Freibetrag bei Übertragung von Vermögen auf eine Familienstiftung
Unerheblich ist, ob die Person zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren ist, jemals geboren wird und tatsächlich finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen wird.
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden der Übergang von Vermögen auf Grund eines Stiftungsgeschäfts unter Lebenden. In diesem Fall ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist.
Sachverhalt: Klägerin errichtet Stiftung
Die Klägerin errichtete zusammen mit ihrem Ehemann die U Familienstiftung. Die Stiftung wurde mit Vermögen ausgestattet; der Steuerwert des übertragenen Vermögens betrug 443.051 EUR.
Im Stiftungsgeschäft und in der Stiftungssatzung wurde angegeben, die Familienstiftung habe zum Zweck die angemessene Versorgung der Klägerin und ihres Ehemannes, die angemessene finanzielle Unterstützung der Tochter der Stifter sowie die angemessene finanzielle Unterstützung weiterer Abkömmlinge des Stammes der Stifter, jedoch erst nach Wegfall der vorherigen Generation.
Das Finanzamt (FA) sah für Zwecke der Schenkungsteuer hinsichtlich der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung als „entferntest Berechtigten“ i. S. d. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG die in der Stiftungssatzung angeführten „weiteren Abkömmlinge“ an. Es ordnete den Erwerb nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG der Steuerklasse I („Abkömmlinge der Kinder und Stiefkinder“) zu, brachte nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG für die „übrigen Personen der Steuerklasse I“ einen Freibetrag i. H. v. 100.000 EUR in Abzug und setzte Schenkungsteuer i. H. v. 59.175 EUR fest. Der hiergegen erhobene Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
FG weist Klage zurück
Die Klage vor dem FG hatte keinen Erfolg. Das FG war der Auffassung, dass das FA bei der Bestimmung des „entferntest Berechtigten“ die Stiftungssatzung zutreffend dahingehend verstanden habe, dass auch eine mögliche Urenkelgeneration nach dem Satzungszweck potenziell begünstigt sein sollte.
Entscheidung: BFH bestätigt Auffassung der Vorinstanz
Der BFH ist der Auffassung, dass das FG zutreffend entschieden habe, dass im Streitfall die Schenkungsteuer für die Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung der Klägerin unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 100.000 EUR nach der Steuerklasse I für Abkömmlinge von Kindern und Stiefkindern und einem Prozentsatz von 15 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG) festzusetzen sei.
Als „entferntest Berechtigter“ i. S. d. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG seien mögliche Urenkel der Stifter anzusehen, da diese nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensvorteile erlangen könnten.
Für die Bestimmung des „entferntest Berechtigten“ sei nicht erheblich, dass eine Urenkelgeneration bei Errichtung der Stiftung noch nicht geboren sei. Ebenso wenig komme es darauf an, ob mögliche Urenkel tatsächlich jemals finanzielle Unterstützung aus der Stiftung erhalten würden.
Verständnis des „entferntest Berechtigten“
Die Formulierung des „entferntest Berechtigten“ sei dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige bezeichnet werde, der nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten solle.
Der „Berechtigte“ i. S. d. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG entspreche dem nach der Stiftungssatzung „potenziell Begünstigten“, der durch den Erwerb von Vermögensvorteilen aus der Stiftung begünstigt sein könne. Eine Unterscheidung dahingehend, dass – wie die Klägerin meint – mit dem Begriff des „Berechtigten“ der sofort Anspruchsberechtigte gemeint sei und sich dieser vom „Begünstigten“, der erst später anspruchsberechtigt sein solle, unterscheide, sei der Norm nicht zu entnehmen. Bereits das Erbschaftssteuergesetz aus dem Jahr 1922 habe in § 9 Abs. 2 ErbStG 1922 eine mit § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nahezu wortgleiche Vorschrift enthalten. Diese habe dahingehend gelautet, dass im Fall des § 2 Abs. 2 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG 1922 der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des Erblassers oder Schenkers zu dem nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zugrunde zu legen sei, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet werde.
Bereits zu dieser Norm habe der RFH entschieden, dass für die Bestimmung des „entferntest Berechtigten“ allein entscheidend sei, welche Personen nach der Satzung Vermögensvorteile (aller Art) aus der Stiftung erlangen könnten Eine Unterscheidung zwischen „sofort“ oder „später Berechtigtem/Begünstigtem“ sei nicht getroffen worden. Weder seien Gründe ersichtlich noch habe die Klägerin solche vorgebracht, warum diese Rechtsprechung nicht auf die aktuelle Gesetzesfassung übertragen werden könne.
„Entferntest Berechtigter“ sei stets derjenige Berechtigte, für den die schlechteste Steuerklasse Anwendung fände, wäre die Zuwendung direkt vom Stifter an diesen erfolgt. Bei der Bestimmung, wer „entferntest Berechtigter“ sei, sei nicht darauf abzustellen, ob die Person einen klagbaren Anspruch auf den Vermögensvorteil aus der Stiftung habe. Es komme – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch nicht darauf an, ob die nach der Stiftungssatzung „entferntest Berechtigten“ zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren seien oder jemals geboren würden. Eine solche Voraussetzung enthalte der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht. Der „entferntest Berechtigte“ müsse im Zeitpunkt der Errichtung der Familienstiftung daher noch nicht unmittelbar bezugsberechtigt sein. Ausreichend sei, wenn er es erst in der Generationenfolge werde.
