Rz. 755
§ 7 Abs. 8 ErbStG hat insbesondere die Vermeidung steuerfreier Generationennachfolgen durch disquotale Einlage (z. B. des Vaters mit reflexhafter Werterhöhung der Anteile des Sohnes) im Blick. Steht der Leistung (disquotalen Einlage) daher eine Gegenleistung gegenüber, so fehlt es zum einen an der Freigebigkeit zum anderen ist aber auch kein Regelungsbedürfnis gegeben, da kein Steuermissbrauch erkennbar ist. Entsprechend geht auch die Finanzverwaltung bei disquotalen Einlagen nicht von einer steuerbaren Werterhöhung der Anteile der Kapitalgesellschaft gem. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG aus, wenn die für die disquotale Einlage zu erbringende Gegenleistung in der Verbesserung des Gewinnanteils (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) des Einlegenden, in dem Erwerb zusätzlicher Anteile an der Gesellschaft (dann liegt ein Kauf vor) oder in einer von den Geschäftsanteilen abweichenden Verteilung des Vermögens bei späterer Liquidation besteht (R E 7.5 Abs. 11 Satz 8 ErbStR).
Rz. 756
Ebenfalls kein Fall einer steuerbaren Werterhöhung nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG soll nach Verwaltungsauffassung dann vorliegen, wenn der disquotalen Einlage eines Gesellschafters oder der (unentgeltlichen) Leistung von Dritten in zeitnahem und sachlichem Zusammenhang eigene Leistungen der (Mit-)Gesellschafter gegenüberstehen (R E 7.5 Abs. 11 Satz 2–4 ErbStR). Von der Regelung des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG ausgenommen sind somit disquotale Leistungen aller Gesellschafter im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang, die sich bei Saldierung neutralisieren. Über das Kriterium des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs werden daher die bei Einzelbetrachtung jeweils gegebenen disquotalen Einlagen in quotale – und damit nicht § 7 Abs. 8 ErbStG unterfallende – Einlagen verwandelt. Fehlt es an einer vollständigen Neutralisation, so ist lediglich der überschießende Anteil als Werterhöhung i. S. d. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG anzusehen. Dies soll auch dann gelten, wenn einzelne Gesellschafter eine disquotale Einlage in die Kapitalgesellschaft erbringen, die anderen Gesellschafter allerdings lediglich eine disquotale Leistung nicht an die Gesellschaft, sondern an die die disquotale Einlage erbringenden Gesellschafter leisten. Zu denken wäre an den Fall, dass der eine GmbH-Gesellschafter eine disquotale Einlage in die GmbH leistet und der andere GmbH-Gesellschafter, von Beruf Steuerberater, dem die disquotale Einlage tätigenden Gesellschafter bspw. die Einkommensteuererklärung unentgeltlich fertigt. Sofern sich die Beträge (Werterhöhung der Anteile der Kapitalgesellschaft und Wert der Erstellung der Steuererklärung) neutralisieren, liegt bei zeitlichem und sachlichem Zusammenhang kein Fall des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG vor (R E 7.5 Abs. 11 Satz 5 ErbStR). Gleiches soll wohl auch in dem Fall gelten, dass die disquotale Leistung nicht vom Gesellschafter der Kapitalgesellschaft, sondern bspw. von seiner Ehefrau erbracht wird und der Steuerberater dem Gesellschafter-Ehemann die (getrennte) Einkommensteuererklärung fertigt.
Rz. 757
Die Feststellung der disquotalen Gesellschafterleistung (Einlage) sowie ggf. vorhandener im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehender Kompensationen durch Gegenleistung ist nach Verwaltungsauffassung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (R E 7.5 Abs. 11 Satz 3 ErbStR). Allerdings wird in R E 7.5 ErbStR weder zur Frage der Gesamtbetrachtung noch zum zeitlichen und sachlichen Zusammenhang Stellung genommen. Insoweit verbleibt eine beachtliche Rechtsunsicherheit. Hinsichtlich des erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs darf insoweit auf die Ausführungen unter Rn. 429 verwiesen werden. Über den zeitlichen Zusammenhang hinaus ist – entsprechend der Verwaltungsauffassung (R E 7.5 Abs. 11 Satz 4 ErbStR) – erforderlich, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Leistungen an die Gesellschaft und die Gesellschafter/Dritten besteht. Wo hier die sachlichen Grenzen verlaufen, ist bislang offen.
Rz. 758
Unbesehen dessen, dass die zu diesem Punkt beschriebene Verwaltungsauffassung im Regelfall dem Steuerpflichtigen zumindest einen Argumentationsspielraum belässt, scheint diese Ansicht unter rechtssystematischer Betrachtung gleichwohl zweifelhaft. So scheint zumindest hinterfragenswert, inwieweit die Möglichkeit besteht, einen bspw. durch eine disquotale Einlage verwirklichten Besteuerungstatbestand durch eine nachfolgende Handlung einer anderen Person (entsprechende disquotale Einlage des anderen Gesellschafters) zu beseitigen. Im Ergebnis werden damit zwei Vorgänge, die bei isolierter Betrachtung jeweils den Besteuerungstatbestand erfüllen, saldiert, mit der Folge, dass sich in beiden Fällen das Steuersubstrat verflüchtigt (vgl. auch Loose in vO/L, § 7 Rn. 589). H.-U. Viskorf (ZEV 2012, 442, 444) hält daher für erforderlich, aber auch ausreichend, dass im Zeitpunkt der inkongruenten Einlage/Leistung ein Zusammenhang mit entsprechenden früheren oder künftigen Leistungen der Mitgesellschafter an die Kapitalgesellschaft besteht. Hierzu soll ...