Rz. 114
Verzichtet der Pflichtteilsberechtigte nach dem Tod des Erblassers auf den bereits entstandenen Pflichtteil, oder schlägt jemand einen Erbteil oder ein Vermächtnis aus und erhält hierfür jeweils eine Abfindung, so muss gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG die Abfindung der Erbschaftsteuer unterworfen werden (s. § 3 Rn. 460). In diesem Fall entsteht die Steuer gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f ErbStG mit dem Zeitpunkt des Verzichts oder der Ausschlagung und damit unabhängig von der Frage, wann die Abfindung gezahlt wird.
Rz. 115
Wurde hingegen zunächst keine Abfindung vereinbart, wird eine solche nach der Ausschlagung oder dem Verzicht dennoch gezahlt, so handelt es sich um eine Schenkung unter Lebenden, auf die § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG Anwendung findet.
Anders sieht die Situation beim weichenden Erbprätendenten aus. Abfindungszahlungen an einen Erbprätendenten bei unklarer oder bestrittener Rechtslage waren einerseits u. U. (nämlich nur, wenn die Abfindungszahlung ihren letzten Rechtsgrund im Erbrecht hat, d. h. der Erblasser dies in irgendeiner Form vorgesehen hat) beim Empfänger nicht erbschaftsteuerpflichtig, da sie nicht als vom Erblasser herrührend bewertet werden können. Andererseits waren die Zahlungen beim zahlenden Erben als Kosten, die dem Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit der Erlangung des Erwerbs (meist durch zeitnahe Einigung und Vermeidung eines langwierigen Rechtsstreits) entstehen, von dem eigenen Erwerb abziehbar. Hierin sah der Gesetzgeber eine Besteuerunglücke, die er mit dem "Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz" vom 23.06.2017 (BGBl I 2017, 1682) und der Änderung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f ErbStG – entsprechend der Änderung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG – schließen will. Demnach sind die Merkmale "der Zurückweisung oder der Erklärung über das Nichtgeltendmachen" hinzugefügt worden. Zugleich wurde der Zeitpunkt der Steuerentstehung geändert: Bislang entstand die Erbschaftsteuer auf Abfindungszahlungen gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f ErbStG mit dem Tod des Erblassers. Nunmehr ist der "Zeitpunkt der Erklärung über das Nichtgeltendmachen" gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f ErbStG entscheidend. Es kommt also auf den Verzicht bzw. die Ausschlagung selbst an, was eine Änderung in der Steuersystematik bedeutet, da nicht mehr der Tod des Erblassers für die Steuerentstehung maßgeblich ist und auch nicht wie in § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG die Erfüllung des Abfindungsanspruchs entscheidend ist (vgl. Leidel, ZEV 2017, 357, 364 m. w. N., der allerdings im Hinblick auf das Merkmal "Erklärung über das Nichtgeltendmachen" als neue "zu verrechtlichende Erklärung" eine falsche systematische Regelung sieht). Somit ermöglicht eine genaue Planung und Durchführung durch einen späteren Vereinbarungszeitpunkt eine Verschiebung des Erwerbszeitpunktes vom Todestag des Erblassers, so dass ggf. Zehnjahreszeiträume i. S. d. § 14 ErbStG genutzt werden können. Anwendbar ist die Neuregelung auf Erwerbe, für die die Steuer nach dem Tag der Verkündung des Gesetzes entstanden ist (§ 37 Abs. 14 ErbStG).