Formulierung in der Stiftungsurkunde maßgebend
Wer bei der einzelnen Familienstiftung als „entferntest Berechtigter“ anzusehen sei, sei der Formulierung in der jeweiligen Stiftungssatzung zu entnehmen. Dies ordne bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG an, der von „nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten“ spreche. Damit obliege es dem Stifter, den Kreis der aus dem Stiftungsvermögen potenziell Begünstigten festzulegen.
Die Errichtung einer Familienstiftung solle typischerweise familienrechtlich die finanzielle Versorgung nachfolgender Generationen sicherstellen. Erbschaftsteuerrechtlich biete sie durch § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG die Möglichkeit, bei potenzieller Begünstigung auch von in der Generationenfolge zeitlich weiter entfernten direkten Abkömmlingen durch entsprechende Gestaltung des Stiftungsgeschäfts höhere Freibeträge zu erhalten, als wenn bei der ersten Übertragung von Vermögen auf die Stiftung auf das Verhältnis des Stifters zu der Stiftung selbst abzustellen und beide als fremde Dritte anzusehen wären.
Die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG sei Teil der Festlegung der anwendbaren Steuerklassen. Die Einteilung der Steuerpflichtigen in unterschiedliche Steuerklassen sei wiederum maßgebend für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge gemäß §§ 16, 17 ErbStG und die Höhe des Steuersatzes nach § 19 ErbStG.
Die Höhe des zu gewährenden Freibetrags bei der Besteuerung des Vermögensübergangs auf eine Familienstiftung könnten daher unterschiedlich ausfallen und würden davon abhängen, ob die Stiftungssatzung als potenziell Begünstigte Kinder, Enkel oder Urenkel anführe. Gleichwohl komme es durch die Bestimmung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG in allen diesen Fällen insgesamt zu einer Besserstellung hinsichtlich des Freibetrags bei der Schenkungsbesteuerung für den Übergang von Vermögen auf die Familienstiftung nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG. Ohne die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG wäre auf die erwerbende Familienstiftung als juristische Person abzustellen. Dies hätte zur Folge, dass nach § 15 Abs. 1 ErbStG die Steuerklasse III anwendbar und nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG ein Freibetrag lediglich i. H. v. 20.000 EUR zu gewähren wäre.
Stifter selbst nimmt Weichenstellung vor
Danach privilegiere § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG Zuwendungen bei der Errichtung einer Familienstiftung und gebe dem Stifter die Möglichkeit, eine günstigere Steuerklasse und einen höheren Freibetrag zu erhalten. Da das Gesetz auf die Bestimmungen der Stiftungssatzung abstelle, habe es der Stifter in der Hand, das Privileg so zu nutzen, wie er es für am besten für seine Familie halte. Begünstige er beispielsweise nur die nächste und übernächste Generation der direkten Abkömmlinge, könne er mit der Steuerklasse I und dem Freibetrag von 200.000 EUR eine geringere Besteuerung erreichen, als wenn er auch die Urenkelgeneration begünstige.
Hinweis: Keine darüberhinausgehende Privilegierung
Eine darüberhinausgehende Privilegierung sei dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich auf das Verhältnis des Zuwendenden zu dem entferntest Berechtigten abgestellt. Eine fixe Freibetragsregelung, wie zum Beispiel in § 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG mit der Gewährung des doppelten Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG für die Ersatzerbschaftsbesteuerung einer Stiftung alle 30 Jahre nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, sei in die Formulierung von § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht aufgenommen worden.
Würde man im Zeitpunkt der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung als Steuerentstehungszeitpunkt, Steuerklasse und Freibetrag danach anwenden, ob die Abkömmlinge bereits geboren seien, entstünde eine Überprivilegierung, wenn später weitere Abkömmlinge geboren würden, die dann auch finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen könnten. Unabhängig von der Frage, ob für die Rückgängigmachung dieser Überprivilegierung überhaupt eine Änderungsvorschrift einschlägig wäre, würde dies eine Überwachung der Familienstiftung ggf. über einen bestimmten Zeitraum voraussetzen. Eine solche sei in § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG aber nicht angelegt.
BFH, Urteil v. 28.2.2024, II R 25/21; veröffentlicht am 31.5.2024
Alle am 31.5.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
6765
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
675
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
674
-
Abzug von Fahrtkosten zur Kinderbetreuung
512
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
472
-
Vorsteuerabzug bei Betriebsveranstaltungen
454
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
444
-
Anschrift in Rechnungen
429
-
Neue Grundsteuer B in Baden-Württemberg ist verfassungsmäßig
421
-
Teil 1 - Grundsätze
412
-
Verfassungsmäßigkeit des grundsteuerlichen Bewertungsrechts im Bundesmodell
20.12.2024
-
Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Werbeaufwendungen
19.12.2024
-
Alle am 18.12.2024 veröffentlichten Entscheidungen
19.12.2024
-
Zuordnung zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen
18.12.2024
-
Verluste im Rahmen eines Steuerstundungsmodells nach § 15b EStG
18.12.2024
-
Verurteilung zweier Angeklagter wegen Steuerhinterziehung durch Cum-Ex-Geschäfte
18.12.2024
-
Innerorganschaftliche Zinsaufwendungen für den Erwerb einer Beteiligung
18.12.2024
-
Minderung der Miete durch Zeichnung von Genossenschaftsanteilen
16.12.2024
-
Kosten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft
16.12.2024
-
Änderung des Gesellschafterbestands einer grundbesitzenden Personengesellschaft
16.12.2024