Dipl.-Kffr. Christina Vosseler, Francoise Dammertz
Rz. 31
Der durch das vereinfachte Ertragswertverfahren ermittelte gemeine Wert des Einzelunternehmens, kann auch negativ sein. Er darf jedoch den Mindestwert (Substanzwert) nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht unterschreiten. Der Substanzwert ist nur anzusetzen, sofern dieser höher ist als der im vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelte Ertragswert (ggf. erhöht bzw. gekürzt um bestimmte gesonderte Wertansätze nach § 200 Abs. 2 bis 4 BewG). Wurde der Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten des Unternehmens oder einer anderen anerkannten, üblichen Methode ermittelt (s. § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 BewG (s. R B 11.4 Abs. 4 Satz 4 ErbStR) gilt die Mindestwertregelung ebenfalls. Alle zum (ertragsteuerlichen) BV gehörenden WG (Aktiva und Passiva; dazu § 95 Abs. 1 BewG i. V. m. R B 95, 99 bis 103.3 ErbStR, wonach gilt: ertragsteuerliches BV = bewertungsrechtliches BV) sind durch den Bedarfswert erfasst und haben somit keine Bedeutung mehr z. B. für andere Vermögensarten oder für die Nachlassverbindlichkeiten (Gesamtbewertung). Steuerbilanzwerte sind für das vereinfachte Ertragswertverfahren ohne Bedeutung. Bei ausländischen Unternehmen ist der Substanzwert nach den Verhältnissen des jeweiligen Landes zu ermitteln (dies ist z. B. relevant, wenn sich die Preise für im Vermögen befindliche Rohstoffe von Land zu Land unterscheiden; s. Kowanda, ErbStB 2019, 52).
Rz. 32
Exkurs
Im Zuge der Substanzwertermittlung sind gem. R B 11.6 Abs. 3 ErbStR Korrekturen vorzunehmen, wenn der Bewertungsstichtag nicht mit dem Ende des Wirtschaftsjahres übereinstimmt. Aus Vereinfachungsgründen kann der Substanzwert aus dem Abschluss des letzten Wirtschaftsjahres vor dem Bewertungsstichtag abgeleitet werden. Im Zuge dessen werden Abschreibungen und Erhaltungsaufwendungen für Betriebsgrundstücke für den Zeitraum nach dem letzten Abschlussstichtag dem Ergebnis wieder hinzugerechnet. Für Unternehmen, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Substanzwert zum Ansatz kommt (z. B. Immobilienunternehmen), empfiehlt es sich daher, auf eine unterjährige Übertragung zu verzichten, um die werterhöhenden Hinzurechnungen zu vermeiden. Lässt sich eine unterjährige Übertragung nicht verhindern, sollte zumindest versucht werden, am Anfang des Wirtschaftsjahres zu übertragen, um die Hinzurechnungen gering zu halten.
Beispiel:
Ein Unternehmen, dessen Wirtschaftsjahr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, wird zum 31.10.2020 übertragen. Der Substanzwert kommt zum Ansatz, da er größer ist als der vereinfachte Ertragswert. Vom 01.01.2020 bis zum 31.10.2020 liegen Abschreibungen und Erhaltungsaufwendungen für Betriebsgrundstücke i. H. v. 700.000 EUR vor. Dieser Betrag wird dem Ergebnis hinzugerechnet, sodass der Substanzwert entsprechend höher ausfällt.
Rz. 33
In den Fällen der Nr. 2 und 3 des R B 199.1 Abs. 6 ErbStR bestehen nach R B 199.1 Abs. 6 Satz 2 ErbStR grds. keine Bedenken, den Substanzwert als Mindestwert (s. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG) anzusetzen, sofern dies nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Bei der Ermittlung des Mindestwertes wird von der Unternehmensfortführung ausgegangen. Dabei sind die gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter aufzusummieren. Es sind nur jene Wirtschaftsgüter einzubeziehen, die zum Betriebsvermögen gem. §§ 95 ff. BewG gehören (s. Krumm/Leingärtner, Rz. 41). Aktive und passive Wirtschaftsgüter sind auch dann anzusetzen, wenn für sie ein steuerliches Aktivierungs- oder Passivierungsverbot besteht (s. Eisele in R/T § 11 BewG Rz. 41).
Rz. 34
Das FG Düsseldorf entschied in seinem Urteil vom 03.04.2019, dass die Mindestwertregelung i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG auch bei der Bewertung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren Anwendung findet (s. FG Düsseldorf vom 03.04.2019, DStR 2019, 1807). Grund dafür sei, dass der Substanzwert vor allem eine Untergrenze darstellen soll, die auch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen kann. Die Mindestwertregel findet somit auch auf das vereinfachte Ertragswertverfahren Anwendung, auch wenn das vereinfachte Ertragswertverfahren in § 11 Abs. 2 Satz 4 BewG formuliert wurde und somit systematisch hinter § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG positioniert wurde (s. Wollny, DStR 2014, 2089). Einer anderen Auffassung nach muss der Mindestwert nur bei einer Wertermittlung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BewG berücksichtigt werden und findet auf das vereinfachte Ertragswertverfahren keine Anwendung (s. krit. Lorenz, DStR 2019, 1807, 1810). Zum einen sei das vereinfachte Ertragswertverfahren zur verlässlichen und einfachen Bewertung eingeführt worden, was einen erhöhten Bewertungsaufwand vermeiden soll (s. krit. Lorenz, DStR 2019, 1807, 1810). Auch die Begründung des FG, wonach der Substanzwert "stets" als Mindestwert anzusehen ist, greift nach der Auffassung von Lorenz nicht, da sich die zitierte Fundstelle (BT-Drs 16/7918, 38) nicht auf das vereinfachte Ertragswertverfahren beziehen würde, sondern nur auf § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BewG (s. krit. Lorenz, DStR 2019, 1807, 1810; Lorenz...