Rz. 25
§ 1 Abs. 2 ErbStG sieht zwar eine Angleichung der Steuerfolgen der Schenkungen unter Lebenden an die des Erwerbs von Todes wegen vor. Eine Regelung, wonach die Steuerfolgen des Erwerbs von Todes wegen den Schenkungen unter Lebenden angeglichen werden, enthält das Gesetz jedoch nicht. Es stellt sich daher die Frage der umgekehrten Anwendbarkeit von § 1 Abs. 2 ErbStG. Zwar ist unmittelbar einsichtig, dass eine umgekehrte Gleichstellung nicht in Fällen möglich ist, in denen sich die Unterscheidung bereits aus dem Tatsächlichen ergibt. So kann beispielsweise der Erblasser – im Gegensatz zum Schenker – nicht mehr als Steuerschuldner herangezogen werden. Gleichfalls kann der Erblasser die Entrichtung der vom Erwerber geschuldeten Steuer nicht selbst übernehmen, wie dies der Schenker kann (§ 10 Abs. 2 ErbStG). Allerdings stellt sich unter dem Aspekt der Belastungsgleichheit die Frage, weshalb beispielsweise die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG, die Zuwendung unter Lebenden zum Zweck des angemessenen Unterhalts oder zur Ausbildung des Bedachten steuerfrei stellt, nicht auf den Erwerb von Todes wegen anwendbar sein soll (s. RFH vom 28.04.1938, RStBl 1938, 571). Dies gilt gleichfalls für die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 14 ErbStG, die die üblichen Gelegenheitsgeschenke steuerfrei stellt. Ebenso ist die Bewertungsregelung des § 7 Abs. 5 ErbStG sowie die Regelung über eine übermäßige Gewinnbeteiligung gem. § 7 Abs. 6 ErbStG von dieser Frage betroffen.
Rz. 26
Wenn auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung eine umgekehrte Anwendung von § 1 Abs. 2 ErbStG wünschenswert wäre, bleibt dennoch festzustellen, dass es hierfür an einer Rechtsgrundlage fehlt (ebenso wohl Weinmann in M/W, § 1 Rn. 34). Auch der Hinweis von Meincke/Hannes/Holtz (s. M/H/H, § 1 Rn. 29), dass das Wortlaut-Argument angesichts des dem § 1 Abs. 2 ErbStG zugrunde liegenden Gleichstellungsprinzips nur von begrenzter Überzeugungskraft sei, vermag darüber nicht hinwegzuhelfen. Zwar ist bei den einzelnen Vorschriften des Erbschaftsteuergesetzes jeweils der Anwendungsbereich unter Beachtung des Gleichstellungsgebotes zu bestimmen (wobei dem Wortlaut für die Auslegung tatsächlich eine geringere Bedeutung zukommt), dies kann jedoch nicht für § 1 Abs. 2 ErbStG gelten, da diese Vorschrift das Gleichstellungsgebot, das sodann auf andere Normen angewandt wird, erst gesetzlich kodifiziert. Eine umgekehrte Anwendung des § 1 Abs. 2 ErbStG ist dem Gesetzestext nicht zu entnehmen. Sie in das Gesetz hineinzuinterpretieren, hieße, die i. R.d. Gewaltenteilung gezogenen Grenzen zu überschreiten.
Rz. 27–30
vorläufig frei