Rz. 30
Versicherungsunternehmen haften nach § 20 Abs. 6 Satz 1 ErbStG, wenn sie von ihnen zu leistende Versicherungssummen oder Rentenbeträge in das Ausland auszahlen oder einem im Ausland wohnenden Berechtigten zur Verfügung stellen, bevor die für den Vorgang – gemeint ist der gesamte Erbfall – entstandene Steuer entrichtet oder sichergestellt ist.
Die Haftung besteht zusätzlich neben der Haftung des jeweiligen Erwerbers für die Steuer so lange, bis die Steuer entrichtet oder zumindest sichergestellt ist. Im Wesentlichen liegen der Auszahlung bzw. Zurverfügungstellung Erwerbsvorgänge nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG (vgl. § 3 Rn. 401 f.) zugrunde, mithin die Gewährung von Versicherungsleistungen aufgrund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrages zugunsten Dritter auf den Todesfall. Zudem ist zu beachten, dass die Haftung nur entsteht, wenn die Zahlung in das Ausland erfolgt. Davon ist auszugehen, wenn die Zahlung auf ein im Ausland geführtes Bankkonto erfolgt (s. Richter/Fischer in V/S/W, § 20 Rn. 24). Die Haftungsfolge ist auch gegeben, wenn die Zurverfügungstellung von Geldbeträgen an einen im Ausland wohnhaften Berechtigten erfolgt. Mit der Regelung in § 20 Abs. 6 ErbStG wird an den Begriff des Wohnsitzes nach § 8 AO und an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 9 AO angeknüpft. Gemäß § 8 AO hat jemand dort einen Wohnsitz, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat nach § 9 AO jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Abgrenzung in § 20 Abs. 6 Satz 1 ErbStG erfolgt jedoch negativ, das heißt, Zahlungen oder Leistungen an Dritte, die im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, lösen keine Haftung des Versicherungsunternehmens nach § 20 Abs. 6 Satz 1 ErbStG aus. Das Inland ist in § 2 Abs. 2 ErbStG nur unzureichend definiert und bezieht sich im Wesentlichen auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Es ist also gleichzusetzen mit dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Festlandsockels i. S. d. § 2 Abs. 2 ErbStG (s. § 2 Rn. 178 sowie Wilms in W/J, § 2 Rn. 36). Da das Ausland nicht definiert ist, betrifft es alle Territorien, die nicht Inland in diesem Sinne sind.
Rz. 31
Entscheidend ist, dass der Dritte zum Zeitpunkt der Auszahlung bzw. Zurverfügungstellung im Ausland wohnhaft ist. Sein Status zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer ist hierfür unmaßgeblich (s. Richter/Fischer in V/S/W, § 20 Rn. 24; Geck in K/E, § 20 Rn. 26; s. Gebel in T/G/J/G, § 20 Rn. 61). Das Zurverfügungstellen ist schon dann gegeben, wenn es dem Berechtigten möglich ist, freien Zugriff auf den Versicherungsbetrag zu haben. Dies ist z. B. gegeben, wenn die Zahlung auf ein im Inland befindliches Bankkonto eines ausländischen Berechtigten überwiesen wird (s. FG München vom 21.12.1994, UVR 1995, 153).
Rz. 31a
Anders ist der Fall der Auszahlung einer Versicherungsleistung aus einer Direktversicherung an einen Arbeitnehmer zu beurteilen. Hier erkennt die Finanzverwaltung nach BMF-Schreiben vom 11.02.2014 (DStR 2014, 854) aufgrund des Fehlens einer freigiebigen Zuwendung zwischen Arbeitnehmer (= Bezugsberechtigtem) und Arbeitgeber (= Versicherungsnehmer) keinen steuerpflichtigen Erwerb, so dass die Haftung nach § 20 Abs. 6 Satz 1 ErbStG nicht greift (vgl. Geck/Messner, ZEV 2014, 244, 246).
Rz. 32
Der inländische Testamentsvollstrecker ist nicht in diesem Sinne berechtigter Bevollmächtigter oder Dritter, an den eine Zahlung die Haftung nach § 20 Abs. 6 Satz 1 ErbStG auslösen kann, wenn er kraft seines Amtes tätig wird (s. Gebel in T/G/J/G, § 20 Rn. 61; Werkmüller, ZEV 2001, 480, 481), da das Vermögen dann noch nicht in die Hände des Erben gelangt. Zur eigenen Haftung des Testamentsvolltreckers s. Rn. 42. Umgekehrt kann die Auszahlung oder Zurverfügungstellung an einen ausländischen Testamentsvollstrecker eine Haftung des Versicherungsunternehmens nach § 20 Abs. 6 Satz 1 ErbStG – oder der sonstigen Gewahrsamsinhaber nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG – begründen.
Rz. 32a
Eine Bank muss sich auch nicht einer Inanspruchnahme gem. § 20 Abs. 6 ErbStG aussetzen und kann die Auszahlung einer Forderung einer Erbengemeinschaft so lange verweigern, bis ihr eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung vorliegt, sofern auch nur ein Mitglied einer ungeteilten Erbengemeinschaft im Ausland lebt (LG Frankfurt a. M. vom 21.11.2013, WM 2014, 166).
Rz. 33
Die Haftung nach § 20 Abs. 6 ErbStG ist betragsmäßig auf die Höhe des ausgezahlten Betrages begrenzt. Ein Verschulden des Versicherungsunternehmens oder eine positive Kenntnis vom Auslandswohnsitz des Berechtigten ist für die Haftung nach § 20 Abs. 6 Satz 1 ErbStG nicht erforderlich.