Rz. 46
Unter einer betagten Forderung versteht man eine Forderung, die an einem bestimmten zukünftigen Termin fällig wird. Bis dahin ist die Geltendmachung aus einer betagten Forderung aufgeschoben.
Die Rechtsprechung will nicht auf alle betagten Forderungen § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG zur Anwendung bringen, sondern differenziert zwischen Forderungen, bei denen die Fälligkeit auf einen bestimmten Termin hinausgeschoben ist, und Forderungen, bei denen die Fälligkeit auf einen unbestimmten Termin hinausgeschoben ist (s. BFH vom 27.08.2003, 921 m. w. N.; BFH vom 07.10.2009, II R 27/07, BFH/NV 2010, 891).
Rz. 47
Zu Recht wird diese Rechtsprechung dafür kritisiert, dass sie am Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG vorbeigeht und zudem bewertungsrechtliche Probleme mit der Frage der Steuerentstehung vermischt. Aus der Tatsache, dass bei betagten Ansprüchen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig werden, eine Bewertung unproblematisch erfolgen kann, zu folgern, dass die Steuer auf diese auch schon mit dem Zeitpunkt des Todes entsteht, ist systematisch verfehlt, denn die Frage der Steuerentstehung ist vorrangig zur Frage der Bewertung (s. Meincke, ZEV 2004, 36). Es handelt sich primär um ein gesetzgeberisches Problem, denn die Aufnahme der betagten Ansprüche in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG stellt einen gewissen Systembruch dar. Anders als bei aufschiebend bedingten Ansprüchen ist beim betagten Anspruch eine Bereicherung des Erwerbers bereits eingetreten, da er bereits Inhaber der Rechtsposition geworden ist. Es fehlt ihm lediglich bei Geldforderungen die mit diesen Forderungen normalerweise verbundene Liquidität. Damit ist seine Lage jedoch nicht anders als bei einem Erwerber, der eine Sache, z. B. ein Grundstück erwirbt. Es ist zu bedauern, dass der Gesetzgeber das ErbStRefG nicht dazu genutzt hat, hier eine Änderung vorzunehmen.
Rz. 48
Die Rechtsprechung begründet die o. g. Differenzierung damit, dass bei Forderungen, die zu einem unbestimmten Zeitpunkt fällig werden, eine angemessene wirtschaftliche Verwertung nicht möglich sei und somit auch noch keine Bereicherung vorliege (s. BFH vom 27.08.2003, BStBl II 2003, 921, 923). Dies trifft jedoch nicht uneingeschränkt zu, denn die Frage, inwieweit eine Verwertung der Forderung möglich ist, hängt im Wesentlichen davon ab, wie gut sich der Fälligkeitszeitpunkt prognostizieren lässt. So wäre für Forderungen, die mit dem Tod einer Person fällig werden, eine Abzinsung an Hand der Sterbetafel durchaus möglich.
Rz. 49
Folgte man dieser Rechtsprechung, so wären Vermächtnisse, bei denen der Erblasser bestimmt, dass diese erst nach Ablauf von zehn Jahren seit einer von ihm vorgenommenen Vorschenkung fällig werden, sofort zu besteuern und lediglich abzuzinsen, so dass der intendierte Effekt – eine Zusammenrechnung gem. § 14 ErbStG zu vermeiden – nicht eintreten könnte.
Rz. 50
In diesem Zusammenhang sind Testamentsgestaltungen zum sog. "Supervermächtnis" zu sehen. Letztlich werden Vermächtnisse, die so formuliert sind, dass der Eintritt der aufschiebenden Bedingung durch eine dritte Person (i. d. R. der überlebende Ehegatte) zu bestimmen ist, dann jedenfalls nicht als Fall des § 6 Abs. 4 ErbStG angesehen mit der Folge, dass auch § 6 Abs. 2 ErbStG nicht anwendbar ist, so dass ein Fall nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a) ErbStG vorliegt (vgl. dazu von Oertzen/Lindermann, ZEV 2020, 144 (147f.)).
Rz. 51–59
vorläufig frei