Dr. Stefan Königer, Dennis Helwig
Rz. 224
Eine Konkretisierung der Reinvestitionsmöglichkeiten des Erwerbers findet sich in Abs. 6 Satz 4 ErbStG. Eine den Behaltensfristverstoß heilende Reinvestition des Veräußerungserlöses wird dann getätigt, wenn die Reinvestition innerhalb von sechs Monaten in Vermögen erfolgt, welches zum begünstigten Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 2 ErbStG gehört. Für den Beginn sowie das Ende der Sechsmonatsfrist ist das obligatorische Rechtsgeschäft und nicht erst der Abgang des veräußerten bzw. der Zugang des neu angeschafften Wirtschaftsguts maßgeblich (R E 13a.18 Satz 5 ErbStR). Da eine "Reinvestition" in Liquiditätsreserven grundsätzlich nicht möglich ist (R E 13a.18 Satz 6 ErbStR), ist der Erwerber insb. bei der Reinvestition in einen neuen Betrieb oder Teilbetrieb unter Zeitdruck, wenn sich die der Unterzeichnung des Kaufvertrags vorangestellten Tätigkeiten (z. B. Durchführung einer Due Diligence) verzögern (ähnlich Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 419).
Rz. 225
In der Literatur wird, wohl im Hinblick auf die im Einzelfall zeitlich sehr enge Sechsmonatsfrist, gefordert, dass auch der Erwerb des Ersatzwirtschaftsguts vor der schädlichen Veräußerung des alten Wirtschaftsguts als Reinvestition zulässig sein sollte (Jülicher in T/G/J/G, § 13a Rz. 419, Stalleiken in vO/L, § 13a Rn. 204). Auch wenn dies zugunsten des Steuerpflichtigen durchaus zu begrüßen wäre, kann zumindest nach dem Wortlaut des Abs. 6 Satz 3 und 4 eine solche Investition wohl nicht als Reinvestition i. S. d. Vorschrift anerkannt werden. Bereits aus dem Begriff der "Reinvestition" ergibt sich, dass es sich um einen Vorgang handeln muss, der der Veräußerung ("Desinvestition") nachgelagert ist. Wird jedoch das neue Wirtschaftsgut bereits angeschafft, bevor das alte veräußert wurde, handelt es sich nicht um eine Reinvestition, sondern vielmehr um eine vorgezogene Investition. Es reicht ferner nicht aus, "irgendwelche" Geldmittel zu reinvestieren. Vielmehr muss es sich um den Veräußerungserlös handeln, der dem Erwerber bzw. dem Betrieb durch die schädliche Verfügung i. S. d. Nr. 1, 2 oder 4 zugeflossen ist bzw. zufließen wird. Darüber hinaus ist der Erlös innerhalb der Sechsmonatsfrist zu reinvestieren. Diese Sechsmonatsfrist beginnt jedoch (zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung) mit dem Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts für die Veräußerung des (Teil-)Betriebs bzw. des Wirtschaftsguts, so dass eine vorgezogene Investition auch nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist stattfinden kann. Zustimmend sollte aber nach Stalleiken im Einzelfall eine zweckkonforme Auslegung des Gesetzeswortlauts vorgenommen werden, so dass im Falle einer längeren Lieferzeit des Ersatzwirtschaftsguts, z. B. einer Maschine, die "Reinvestition" auch schon vor der Veräußerung der alten Maschine möglich sein sollte, zumindest wenn die Maschine für den Betrieb unabdingbar ist und der Betrieb ansonsten bis zur Lieferung der neuen Maschine die Produktion einstellen müsste (Stalleiken in vO/L, § 13a Rn. 204).
S hat am 01.03.2020 von seinem Vater A dessen 50 %-Beteiligung an der AB GmbH & Co. KG erhalten.
Die AB GmbH & Co. KG nutzt spezielle Maschinen zum Bedrucken der hergestellten Arbeitsschutzprodukte, die aus ertragsteuerlicher Sicht jeweils eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen. Da die Maschinen bereits veraltet sind und sich die fortlaufenden Wartungs- und Reparaturarbeiten wirtschaftlich nicht mehr lohnen, bestellt die AB GmbH & Co. KG am 01.10.2020 zwei neue Maschinen, welche jedoch aufgrund von Sonderanfertigungen eine Lieferzeit von fünf Monaten haben. Unmittelbar nach Lieferung der Maschinen werden diese in die Produktion der ZA GmbH & Co. KG integriert und die alten Maschinen an einen indischen Textilhersteller veräußert, welcher diese in seinem Betrieb weiterverwendet.
Die Veräußerung der alten Maschinen an den indischen Textilhersteller stellt in Bezug auf die Anteile von S an der AB GmbH & Co. KG grundsätzlich einen Behaltensfristverstoß gem. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 S. 3 dar, da wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert werden. Mit dem Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts (nach der hier vertretenen Auffassung nach Übergang des wirtschaftlichen Eigentums) beginnt die Sechsmonatsfrist, sodass der Erwerb der beiden neuen Maschinen streng genommen keine Reinvestition i. S. d. Abs. 6 Satz 3 und 4 darstellt. Da die Maschinen jedoch für den Betrieb der AB GmbH & Co. KG zwingend benötigt werden, sollte im Rahmen einer zweckkonformen Auslegung des Gesetzeswortlauts des Abs. 6 Satz 3 und 4 kein Behaltensfristverstoß vorliegen, sondern der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums (bzw. nach Auffassung der Finanzverwaltung der Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts) als Reinvestition i. S. d. Vorschrift angesehen werden.
Rz. 226
Sollte aufgrund von Verzögerungen die Sechsmonatsfrist abzulaufen drohen und ist bis dahin voraussichtlich auch keine Reinvestition in ein entsprechendes Wirtschaftsgut mehr möglich, so kann der Veräußerungserlös auch ...