Dr. Stefan Königer, Dennis Helwig
7.6.3.1. Grundsätzliches
Rz. 167
Einen Verstoß gegen die Behaltensfrist stellt gem. Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 auch die Tätigung von Überentnahmen durch den Erwerber dar. Nach dem Gesetzestext liegt eine schädliche Überentnahme vor, wenn der Erwerber bis zum Ende des letzten in die Fünfjahresfrist fallenden Wirtschaftsjahres Entnahmen tätigt, die die Summe seiner Einlagen und der ihm zuzurechnenden Gewinne oder Gewinnanteile um mehr als 150.000 EUR übersteigen. Der Gewinn ist hierbei isoliert zu betrachten und nicht als saldierter Wert aufgrund von z. B. Verlustvorträgen zu verstehen (Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 HS 2; R E 13a.15 Abs. 1 Satz 3 ErbStR). Durch die Vorschrift soll verhindert werden, dass der Erwerber das begünstigt erworbene Vermögen durch übermäßige Entnahmen über einen längeren Zeitraum hinaus in das Privatvermögen überführt, ohne dabei jedoch jeweils eine schädliche Entnahme einer wesentlichen Betriebsgrundlage zu tätigen (Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 331).
Rz. 168
Die Regelung in Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 erfasst sämtliches begünstigt übertragenes Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 2 ErbStG, d. h. neben Betriebsvermögen auch land- und forstwirtschaftliches Vermögen und Ausschüttungen an Gesellschafter von Kapitalgesellschaften. Es sind die sich jeweils aus den unterschiedlichen Vermögensarten ergebenden Besonderheiten bei der Anwendung der Überentnahmeregelung zu beachten (Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 332). Durch die geografische Ausweitung der Begünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG fällt auch im EU-/EWR-Raum gelegenes begünstigtes Vermögen unter die Überentnahmeregelung (R E 13.15 Abs. 8 ErbStR).
7.6.3.2. Begriffsbestimmungen
Rz. 169
Für die Begriffe Entnahme, Einlage, Gewinn(anteile) und Verlust ist keine erbschaftsteuerliche Auslegung vorzunehmen, sondern auf die Grundsätze des Ertragsteuerrechts zurückzugreifen (R E 13a.15 Abs. 1 Satz 4 ErbStR). Demnach ist der für die Ermittlung der Überentnahmen maßgebliche Gewinn der nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 3 EStG ermittelte Gewinn. Entnahmen sind gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG alle Wirtschaftsgüter (Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse, Nutzungen und Leistungen), die der Steuerpflichtige dem Betrieb für sich, für seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke im Laufe des Wirtschaftsjahres entnommen hat. Zwar setzt § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke gleich. U.E. ist hierbei jedoch für Zwecke der Überentnahmeregelung eine Ausnahme für EU-/EWR-Fälle zu machen, da auch EU-/EWR-Vermögen begünstigungsfähiges Vermögen darstellt und die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ertragsteuerlich motiviert ist (vgl. hierzu bereits Rn. 151). Überführt der Steuerpflichtige ein Wirtschaftsgut aus einer inländischen Betriebsstätte in eine EU-/EWR-Betriebsstätte, kann hierin keine Entnahme nach Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 vorliegen.
Rz. 170
Einlagen sind gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG alle Wirtschaftsgüter (Bareinzahlungen und sonstige Wirtschaftsgüter), die der Steuerpflichtige dem Betrieb im Laufe des Wirtschaftsjahres zugeführt hat.
Rz. 171
Durch den Ausschluss der Verlustverrechnung in Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 HS 2 soll verhindert werden, dass ein in einem Wirtschaftsjahr einmalig entstandener, hoher Verlust dazu führt, dass trotz Saldierung des Verlusts mit Gewinnen in der Gesamtperiode kein positives Ergebnis erzielt wird und sämtliche Entnahmen bzw. Ausschüttungen bis zum letzten in die Behaltensfrist fallenden Wirtschaftsjahr, soweit diese in Summe 150.000 EUR übersteigen, zu einer schädlichen Überentnahme i. S. d. Vorschrift führen (Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 341). Der Erwerber wäre hierdurch übermäßig bestraft. Der Ausschluss der Verlustverrechnung kann vom Erwerber zudem sinnvoll genutzt werden, indem in einzelnen Verlustwirtschaftsjahren durch die Ausübung bilanzieller Wahlrechte der steuerliche Verlust maximiert wird, um in den Folgejahren den steuerlichen Gewinn und damit das Entnahme- bzw. Ausschüttungspotenzial i. S. d. Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 zu erhöhen (Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 341).
7.6.3.3. Erwerber- und Betriebsbezogenheit der Entnahmebegrenzung
Rz. 172
Die Entnahmebegrenzung des Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 ist sowohl erwerber- als auch betriebsbezogen zu verstehen. Dies bedeutet zunächst, dass die Entnahmegrenze von 150.000 EUR bei jedem Erwerber des begünstigt erworbenen Betriebs gesondert zu prüfen ist, d. h. bei der Übertragung eines Mitunternehmeranteils auf mehrere Erwerber nicht für den übertragenen Mitunternehmeranteil insgesamt, sondern für jeden Mitunternehmer. Dies ergibt sich bereits aus dem Einleitungssatz des Abs. 6 ("der Erwerber"). Es sind der Gewinn sowie die Entnahmen und Einlagen eines jeden Erwerbers heranzuziehen. Hat der Erwerber aufgrund einer inkongruenten Gewinnausschüttung eine geringere Ausschüttung erhalten, als ihm normalerweise nach seinem Anteil an der GmbH zugestanden hätte, so ist für die Ermittlung einer Überentnahme bzw. Überausschüttung ausschließlich der tats...