Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 90
Die gesetzliche Erbfolge der §§ 1924–1936 BGB regelt gleichberechtigt und gleichrangig nebeneinander das Erbrecht der Verwandten und des Ehegatten (s. § 1931 Abs. 1 BGB). Von der Gesetzestechnik her wird die Erbregelung der Verwandten vorgezogen. Das Erbrecht des Ehegatten knüpft in § 1931 BGB an das Verwandtenerbrecht an.
2.2.2.1 Das gesetzliche Verwandtenerbrecht
Rz. 91
Es werden Ordnungen (sog. Parentelen) gebildet mit einer strengen Gesetzmäßigkeit (Ordnungssystem). Die Hierarchie der jeweiligen Ordnungsstufen (erste Ordnung, zweite Ordnung usw.) folgt dem System der Abstammung, d. h. der Nähe zum Erblasser. So besteht die erste Ordnung (s. § 1924 BGB) nur aus den Abkömmlingen des Erblassers; dies sind solche Personen, die mit ihm in gerade absteigender Linie verwandt sind. Hierunter fallen auch nichteheliche und adoptierte Kinder. Die zweite Ordnung schließlich (s. § 1925 BGB) bilden die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Für die dritte Parentele (und sinngemäß für die folgenden) ist der Ausgangspunkt noch weiter vom Erblasser weggerückt: Hier bilden die Großeltern des Erblassers (und deren Abkömmlinge) die Ordnungsstufe (s. §§ 1926 ff. BGB). Die wohl wichtigste Regelung ist in § 1930 BGB getroffen, wonach vorhandene Angehörige der vorherigen Ordnungsstufe komplett die nächste Ordnung ausschließen.
Rz. 92
Ist nur ein (noch so entfernter) Angehöriger der ersten Ordnung vorhanden, kommt die zweite Ordnung nicht zum Zuge usw. innerhalb der Ordnungsstufen gelten wiederum drei Grundsätze:
- Nach dem Eintrittsprinzip (s. § 1924 Abs. 3 BGB und die folgenden Paragrafen) treten an die Stelle eines vorverstorbenen Abkömmlings dessen Nachrücker (Stammeserbfolge).
- Umgekehrt schließt der erste Vertreter eines Stammes seine Abkömmlinge aus, sog. Repräsentationsprinzip (s. § 1924 Abs. 2 BGB).
- Nach § 1924 Abs. 4 BGB schließlich erben die Vertreter eines (lebenden) Stammes zu gleichen Teilen.
Erste Parentelordnung: Erblasser mit Abkömmlingen
Am folgenden Stammbaum soll die gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser EL bestimmt werden. Vorverstorben sind die Ehefrau und die Mutter des EL:
Lösung:
Nachdem die Ehefrau des Erblassers vorverstorben ist, kommt nur das Verwandtenerbrecht in Betracht. Danach sind Erben der ersten Ordnung die Abkömmlinge des EL: K1–K4. Gem. § 1930 BGB scheiden sowohl der Vater als auch der Bruder als Erben der zweiten Ordnung aus. Nachdem auch K4 vorverstorben ist und er keine Kinder hinterlässt, erben die "lebenden Stämme" K1–K3 gem. § 1924 Abs. 4 BGB zu gleichen Teilen, d. h. zu je 1/3. Für K1, der seine Abkömmlinge E1 und U1 gem. § 1924 Abs. 2 BGB von der Erbfolge ausschließt, gilt diese Quote unmittelbar. Anstelle des K2 treten seine Kinder E2 und E3 wiederum zu gleichen Teilen, d. h. zu je 1/6 die Erbfolge nach EL an (s. § 1924 Abs. 3 BGB). Diese Quote kommt auch E5 zu, während sich U2 und U3 die 1/6-Quote von E4 teilen, also je 1/12 beanspruchen können. Der nach den §§ 2353, 2357 BGB zu erteilende Erbschein sieht wie folgt aus: EL wird von K1 zu 1/3, von E2, E3 und E5 zu je 1/6 und von U2 und U3 zu je 1/12 beerbt. K1, E2, E3, E5, U2 und U3 bilden eine Erbengemeinschaft.
Der korrigierte – rechtliche – Stammbaum sieht wie folgt aus:
Rz. 93
Zweite Parentelordnung: Erblasser ohne Abkömmlinge
In diesem Beispiel wird unterstellt, dass der Erblasser keine Nachkommen hinterlässt, aber zusätzlich noch eine Schwester hat.
Lösung:
Nachdem keine Erben der ersten Ordnung vorhanden sind, kommt gem. §§ 1930, 1925 BGB die zweite Parentele zum Zuge. Nach § 1925 Abs. 2 BGB würden die überlebenden Eltern zu gleichen Teilen erben. Da aber M schon tot ist, kommt gem. § 1925 Abs. 3 i. V. m. § 1924 Abs. 3 BGB das Stammesprinzip zum Tragen: Die Geschwister B und S übernehmen anteilig die hälftige Erbberechtigung der Mutter. Erben sind V zu 1/2, B und S zu je 1/4.
2.2.2.2 Das Ehegattenerbrecht und die ehelichen Güterstände
Rz. 94
Das deutsche Familienrecht (BGB 4. Buch) kennt drei Güterstände bei Ehegatten (s. §§ 1363–1563 BGB); Motivation, Grundzüge und die Auswirkungen zu Lebzeiten werden vorangestellt (zum Erbrechtsausschluss gem. § 1933 BGB: kein Erbrecht, wenn im Zeitpunkt des Todes die Scheidungsvoraussetzungen vorlagen; hierzu s. auch BGH vom 02.07.2008, NJW 2009, 1123); Einzelheiten s. § 4 Rn. 1 ff.
Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft (s. §§ 1363–1390 BGB)
Der Güterstand der Zugewinngemeinschaft ist durch eine strenge (dingliche) Trennung der Vermögen der Ehepartner während des Bestehens der Ehe gekennzeichnet. Bei Beendigung der Ehe durch Scheidung erfolgt ein Zugewinnausgleich. Es entsteht sodann in der Person, die weniger Zugewinn ("Loser") während der Ehe gemacht hat, eine Ausgleichsforderung gegen den Ex-Ehepartner mit höherem Zugewinn ("Profiteur"). Der Höhe nach ist die Ausgleichsforderung auf die Hälfte des Zugewinnüberschusses gerichtet. Der jeweilige Zugewinn berechnet sich dabei nach einer Gegenüberstellung von Endvermögen und Anfangsvermögen. Wichtig ist dabei die Ermittlung des richtigen Anfangs- und Endvermögens. Um zu verhindern, dass zwischenzeitliche Schenkungen und Erbschaf...