Rz. 89
Stirbt der Pflichtteilsberechtigte, so liegen bei Geltendmachung des Pflichtteils zwei steuerpflichtige Erwerbe vor: zum einen der Erwerb des ursprünglichen Pflichtteilsberechtigten, für den dessen Erben die Erbschaftsteuer schulden, und zum anderen der Erwerb des Pflichtteilsanspruchs im Rahmen des Nachlasses, der von den Erben des Pflichtteilsberechtigten zu versteuern ist. Muscheler ist der Ansicht, in diesem Fall entstehe die Erbschaftsteuer für den Erben des Pflichtteilsberechtigten schon mit dessen Tod und somit auch für den Fall, dass die Pflichtteilsforderung nicht geltend gemacht werde (s. ZEV 2001, 377, 379). Diese Ansicht ist abzulehnen. Zwar verstößt sie, wie Muscheler zutreffend ausführt, nicht gegen das Prinzip der Universalsukzession. Aber das hinter § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG stehende Prinzip wird verletzt. Die Erbschaftsteuer wäre dann doch ein Grund, den Pflichtteil geltend zu machen. Das soll durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG vermieden werden.
Mit Urteil vom 07.12.2016 (ZEV 2017, 283) hat der BFH entschieden, dass ein vom Erblasser nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch zum Nachlass gehört und beim Erben der Besteuerung aufgrund des Erbfalls unterliegt. Auf die Geltendmachung durch den Erben kommt es nicht an, denn § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wonach der Erwerb des Pflichtteilsanspruchs nur bei dessen Geltendmachung durch den Pflichtteilsberechtigten der Erbschaftsteuer unterliegt, gilt nicht beim derivativen Erwerb, wenn also der Pflichtteilsanspruch durch den Erbanfall erworben wurde. Hier entsteht die Steuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bereits mit dem Tode des Pflichtteilsberechtigten, ohne dass es auf die Geltendmachung des Anspruchs durch dessen Erben ankommt (ebenda ZEV 207, 283, 284). Nach Wachter folgt hier das Steuerrecht der rein zivilrechtlichen Betrachtung, nach der der Pflichtteilsanspruch nach § 2317 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes mit dem Eintritt des Erbfalls entsteht (Wachter, Anm. zu BFH vom 07.12.2016, ZEV 2017, 2084).