5.3.1 Pflichtteile und ihre "Abfindung"

 

Rz. 290

Nachdem der Erblasser – vom Entzug abgesehen – das Pflichtteilsrecht nicht durch letztwillige Verfügung aufheben kann, muss er versuchen, den Pflichtteilsberechtigten im Vorfeld zu einem Verzicht auf den Anspruch zu bewegen. Hierfür wird der Berechtigte eine Gegenleistung fordern. Während dieser Fall des antizipierten Pflichtteilsanspruchs nicht geregelt wurde, ist der Fall der Abfindung des bereits entstandenen Pflichtteilsanspruchs in § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG ausdrücklich geregelt.

 

Rz. 291

Für den präventiven Ausgleich kann die Antwort nur lauten: Mangels gesetzlicher Regelung liegt kein Erbschaftsteuertatbestand vor, da ein Pflichtteilsanspruch noch nicht entstanden ist. Eine Analogie zu § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG verbietet sich wegen fehlender Vergleichbarkeit ebenso wie eine extensive Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG ("vermächtnisgleicher Erwerb"). Dessen ungeachtet unterliegt die Geldzahlung der Schenkungsteuer (s. § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG; Einzelheiten vgl. § 7 Rn. 616 ff.).

 

Rz. 292

Problematisch sind jedoch die "fehlerhaften" oder "falschen" Verzichtsverträge.

 
Praxis-Beispiel

Die Kinder des (künftigen) Erblassers schließen untereinander einen Vertrag, in dem eines der Kinder gegen Entgelt auf künftige Pflichtteilsansprüche verzichtet.

Lösung:

Mangels "Partnerfähigkeit" für einen Verzichtsvertrag (der Erblasser ist nicht beteiligt!) liegt kein wirksamer Verzichtsvertrag nach § 2346 BGB vor; folglich kommt auch § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG nicht zur Anwendung. Es liegt aber eine freigebige Zuwendung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor, wonach der Empfänger der Zahlung bereichert ist, auch wenn er nur auf eine Vermögenschance verzichtet hat; dazu ausführlich s. § 7 Rn. 619 und 619a – auch zur Frage der Steuerklasse (nach BFH nunmehr: Erwerb nach Steuerklasse II).

5.3.2 Steuerpflicht auch der Nebenansprüche (§§ 2305, 2325 BGB)?

 

Rz. 293

Wegen der ausdrücklichen Bezugnahme auf die §§ 2303 ff. BGB unterliegen auch die Pflichtteils-Nebenansprüche (der Restanspruch wie der Ergänzungsanspruch) der Erbschaftsteuer.

5.3.3 (Pflichtteils-)Erfüllungssurrogat: Grundstück

 

Rz. 294

Für den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht mit einem Geldbetrag, sondern mit einer Sache, insb. einem Grundstück, abgefunden wird, stellen sich zwei Fragen:

  1. Mit welchem Wert wird dieser Pflichtteilserwerb angesetzt: Nominal- oder Steuerwert?
  2. Mit welchem Wert wird die Pflichtteilsschuld beim Erben abgezogen?
 

Rz. 295

Zu Frage 1: Bewertung des Erfüllungssurrogats als Aktivposten

Aufgrund älterer Rspr. war das Erfüllungssurrogat "Immobilie" grunderwerbsteuerbefreit und daher ein häufiges Gestaltungsvehikel für die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs. Nachdem aber der BFH mit Urteil vom 10.07.2002 (BStBl II 2002, 775) seine Rspr. zu § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG geändert hat und Grunderwerbsteuer annimmt, hat diese Gestaltungsform an Beliebtheit etwas eingebüßt.

Nach der übereinstimmenden Rspr. von BGH (vom 01.10.1958, BGHZ 28, 177) und des BFH (vom 07.10.1998, BStBl II 1999, 23; allerdings zu § 10 ErbStG) ist der Pflichtteilsanspruch – unabhängig von seiner konkreten Erfüllungsleistung – immer als Geld(-summen-)forderung zu qualifizieren und daher mit dem Nominalbetrag anzusetzen.

 

Rz. 296

Zu Frage 2: Bewertung des Erfüllungssurrogats als Nachlassschuld

Nach einer kurzen Phase der Rechtsunsicherheit, die durch die Grunderwerbsteuer ausgelöst war, ist der BFH in der bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahre 1998 wieder zu seiner alten Rspr. zurückgekehrt, nach der auch die Immobilie mit dem Nominalwert abgezogen wird.

 

Rz. 297

Hinweis: Das uneingeschränkte Korrespondenzprinzip (Aktiv- wie Passivpart des "Immobilienpflichtteils" mit dem Nominalansatz) führt dennoch zu Wert-Verwerfungen, wenn etwa der Erbe sein geerbtes Grundstück mit dem Steuerwert ansetzen darf, der Pflichtteilsberechtigte hingegen den meist höheren Wert zu versteuern hat und zusätzlich die Übertragung des Grundstücks vom Erben mit dem höheren Wert abgezogen werden kann. Das Dilemma ist mehrfach angesprochen worden (s. nur Meincke, § 3 Rn. 53 m. w. N., u. a. 64. Deutscher Juristentag, Bd. II/1 L 118), ohne dass Verwaltung oder Gesetzgeber eine Änderung herbeiführten.

Auch die daraufhin einsetzende "Teilverzichts"-Lösung, die mit einer Immobilie – mit dem dann niedrigeren Steuerwert – abgegolten wurde (Auswechslung des Leistungsinhalts), ist zwischenzeitlich vom BFH (Urteil vom 07.10.1998, BStBl II 1999, 23) aufgehoben worden.

5.3.4 Umgehung der Pflichtteilssteuer

 

Rz. 298

In der Literatur (statt aller s. K/E, § 3 Rn. 208 f. sowie Hannes/Holtz, in M/H/H, § 3 Rn. 54) werden folgende Verschonungsalternativen vorgeschlagen:

  • vorgezogene vorweggenommene Erbfolge, wobei auf den Zehnjahreszeitraum (s. § 2325 Abs. 3 BGB) zu achten ist;
  • Verzicht auf den Pflichtteil (s. § 2346 BGB), ggf. modifizierter Verzicht (s. hierzu Nieder in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 6, XVIII);
  • Verringerung des Pflichtteilsanspruchs.

In allen Fällen ist jedoch auf den Ersatztatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG zu achten.

 

Rz. 299–309

vorläufig frei

Dieser Inhalt ist unter anderem im Preißer, Erbschaft- und Schenkungsteuer (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?