Rz. 194

Abzugsfähig sind auch Schulden, die erst nach dem Erbfall entstanden sind, für die jedoch der Erblasser den wirtschaftlichen Grund gesetzt hat. So sind Schadenersatzansprüche, die auf einer schädigenden Handlung durch den Erblasser beruhen, bei denen der Schaden aber erst nach dessen Tod eingetreten ist, abzugsfähig.

 

Rz. 195

Ebenfalls abzugsfähig ist die Einkommensteuerschuld des Erblassers aus Veranlagungszeiträumen, die vor dem Todesjahr des Erblassers endeten, da die Einkommensteuer mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres gem. § 36 Abs. 1 i. V. m. § 25 Abs. 1 EStG entsteht (vgl. R E 10.8 Abs. 2 ErbStR).

 

Rz. 196

Einkommensteuerschulden aus dem Veranlagungszeitraum, in den der Todeszeitpunkt des Erblassers fällt, entstehen erst mit Ablauf des Kalenderjahres. Diese Einkommensteuerschulden waren früher nicht als Nachlassverbindlichkeiten beim Erben abziehbar, da nach der früheren Rspr. ein Abzug einer vom Erblasser herrührenden Schuld deren rechtliches Bestehen im Todeszeitpunkt des Erblassers voraussetzt. Mit Urteil vom 04.07.2012 (BFH/NV 2012, 1738) hat der BFH eine Änderung der Rspr. herbeigeführt und folgte somit der vielfachen Kritik im Schrifttum, wonach die Doppelbelastung mit der latenten Einkommensteuerschuld und der Erbschaftsteuer ein Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip darstellt. Demnach sind die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallenden Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig. Bei einer Zusammenveranlagung von im selben Jahr verstorbenen Ehegatten sind Abschlusszahlungen für das Todesjahr analog § 270 AO aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeiten beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig.

Dieser Rechtsprechungsänderung folgt mit RE 10.8 ErbStR auch die FinVerw.

 

Rz. 197

Davon zu unterscheiden ist der Fall der sog. latenten Ertragssteuerbelastung. Hierbei geht es um Fälle, in denen der Erblasser bereits den Einkunftserzielungstatbestand erfüllt hat, es auf Grund eines fehlenden Zuflusses zu Lebzeiten aber nicht mehr zu einer Versteuerung durch den Erblasser kommen konnte, so z. B. wenn der Erbe eines Arztes, der seinen Gewinn gem. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, Teile seiner Honorare erst nach dessen Tod erhält. In diesem Fall muss der Erbe diese gem. § 24 Nr. 2 EStG der Einkommensteuer unterwerfen. Die Rechtsprechung hat einen Abzug als Nachlassverbindlichkeiten bislang abgelehnt und sich dabei auf das Stichtagsprinzip berufen. Die Steuer entstehe erst in der Person des Erben und sei von seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig (s. BFH vom 06.12.1989, BFH/NV 1990, 643). Dies entschied auch der BFH mit Urteil vom 17.02.2010 (BStBl II 2010, 641): Sind Zinsen aus Wertpapieren zum Todeszeitpunkt noch nicht zugeflossen, besteht am maßgebenden Stichtag keine Einkommensteuerschuld des Erblassers. Zwar mögen auch die bis zu seinem Tod angefallenen Stückzinsen auf dem Kapital und der Anlageentscheidung des Erblassers beruhen, damit wird die Steuer auf die Zinsen aber nicht zu seiner Einkommensteuerschuld, denn der Einkommensteuertatbestand wird erst nach dem erbschaftsteuerrechtlich maßgebenden Stichtag (§ 11 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) mit Zufluss der Zinsen in der Person des Erben verwirklicht (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). Dem entspricht es, dass § 24 Nr. 2 EStG u. a. Einkünfte aus einem früheren Rechtsverhältnis i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG mit rechtsbegründender Wirkung dem Erben zurechnet, wenn sie ihm als Rechtsnachfolger zufließen. Zugeflossen sind die Zinsen in diesem Fall aber ausschließlich dem Erben. Bei der Einkommensteuerschuld handelt es sich nicht um eine Steuerschuld des Erblassers, sondern um eine des Erben. Fließen die Zinsen dem Erben zu, kann die dafür bei ihm entstehende Einkommensteuer nicht als Nachlassverbindlichkeit bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer abgezogen werden. Das gilt auch für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2008, in denen nach der Aufhebung des § 35 EStG a. F. und vor der Einführung des § 35b EStG die Doppelbelastung nicht durch eine Anrechnungsregelung bei der Einkommensteuer abgemildert wird.

Gegen das Urteil des BFH vom 17.02.2010 wurde beim BVerfG (1 BvR 1432/10) Verfassungsbeschwerde eingelegt, die jedoch nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Demnach ist davon auszugehen, dass die Nichtberücksichtigung einer nach dem Erbfall entstehenden Einkommensteuer auf geerbte Zinsansprüche bei der Berechnung der Erbschaftsteuer als verfassungskonform anzusehen ist.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Preißer, Erbschaft- und Schenkungsteuer (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?