Rz. 5
Historisch betrachtet ist die Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen das ursprüngliche Anliegen der Erbschaftsteuer. Die Besteuerung der Schenkungen unter Lebenden sollte zunächst nur dazu dienen, Umgehungstatbestände, nämlich ein Ausweichen auf steuerfreie Rechtsgeschäfte unter Lebenden statt eines steuerpflichtigen Vermögensübergangs von Todes wegen zu verhindern (Begründung zum Erbschaftsteuergesetz 1906, RT-Drs. Nr. 10 der 11. Legislaturperiode, 2. Session Anlage 5, 1905/06, 1060; s. BVerfG vom 08.03.1983, BStBl II 1983 779, 783 sowie BFH vom 17.04.1985, BFH/NV 1986, 96, 98). Die damalige Gesetzesüberschrift lautete noch "Erbschaftsteuergesetz". Heute steht die Schenkungsteuer als zweite, gleichberechtigte Säule neben der Erbschaftsteuer und dient nicht mehr nur der Missbrauchsvermeidung, sondern stellt einen eigenständigen Bereich dar. Dies zeigt sich auch im Gesetzestitel, der nicht mehr lediglich von "Erbschaftsteuergesetz" sondern von "Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz" spricht.
Rz. 6
Gleichwohl stellen aber die Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer keine verschiedenen Steuern dar. Vielmehr handelt es sich um eine Steuer, um ein und dasselbe Gesetz, das lediglich nach seinen hauptsächlichen Besteuerungsvorgängen, nämlich dem Erwerb von Todes wegen (Erbschaftsteuer) einerseits und den Schenkungen unter Lebenden (Schenkungsteuer) andererseits benannt ist. Ob die Steuer daher unter der Bezeichnung "Erbschaftsteuer" oder "Schenkungsteuer" anfällt, ist unerheblich. Relevant ist allerdings für die Anwendbarkeit der einzelnen Gesetzesnormen, ob (materiell-rechtlich) ein Erwerbsvorgang von Todes wegen (Nr. 1) oder ein Erwerbsvorgang in Form einer Schenkung unter Lebenden (Nr. 2) gegeben ist (s. § 1 Rn. 19 ff.). Auch für Zweckzuwendungen, die sowohl im Rahmen von Erwerben von Todes wegen als auch im Rahmen von Schenkungen unter Lebenden vorkommen können, ist eine entsprechende Unterscheidung zur Ermittlung der anwendbaren Normen erforderlich. Im Übrigen und insbesondere für die Frage der Belastungsentscheidung spielt es aber keine Rolle, ob es sich um eine Schenkung, einen Erwerb von Todes wegen oder eine Zweckzuwendung handelt.