Rz. 130
Im Falle der Vor- und Nacherbschaft existiert bereits beim Tod des ursprünglichen Erblassers ein sog. Anwartschaftsrecht des Nacherben, denn der Vorerbe kann ihm seine Erwerbsaussicht nicht entziehen. Das Recht ist veräußerlich, pfändbar und grundsätzlich auch vererblich (s. Avenarius in Staudinger, § 2100 BGB Rn. 73 sowie § 6 Rn. 16 ff.). Stirbt also der Nacherbe, so geht das Anwartschaftsrecht im Regelfall auf seine Erben über, die dann beim Eintritt der Nacherbfolge an die Stelle des ursprünglichen Nacherben nach Wegfall des Vorerben treten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Erblasser ausdrücklich eine andere Regelung getroffen hat (s. § 2108 Abs. 2 Satz 1 letzter HS BGB). Tritt die Nacherbfolge nicht mit dem Tod des Vorerben ein, sondern mit einem anderen Ereignis, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Vererblichkeit ausgeschlossen sein sollte (s. § 2108 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 2074 BGB).
Rz. 131
Schon aus § 6 ErbStG ergibt sich, dass der Nacherbe beim Tod des ursprünglichen Erblassers noch keinen Erwerb zu versteuern hat. § 10 Abs. 4 ErbStG bestätigt dies noch einmal und zieht für die Erben des Nacherben die logische Konsequenz, dass auch sie dieses Anwartschaftsrecht beim Tod des Nacherben nicht versteuern müssen. Das ergibt sich allerdings auch schon aus §§ 4, 8 BewG, denn es handelt sich bei dem Erwerb eines Anwartschaftsrechtes um einen aufschiebend bedingten/betagten Erwerb. Die eigentliche Aussage von § 10 Abs. 4 ErbStG ist jedoch, dass das Anwartschaftsrecht nicht Teil des Nachlasses ist. Damit ist zumindest für den Fall der Nacherbschaft geklärt, dass zum Zeitpunkt des Eintritts der Nacherbfolge von den Erben des Nacherben nur ein Erwerb versteuert werden muss, der als Erwerb vom Vorerben gilt (s. § 6 Abs. 2 ErbStG). Dies gilt nicht nur beim Erwerb von Todes wegen, sondern auch, wenn das Anwartschaftsrecht durch eine freigebige Zuwendung auf einen Dritten übertragen wurde (s. BFH vom 28.10.1992, BStBl II 1993, 158).
Rz. 132
Das gleiche Problem stellt sich jedoch auch in anderen Fällen, in denen jemand ein aufschiebend bedingtes/betagtes Recht erwirbt und dieses, sei es durch Tod, sei es durch Schenkung, auf einen Dritten übergeht, bevor die Bedingung eingetreten ist. Zu Recht plädieren Hannes/Holtz (M/H/H, § 10 Rn. 37) dafür, aus § 10 Abs. 4 ErbStG den allgemeinen Rechtsgedanken abzuleiten, dass in diesen Fällen immer nur ein (1) Erwerb zu versteuern ist und zwar von demjenigen, der Inhaber des Gegenstandes/Rechts zum Zeitpunkt des Bedingungseintritts ist.
Rz. 133
Zur Behandlung bei entgeltlicher Übertragung oder Ablösung des Anwartschaftsrechts s. § 3 Rn. 481 ff. und s. Rn. 248.
Rz. 134
Aus dieser Kommentierung wird auch ersichtlich, dass die (vom Zivilrecht abweichende) Regelung in § 6 Abs. 1 ErbStG (Vorerbe = Erbe) zwangsläufig in das Erbschaftsteuerrecht zu übernehmen war.
Rz. 135–140
vorläufig frei