EUR |
Neffe |
II |
20.000 EUR |
25 % |
108.750 EUR |
nichtehelicher Partner |
III |
20.000 EUR |
30 % |
130.500 EUR |
Das Beispiel zeigt, dass der Gesetzgeber die Erwerber der Steuerklasse I begünstigt, die der Steuerklasse II und III in der Gesamtschau von Freibetrag und Tarif benachteiligt.
Rz. 10
Mit der Besserstellung von Erwerbern der Steuerklasse I begünstigt § 15 Abs. 1 ErbStG die Weitergabe von Familienvermögen an Ehegatten sowie an vorhergehende und nachfolgende Generationen. Die Begünstigung dient dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und verwirklicht das Familienprinzip als Grenze für das Maß der Steuerbelastung. Danach ist die familiäre Verbundenheit der nächsten Angehörigen zum Erblasser oder Schenker erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen. Der steuerliche Zugriff ist bei Familienangehörigen derart zu mäßigen, dass diesen der Nachlass zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig steuerfrei zugutekommt.
Rz. 11
Auch wenn diese Abstufung der Steuerbelastung aufgrund des Familien- oder Verwandtschaftsprinzips zum Schutz von Ehe und Familie als begründet und gerechtfertigt anzusehen ist, erscheint sie angesichts der heutigen Rechtsanschauung und Lebenssituation zahlreicher Menschen nicht mehr zeitgemäß. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lebten im Jahr 2019 ca. 16 % der Paare in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Auch gibt es immer mehr Ehepaare ohne Kinder oder alternative Lebensformen (Alleinerziehende und Lebensgemeinschaften mit Kindern). Somit wird deutlich, dass heute Menschen in den unterschiedlichen Lebensformen familiäre Verantwortung füreinander übernehmen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Erblasser ohne Kinder wächst. Im Zuge der vorweggenommenen Erbfolge werden hier nicht selten komplizierte Gestaltungen, z. B. im Falle einer Unternehmensnachfolge, angewendet, die die steuerlichen Belastungsunterschiede minimieren sollen.
Rz. 12
Auch wenn § 15 ErbStG die Trennung der Steuerklassen II und III aufrechterhält, sollten der Wandel der Lebensverhältnisse und die damit einhergehende Rechtsanschauung in unserer Zeit zu einem weitergehenden Abbau der Besteuerungsunterschiede bei den Steuerklassen und den Steuersätzen führen. Vorzugswürdig wäre eine Erbschaft- und Schenkungsteuer mit einer breiten Bemessungsgrundlage bei angemessenen Freibeträgen und maßvoll niedrigeren Steuersätzen je nach Höhe des Erwerbs. Eine derartige Ausgestaltung würde es auch erlauben, die derzeit existierenden drei Steuerklassen zu einer Steuerklasse zusammenzufassen. Eine Vereinheitlichung der Steuerklassen führt zur Gleichbehandlung aller Erben. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass zunehmend Menschen auch außerhalb von Verehelichung und bei fehlendem familiärem Band in besonderer Weise und dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen. Die gesellschaftlichen Entwicklungen würden somit im Erbschaftsteuerrecht nachvollzogen und gleichzeitig komplizierte und intransparente Gestaltungsmodelle bei Vermögensübertragungen unter Nichtverwandten überflüssig machen.