Dipl.-Kffr. Christina Vosseler, Dr. Christoph Regierer
Ausgewählte Rechtsprechung:
FG Münster vom 02.03.1977, EFG 1977, 489;
BFH vom 08.02.1961, BStBl. III 1961, 135.
Rz. 14
Voraussetzung für die Anwendung von § 27 ErbStG ist, dass Vermögen innerhalb von zehn Jahren mehrfach übergegangen ist. Mit Vermögen sind nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern auch Vermögensmassen gemeint, wie sie gerade beim Erwerb durch Erbanfall typischerweise übergehen. Nicht erforderlich ist lt. Rechtsprechung, dass das Vermögen beim Zweiterwerb noch dieselbe Form wie beim Ersterwerb aufweist (s. BFH vom 30.10.1980, BStBl. II 1980, 46). Surrogate, d. h. Vermögensgegenstände, die der Ersterwerber mit Mitteln des übergegangenen Vermögens, als Erlös für den Verkauf von Vermögensgegenständen oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Vermögensgegenstandes erhält, sind ebenfalls begünstigt. Es gelten die gleichen Surrogationsgrundsätze wie beim Erbschaftsbesitzer (§ 2019 BGB), Miterben (§ 2041 BGB) oder Vorerben (§ 2111 BGB).
V schenkt seinem Sohn S in 2015 ein Grundstück. In 2019 verstirbt S und Alleinerbin ist seine Ehefrau E. Vor dem Tod des S
- hatte S das Grundstück an X für 1 Mio. EUR verkauft und übertragen;
- war das auf dem Grundstück stehende Haus abgebrannt und S hatte hierfür von seiner Feuerschutzversicherung 1 Mio. EUR erhalten.
Lösung:
In beiden Fällen ist § 27 ErbStG auf den Erwerb der E anwendbar, da der Verkaufserlös bzw. das von der Versicherung erhaltene Geld jeweils Surrogate für das Grundstück darstellen.
Rz. 15
Auch ein Rechtsformwechsel bei Betrieben ist für die Gewährung der Begünstigung unschädlich. Nicht erforderlich ist, dass das ganze Vermögen noch vorhanden ist, es reicht aus, dass Teile des Vermögens vorhanden sind. Eine Begünstigung scheidet damit nur dann aus, wenn das Vermögen vom Ersterwerber verbraucht worden ist. Die Ermittlung ist nicht immer einfach, weil sich das übergegangene Vermögen beim Ersterwerber oftmals mit dessen eigenen Vermögen vermischen wird. Im Zweifelsfall wird man das Vermögen daher im Wege der Schätzung ermitteln müssen.
Rz. 16
Eine Steuerermäßigung kommt nur dann in Betracht, wenn für den früheren Erwerb auch eine Erbschaftsteuer zu erheben war. Keine Ermäßigung kann daher gewährt werden, wenn für den Ersterwerb aufgrund von persönlichen Freibeträgen oder sachlichen Steuerbefreiungen keine Steuer bezahlt werden musste (s. BFH vom 08.02.1961, BStBl III 1961, 135). Wurden für den ersten (oder zweiten) Erwerb die Begünstigungen für Betriebsvermögen nach §§ 13a–13c ErbStG in Anspruch genommen, kann § 27 ErbStG bei einem nachträglichen Wegfall der Verschonung trotzdem zur Anwendung kommen. Die gewährten Begünstigungen sind materiell vorläufig (Jülicher in T/G/J/G, ErbStG, Rn. 198). Bei einem Verstoß gegen die mit der Verschonung verbundenen Auflagen kommt es zu einer Nachversteuerung, wodurch die von § 27 ErbStG geforderte Doppelbelastung vorliegen kann (wenn auch für den jeweils anderen Erwerb eine Erbschaftsteuer erhoben wird). Wenn die Steuer nachträglich aufgrund von § 29 ErbStG entfällt, kommt eine Steuerbegünstigung nicht in Betracht. Das gleiche gilt, soweit durch die Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer gem. § 21 ErbStG keine deutsche Steuer entrichtet werden muss (s. Jülicher in T/G/J/G, § 27 Rn. 18).
Rz. 17
Strittig ist die Behandlung ausländischer Erbschaftsteuer auf den Vorerwerb, wenn zum Zeitpunkt des Vorerwerbs keine Steuerpflicht gemäß ErbStG bestand. § 27 ErbStG verlangt eine Besteuerung des Vorerwerbs nach dem deutschen ErbStG. Lag jedoch zum Zeitpunkt des Vorerwerbs keine deutsche Steuerpflicht vor, ist eine Steuerbegünstigung nach dem Wortlaut des § 27 ErbStG nicht vorzunehmen. Fraglich war, ob diese Beschränkung der Anwendung des § 27 ErbStG innerhalb der EU/EWR gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 und Art. 65 AEUV verstößt. Der EuGH entschied jedoch mit Urteil vom 30.06.2016, dass keine verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs vorliegt. Denn der mit der Ermäßigung der Erbschaftsteuer nach § 27 ErbStG verbundene Vorteil hängt unmittelbar damit zusammen, dass schon für den Vorerwerb desselben Vermögens von Todes wegen bereits Erbschaftsteuer erhoben worden sei (s. EuGH vom 30.06.2016, EuZW 2016, 701 Rn. 31).
Rz. 18–19
vorläufig frei