Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 30
Maßgeblich ist die Inländereigenschaft am Stichtag der Steuerentstehung gem. § 9 ErbStG. Bei Erwerben von Todes wegen entsteht die Steuer grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers, bei Schenkungen unter Lebenden mit Ausführung der Zuwendung. Hierbei sind insbesondere die Fälle von § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a bis j ErbStG zu beachten, in denen die Steuer zu einem späteren Zeitpunkt als dem Todeszeitpunkt des Erblassers entsteht. Denkbar ist hierbei, dass der Erwerber noch gestaltend auf die Steuerpflicht Einfluss nehmen kann.
Beispiel 1 (Zeitpunkt der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs):
V, der seit Jahren im Ausland lebt, stirbt im Dezember 2020. Alleinerbin ist seine Tochter T. Der Sohn des S ist pflichtteilsberechtigt. Er ist deutscher Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz im Januar 2016 ins Ausland verlegt und unterhält seither keinen inländischen Wohnsitz.
a) S macht seinen Pflichtteilsanspruch im Dezember 2020 geltend.
b) S macht seinen Pflichtteilsanspruch im Februar 2021 geltend.
Lösung:
a) Die Steuer entsteht für den pflichtteilsberechtigten S nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. S erfüllt die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht (s. Rn. 60 ff.), da zwischen Wegzug ins Ausland und Entstehung der Steuer weniger als fünf Jahre vergangen sind. S ist zum Zeitpunkt der Steuerentstehung Inländer i. S. v. § 2 Abs. 1 Satz 2 ErbStG. Der Vorgang unterliegt der unbeschränkten Steuerpflicht.
b) S erfüllt nicht die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht, da die Fünfjahresfrist im Zeitpunkt der Steuerentstehung bereits abgelaufen ist (s. Rn. 60 ff.). S ist kein Inländer i. S. v. § 2 Abs. 1 Satz 2 ErbStG. Der Pflichtteilsanspruch unterliegt auch nicht der beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (s. Rn. 108 ff.). Der Vorgang ist im Inland nicht steuerpflichtig.
Beispiel 2 (bedingtes Vermächtnis):
V, der seit Jahren im ausländischen Staat A lebt, stirbt im Dezember 2020. Alleinerbe ist sein Sohn S. Seine Tochter T erhält ein Geldvermächtnis. Dieses ist aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Heirat der T. T ist deutsche Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz im Januar 2016 zu ihrem ausländischen Lebensgefährten L in den ausländischen Staat B verlegt und unterhält seither keinen inländischen Wohnsitz.
a) T heiratet L im Dezember 2020.
b) T heiratet L im Februar 2021.
Lösung:
a) Die Steuer entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG bei einem Erwerb unter einer aufschiebenden Bedingung mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung. T erfüllt die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht (s. Rn. 60 ff.), da zwischen Wegzug ins Ausland und Entstehung der Steuer weniger als fünf Jahre vergangen sind. T ist zum Zeitpunkt der Steuerentstehung Inländer i. S. v. § 2 Abs. 1 Satz 2 ErbStG. Der Vorgang unterliegt der unbeschränkten Steuerpflicht.
b) T erfüllt nicht die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht, da die Fünfjahresfrist im Zeitpunkt der Steuerentstehung bereits abgelaufen ist (s. Rn. 60 ff.). T ist damit kein Inländer i. S. v. § 2 Abs. 1 Satz 2 ErbStG. Das Geldvermächtnis unterliegt auch nicht der beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (s. Rn. 108 ff.). Der Vorgang ist im Inland nicht steuerpflichtig.
Rz. 31
Streitig sind die steuerlichen Folgen, wenn der Nacherbe kein Inländer ist und er gem. § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG beantragt hat, dass sein Erwerb als vom Vorerben stammend besteuert wird. Hier könnte der ursprüngliche Erblasser, und damit dessen Inlandseigenschaft, für die Prüfung der Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht maßgeblich sein, aber auch der Vorerbe und damit dessen Inländereigenschaft (s. Hannes/Holtz in M/H/H, § 2 Rn. 7; Jülicher in T/G/J/G, § 2 Rn. 43; Weinmann in M/W, § 2 Rn. 15).
Rz. 32
Die gleiche Problematik der gestreckten Erwerbstatbestände tritt auf bei:
- Schlusserben eines Berliner Testaments
und
- bei Destinatären, wenn die Familienstiftung aufgelöst wird.
Die h. M. (statt aller Jülicher in T/G/J/G, § 2 Rz. 43) gesteht dem "Zweiterwerber" ein Wahlrecht zu.
Rz. 33–35
vorläufig frei