Rz. 739
§ 7 Abs. 8 ErbStG ist durch das BeitrRLUmsG vom 07.12.2011 mit Wirkung zum 14.12.2011 in den Gesetzestext eingefügt worden. Erfasst werden Werterhöhungen (ohne Substanzverschiebung) von Kapitalgesellschaftsanteilen und Genossenschaftsanteilen aufgrund disquotaler Einlagen und Leistungen von Dritten sowie Zuwendungen zwischen (Teilschwester-)Kapitalgesellschaften, die mit der Intention getätigt werden, Gesellschafter (wertmäßig) zu bereichern (Konzernfälle). Nachdem der BFH in ständiger Rechtsprechung (Urteile vom 25.10.1995, BStBl II 1996, 160; vom 09.12.2009, BStBl II 2010, 566) disquotale Einlagen eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft mangels Substanzverschiebung nicht als freigebige Zuwendungen zwischen den Gesellschaftern angesehen hat, hat die Finanzverwaltung darauf zum einem mit den gleichlautenden Erlassen vom 20.10.2010 (BStBl I 2010, 1207 ff.) reagiert und eingeräumt, dass in Fällen disquotaler Einlagen in eine Kapitalgesellschaft keine freigebige Zuwendung des einen Gesellschafters an den anderen (wertmäßig begünstigen) Gesellschafter gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gegeben ist. Bestätigt wurde dies durch die gleichlautenden Erlasse vom 20.04.2018 (BStBl I 2018, 632), die zwischenzeitlich im Wesentlichen in R E 7.5 ErbStR übernommen wurden. Zum anderen hat die Finanzverwaltung aber auch die vorliegende Gesetzesänderung über den Bundesrat einbringen lassen.
Rz. 740
Die Vorschrift stellt als lex specialis eine Sonderregelung dar, die im Kollisionsfall mit § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG Anwendungsvorrang genießt. Sie regelt, dass die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die eine an der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligte natürliche Person oder Stiftung (Bedachte) durch die Leistung einer anderen Person (Zuwendender) an die Gesellschaft erlangt, als Schenkung gilt. Erfasst werden daher insbesondere Werterhöhungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die durch eine disquotale Einlage eines Gesellschafters bei den anderen Gesellschaftern eintreten. Erfasst werden aber auch Werterhöhungen, die durch eine Leistung eines Dritten an die Kapitalgesellschaft hervorgerufen werden. Da die Werterhöhung der Anteile nur dann eintritt, wenn der Dritte unentgeltlich oder teilentgeltlich leistet, werden Drittgeschäfte, die durch Leistungsaustausch stattfinden, von der Regelung nicht erfasst.
Rz. 741
Die Regelung stellt die Fiktion einer Schenkung auf. Zuwendungsgegenstand ist die Werterhöhung der Gesellschaftsanteile der Mitgesellschafter (vgl. auch Schuck in V/S/W, § 7 Rn. 266). Infolge der Fiktion ist für die Steuerbarkeit nicht erforderlich, dass der Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfüllt ist (ebenso Crezelius, ZEV 2011, 393, 394; a. A. Schuck in V/S/W, § 7 Rn. 265). Dies hat zur Folge, dass im Wortlaut des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG kein eigenes subjektives Tatbestandsmerkmal enthalten ist (Crezelius, ZEV 2011, 393, 395; H.-U. Viskorf, ZEV 2012, 442, 443; Korezkij, DStR 2012, 163, 165; van Lishaut/Ebber/Schmitz, Ubg 2012, 1, 8; Loose, in vO/L, § 7 Rn. 570).
Rz. 742
Des Weiteren sieht § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG vor, dass Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften, soweit sie in der Absicht getätigt werden, Gesellschafter zu bereichern und soweit an diesen Gesellschaften nicht unmittelbar oder mittelbar dieselben Gesellschafter zu gleichen Anteilen beteiligt sind, als freigebig gelten. Von der Schenkungsteuer erfasst werden damit Fälle, die ertragsteuerlich eine verdeckte Gewinnausschüttung und eine anschließende verdeckte Einlage des Gesellschafters in die (Teil-)Schwestergesellschaft darstellen. Technisch geschieht dies dadurch, dass die Zuwendung trotz ggf. gesellschaftsrechtlicher Veranlassung, die ansonsten die Freigebigkeit ausschließt, als freigebig angesehen wird.
Rz. 743
§ 7 Abs. 8 Satz 3 ErbStG erweitert sodann den Anwendungsbereich der Regelung über Kapitalgesellschaften hinaus auf Genossenschaften.
Rz. 744
In der Praxis führt die Regelung zu einer deutlichen Ausdehnung der Schenkungsteuer, indem zum einen das bisher vom BFH für eine freigebige Zuwendung geforderte Tatbestandsmerkmal der Substanzverschiebung durch die Fiktion des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG beseitigt wird und zum anderen durch die Annahme der Freigebigkeit die gesellschaftsrechtliche Veranlassung einer Zuwendung ignoriert wird. Insoweit kann die Regelung des § 15 Abs. 4 ErbStG, die ebenfalls durch das BeitrRLUmsG vom 07.12.2011 zum 14.12.2011 eingeführt wurde und die u. a. in den Fällen des § 7 Abs. 8 ErbStG für die Ermittlung der Steuerklasse und des Freibetrags auf das Verhältnis zwischen dem die disquotale Einlage tätigenden Gesellschafter und dem begünstigten Gesellschafter abstellen will, wenig trösten (Crezelius, ZEV 2011, 393, 396). Gleichwohl zeigt sich an diesem "Gegensteuern" des Gesetzgebers, dass die gesamte Regelung des § 7 Abs. 8 ErbStG in sich inkonsequent und unsystematisch gelöst wurde (vgl. auch Borggräfe/Staud, DB 2020, 77). Die Problematik resultiert aus folgender Überlegung: