Rz. 58
§ 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 ErbStG regelt den in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Nacherbe neben der Nacherbschaft auch noch nacherbschaftsfreies Vermögen des Vorerben erbt. Ohne den Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG wird sodann der Erwerb vom Vorerben und vom Erblasser als ein Erwerb vom Vorerben behandelt (Fiktion des § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG). Stellt der Nacherbe jedoch den Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG ergibt sich eine Trennung zwischen Vorerbschafts- und vorerbschaftsfreiem Vermögen. Die Behandlung dieser Konstellation regelt § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 ErbStG:
Rz. 59
- Satz 3 legt zunächst fest, dass beide Steueranfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln sind.
- Diese Trennung wird sodann in Satz 4 hinsichtlich der persönlichen Freibeträge (zur Vermeidung von Missbrauchsgestaltungen) wieder teilweise eingeschränkt.
- Gleiches gilt für Satz 5, der bestimmt, dass zur Ermittlung der Steuersätze der beiden Erwerbe jeweils der Gesamterwerb zu betrachten ist (Progressionsvorbehalt).
Rz. 60
Die Trennung der beiden Erwerbe sieht Satz 3 nur hinsichtlich der Steuerklasse vor. Die Erwerbe sind daher bezüglich Steuersätzen, Freibeträgen sowie sonstigen Tarifvorschriften getrennt zu behandeln. Gleichwohl liegt aber ansonsten nach der Konzeption des Gesetzgebers ein einheitlicher Erwerb vor. Die Feststellungslast, dass und in welchem Umfang im Nachlass des Vorerben der Nacherbfolge unterliegendes Vermögen enthalten ist, trägt der Nacherbe (s. BFH vom 21.03.2002, BStBl II 2002, 417 sowie BFH vom 28.02.2007, BFH/NV 2007, 919).
Rz. 61
Durch die partielle Trennung der Erwerbe gem. Satz 3 sollen dem Nacherben jedoch nicht zwei persönliche Freibeträge gewährt werden. Deshalb begrenzt Satz 4 den auf das nacherbschaftsfreie Vermögen zu gewährenden Freibetrag insoweit, als der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen (noch) nicht verbraucht ist. Dies hat zur Folge, dass der Freibetrag für den Erwerb des Nacherbschaftsvermögens (nachfolgend: günstigerer Freibetrag) stets in dem Umfang gewährt wird, wie er auch gewährt würde, wenn kein sonstiges Vermögen des Vorerben auf den Nacherben überginge. Dem hingegen ist der auf dem Erwerb des nacherbschaftsfreien Vermögens beruhende Freibetrag (nachfolgend: der weniger günstige Freibetrag) auf den Betrag begrenzt, der beim günstigeren Freibetrag noch nicht aufgebraucht ist, maximal auf seinen eigenen Höchstbetrag, z. B. 20.000 EUR bei Steuerklasse II oder III (s. BFH vom 02.12.1998, BStBl II 1999, 235; Riedel, ZErb 2002, 316 ff.). Für die Ermittlung des Wertes des weniger günstigen Freibetrages ist daher zunächst zu fragen, ob und wenn ja, in welcher Höhe der günstigere Freibetrag nicht ausgeschöpft wurde. In Höhe des noch unausgeschöpften Betrages wird der weniger günstige Freibetrag gewährt, allerdings maximal in Höhe seines eigenen Höchstbetrages. Dies bedeutet, dass maximal der Wert des günstigeren Freibetrages ausgeschöpft werden kann und zwar dann, wenn der günstigere Freibetrag entweder bereits durch den Erwerb des Nacherbschaftsvermögens voll aufgebraucht wurde oder der noch nicht ausgeschöpfte Betrag höchstens dem Höchstbetrag des weniger günstigen Freibetrages entspricht (vgl. auch das folgende Beispiel). Dies gilt auch dann, wenn sich der Nachlass des Vorerben aus eigenem Vermögen und mehreren Vorerbschaftsvermögen zusammensetzt (s. FG München vom 20.11.2019, EFG 2020, 288; Rev. BFH: II R 1/20).
Satz 5 sieht (nach Vorbild des § 19 Abs. 2 ErbStG) des Weiteren einen Progressionsvorbehalt vor, um Progressionsminderungen durch die Aufteilung in zwei Erwerbe zu verhindern. Der Steuersatz für den jeweiligen Teilerwerb ist daher unter Zugrundelegung des Gesamterwerbes zu ermitteln, allerdings unter Beachtung der jeweiligen Steuerklasse. Die Härtefallregelung des § 19 Abs. 3 ErbStG kommt nur in Betracht, wenn der Gesamterwerb in den Anwendungsbereich der Härtefallregelung (vgl. H E 19 ErbStH) fällt. Einzelheiten vgl. § 19 Rn. 43 ff. sowie Kirschstein, ZEV 2001, 347 ff. mit zahlreichen Berechnungsbeispielen). Ein doppelter Härteausgleich ist ausgeschlossen (BFH vom 09.07.2009, BFH/NV 2009, 1994).
Vater V setzt seine Tochter T als Vorerbin und seinen Sohn S als Nacherben beim Tod der T ein. Der steuerliche Nachlasswert beim Eintritt des Nacherbfalls beträgt: 150.000 EUR (Variante 1), 395.000 EUR (Variante 2), 500.000 EUR (Variante 3). Außerdem erhält S von T vermächtnishalber einen Nachlassgegenstand im steuerlichen Wert von 150.000 EUR. S stellt den Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG.
Lösung: