Rz. 21
Das Gleichstellungsgebot gilt allerdings nicht ausschließlich, sondern nur insoweit, als im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Der Erwerb von Todes wegen und Schenkungen unter Lebenden sind nicht völlig identisch. Unterschiede sind daher dort zu machen, wo die (zivilrechtliche) Unterschiedlichkeit auch eine steuerliche Unterscheidung erfordert. So handelt es sich beim Erwerb von Todes wegen um eine Gesamtrechtsnachfolge (s. Müller-Christmann in B/R/H/P, § 1922 BGB Rn. 15; Weidlich in Grüneberg, § 1922 BGB Rn. 10), während eine Schenkung unter Lebenden eine Einzelrechtsnachfolge darstellt. Dies hat erbschaftsteuerlich beispielsweise zur Folge, dass eine mittelbare Schenkung, also eine Schenkung, bei der der Entreicherungsgegenstand nicht mit dem Zuwendungsgegenstand identisch ist, als zulässig angesehen wird. Beim Erwerb durch Erbanfall ist dies ausgeschlossen, da der Erbe das Vermögen so erhält, wie es ist (s. BFH vom 10.07.1996, BFH/NV 1997, 28; BFH vom 03.07.2003, BFH/NV 2003, 1583. Dazu auch s. § 3 Rn. 21 und s. § 7 Rn. 141 ff. sowie Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 66). Auch im Bereich der Bestimmung des Zeitpunkts der Steuerentstehung kann es zu Unterschieden kommen. So entsteht die Steuer bei einer Schenkung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG im Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung, also mit Übereignung des Schenkungsgegenstandes (zu Einzelheiten s. § 9 Rn. 130 ff.). Dem hingegen entsteht gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG die Steuer beim Erwerb durch Vermächtnis grundsätzlich im Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers, obwohl in diesem Zeitpunkt der Vermächtnisnehmer lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben auf Herausgabe des Vermächtnisses hat (zu Einzelheiten s. § 9 Rn. 23).
Rz. 22
Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 1 Abs. 2 ErbStG ergibt sich, dass ein Abweichen vom Gleichstellungsgebot einer besonderen Begründung bedarf. Ein Verweis lediglich auf den Wortlaut einer Vorschrift, die nur den Erwerb von Todes wegen anspricht, reicht bereits deshalb nicht aus, da § 1 Abs. 2 ErbStG solche Fälle grundsätzlich auch auf Schenkungen unter Lebenden ausweitet. Erforderlich ist vielmehr, dass zum Gesetzeswortlaut noch weitere Argumente, beispielsweise aus der Entstehungsgeschichte oder dem systematischen Zusammenhang hinzutreten. Zwar hat der RFH in seinem Urteil vom 02.05.1941 (RStBl 1941, 564) entschieden, dass eine Ausnahme bereits dann vorliegen könne, wenn sich aus Sinn und Zweck der Norm ergebe, dass sich eine Anwendung auf Schenkungen unter Lebenden verbiete. Unter Berücksichtigung des heute in der Eingriffsverwaltung geltenden Gesetzesvorbehalts wird indes zu fordern sein, dass sich neben dem Sinn und Zweck auch aus dem Wortlaut der Regelung deren Ausnahmencharakter zumindest andeutungsweise ergibt (s. auch Hannes/Holtz in M/H/H, § 1 Rn. 26; Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 63). Das Wortlautargument hat allerdings dann eine erhöhte Bedeutung, wenn sich aus der historischen Betrachtung ergibt, dass der Gesetzgeber einen ursprünglich neutralen Wortlaut im Nachhinein auf Erwerbe von Todes wegen beschränkt hat, wie dies beispielsweise bei § 27 ErbStG mit Wirkung zum 01.01.1974 der Fall war.
Rz. 23
Die Feststellung, ob eine Regelung dem Gleichstellungsgebot unterfällt oder nicht, hat in der Praxis zu Auslegungsproblemen geführt. Bei neutralen Regelungen wie beispielsweise § 10 Abs. 3 ErbStG, § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, § 20 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG stellt sich diese Frage weniger, da diese Regelungen auch ohne große Auslegungserfordernisse sowohl auf Erwerbe von Todes wegen als auch auf Schenkungen unter Lebenden Anwendung finden. Auch bei Normen, die aus ihrer Natur heraus nur im Zusammenhang mit einem Erbfall auftreten können, wie z. B. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, entstehen keine Auslegungsprobleme (s. Weinmann in M/W, § 1 Rn. 32; Jülicher in T/G/J/G, § 1 Rn. 62). Eine tiefergehende Auslegung ist jedoch bei all den Normen erforderlich, die vom Erwerb von Todes wegen sprechen. Diese sind – ausgehend vom Grundsatz des Gleichstellungsgebotes – auch auf Schenkungen unter Lebenden anzuwenden, es sei denn aus Zweck, Systematik oder Historie ergibt sich etwas anderes. Ob dies der Fall ist, muss jeweils im Einzelfall geprüft werden.