Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 294
Für den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht mit einem Geldbetrag, sondern mit einer Sache, insb. einem Grundstück, abgefunden wird, stellen sich zwei Fragen:
- Mit welchem Wert wird dieser Pflichtteilserwerb angesetzt: Nominal- oder Steuerwert?
- Mit welchem Wert wird die Pflichtteilsschuld beim Erben abgezogen?
Rz. 295
Zu Frage 1: Bewertung des Erfüllungssurrogats als Aktivposten
Aufgrund älterer Rspr. war das Erfüllungssurrogat "Immobilie" grunderwerbsteuerbefreit und daher ein häufiges Gestaltungsvehikel für die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs. Nachdem aber der BFH mit Urteil vom 10.07.2002 (BStBl II 2002, 775) seine Rspr. zu § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG geändert hat und Grunderwerbsteuer annimmt, hat diese Gestaltungsform an Beliebtheit etwas eingebüßt.
Nach der übereinstimmenden Rspr. von BGH (vom 01.10.1958, BGHZ 28, 177) und des BFH (vom 07.10.1998, BStBl II 1999, 23; allerdings zu § 10 ErbStG) ist der Pflichtteilsanspruch – unabhängig von seiner konkreten Erfüllungsleistung – immer als Geld(-summen-)forderung zu qualifizieren und daher mit dem Nominalbetrag anzusetzen.
Rz. 296
Zu Frage 2: Bewertung des Erfüllungssurrogats als Nachlassschuld
Nach einer kurzen Phase der Rechtsunsicherheit, die durch die Grunderwerbsteuer ausgelöst war, ist der BFH in der bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahre 1998 wieder zu seiner alten Rspr. zurückgekehrt, nach der auch die Immobilie mit dem Nominalwert abgezogen wird.
Rz. 297
Hinweis: Das uneingeschränkte Korrespondenzprinzip (Aktiv- wie Passivpart des "Immobilienpflichtteils" mit dem Nominalansatz) führt dennoch zu Wert-Verwerfungen, wenn etwa der Erbe sein geerbtes Grundstück mit dem Steuerwert ansetzen darf, der Pflichtteilsberechtigte hingegen den meist höheren Wert zu versteuern hat und zusätzlich die Übertragung des Grundstücks vom Erben mit dem höheren Wert abgezogen werden kann. Das Dilemma ist mehrfach angesprochen worden (s. nur Meincke, § 3 Rn. 53 m. w. N., u. a. 64. Deutscher Juristentag, Bd. II/1 L 118), ohne dass Verwaltung oder Gesetzgeber eine Änderung herbeiführten.
Auch die daraufhin einsetzende "Teilverzichts"-Lösung, die mit einer Immobilie – mit dem dann niedrigeren Steuerwert – abgegolten wurde (Auswechslung des Leistungsinhalts), ist zwischenzeitlich vom BFH (Urteil vom 07.10.1998, BStBl II 1999, 23) aufgehoben worden.