Ausgewählte Literaturhinweise:

Friedrich-Büttner/Herbst, Postmortale Gestaltungsmöglichkeiten im Erb(schaftsteuer)recht: Alternativen zur Ausschlagung, ZEV 2014, 593;

Wälzholz, Erbauseinandersetzung und Teilungsanordnung nach der Erbschaftsteuerreform, ZEV 2009, 113.

 

Rz. 130

Weitaus schwieriger als die richtige Benennung des Erblassers ist die Auslegung der einzelnen testamentarischen Anordnungen, je nachdem, ob es sich dabei um Erbfolgeregelungen, sonstige Zuwendungen oder Anordnungen zur Nachlassverwaltung handelt. Die gefundenen erbrechtlichen Auslegungsergebnisse schlagen sich unmittelbar in der erbschaftsteuerlichen Würdigung nieder.

Von den vielfältigen erbrechtlichen Möglichkeiten werden nachfolgend die wichtigsten und in der Praxis am häufigsten vorkommenden Gestaltungsvarianten diskutiert.

 

Rz. 131

1. Fallgruppe: Unklare Testamente

 

Objektbezogene Testierpraxis

Zum Vermögen des Witwers A zählen zwei Grundstücke im Wert von je 1 Mio. EUR (Steuerwert: je 0,6 Mio. EUR) und fünf Sammlerstücke (Porzellanvasen, Briefmarkensammlung, Pkw Jaguar, Gemälde und Gewehre) mit einem Gesamtwert (Steuerwert) von 200 TEUR, wovon kein Einzelstück teurer als 50 TEUR ist. A hat einen 17-jährigen Sohn S und eine 19-jährige Tochter T und trifft folgende Anordnung: "S und T bekommen je ein Grundstück (S erhält die Flur-Nr. 177 und T bekommt die Flur-Nr. 178). Die übrigen Gegenstände sollen sie unter sich aufteilen." Wer ist Erbe geworden? Wie sieht der Erbschein aus?

Lösung:

Zunächst ist im Wege der erläuternden bzw. grammatikalischen Auslegung der verwendete Begriff "bekommen" als Erbeinsetzung i. S. d. § 1937 BGB zu verstehen, da sich die Nachfolgeregelung offensichtlich auf den gesamten Nachlass bezieht. Sodann enthält der Satz 1 eine echte Erbfolgeregelung, während Satz 2 eine Anordnung zur Nachlassverwaltung trifft, derzufolge die Kinder bei der Zuteilung der beweglichen Nachlassgegenstände ungebunden sind. Häufig wird in Deutschland – wie in diesem Fall – objektbezogen testiert (S soll Flur-Nr. 177 bekommen). Dies kann im Zweifel nicht als Erbeinsetzung angesehen werden (s. § 2087 Abs. 2 BGB).

Die Praxis der Nachlassgerichte behilft sich in diesem Fall mit der Annahme, dass die einzelnen Gegenstände Vermögensgruppen (s. § 2088 Abs. 1 BGB) darstellen und somit als Bruchteil eines Nachlasses zu verstehen sind (vgl. zur Erbeinsetzung BayObLG vom 29.01.2003, NJW-RR 2003, 656 sowie zuletzt BGH vom 07.07.2004, NJW 2004, 3558). Bei wohlwollender Auslegung gem. § 2084 BGB wird die Formulierung in eine Bruchteilseinsetzung i. S. d. § 2088 Abs. 1 BGB umgedeutet. Bei der Festlegung des Bruchteils orientiert sich der Nachlassrichter an den Verkehrswerten und wird hier zu einer Erbteilsquote von je 1/2 für S und T kommen. Die Teilungsanordnung hinsichtlich der Grundstücke (s. § 2048 BGB) ändert wegen der Gleichwertigkeit nichts an der Quote; ebenso wenig wie die offene Regelung hinsichtlich der beweglichen Gegenstände. Der Erbschein weist S und T als Miterben je zur Hälfte aus (s. § 2353 bzw. § 2357 BGB). Verfügungsbeschränkungen, die mit aufgenommen werden können, sind nicht ersichtlich.

Des Weiteren wird festgehalten, dass S und T trotz der Teilungsanordnung den Nachlass als Gesamthandsgemeinschaft (Miterbengemeinschaft) gem. §§ 2032ff. BGB erworben haben und erst mit deren Auseinandersetzung (Allein-)Eigentümer der einzelnen Nachlassgegenstände werden (s. § 2042 BGB). Das Steuerrecht, insbesondere das Erbschaftsteuerrecht trägt dem komplizierten Gebilde einer Gesamthandsgemeinschaft keine Rechnung und ordnet stattdessen nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO Bruchteilsgemeinschaft an. Damit korrespondierend wird nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als Steuertatbestand der Erwerb "durch Erbanfall" und nicht etwa ein Erwerb "im Rahmen" oder "aufgrund" eines Erbanfalles besteuert. Die spätere Auseinandersetzung mit der Einzelzuweisung der Gegenstände ist folglich erbschaftsteuerlich irrelevant (s. auch R E 3.1 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2: ErbStR; zu einer Verschiebung der Erbquote kommt es aufgrund der Unbeachtlichkeit der Teilungsanordnungen nicht).

 

Unklare Erbeneinsetzung

Bei gleichem Ausgangssachverhalt lautet nunmehr die testamentarische Anordnung des A: "S bekommt die Grundstücke, T den Rest. Für etwaige Nachlassschulden kommen S und T gemeinsam auf."

Lösung:

Für die Auslegung dieser testamentarischen Verfügung kommen grundsätzlich zwei Annahmen in Betracht:

  1. Entweder ist S Alleinerbe geworden und T erhält nur ein Vermächtnis oder
  2. S und T sind Miterben geworden; bei der Erbquote wird das Verhältnis der Verkehrswerte der einzelnen, qua Teilungsanordnung zugewiesenen Gegenstände zugrunde gelegt und die Quoten betragen demnach 1/11 (200 TEUR von 2,2 Mio. EUR Gesamtnachlass) für T und 10/11 für S.

Die Auslegung hängt letztlich davon ab, ob aus dem gesamten Wortlaut des Testaments von A ersichtlich wird, ob er seine beiden Kinder als Rechtsnachfolger-Einheit für seinen gesamten Nachlass betrachtet oder ob die Grundstücke eine so überragende Bedeutung haben, das...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Preißer, Erbschaft- und Schenkungsteuer (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?


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