Rz. 632
Vor- und Nacherbschaft sind in § 6 ErbStG geregelt. Danach erbt – im Gegensatz zum Zivilrecht – der Vorerbe vom Erblasser und der Nacherbe vom Vorerbe. Nach dem Vorerbfall erhält der Nacherbe ein Anwartschaftsrecht auf den Nachlass, der beim Vorerben ein Sondervermögen bildet und von seinem eigenen Vermögen getrennt ist. Überträgt der Vorerbe vor Eintritt des Nacherbfalls das Nacherbschaftsvermögen oder Teile davon unentgeltlich auf den Nacherben, kann insoweit der Nacherbfall, der gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 6 Abs. 2 und 3 ErbStG Erbschaftsteuer auslösen würde, nicht mehr eintreten. An dieser Stelle greift § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG ein und bestimmt, dass das vom Vorerben dem Nacherben mit Rücksicht auf die angeordnete Nacherbschaft vor ihrem Eintritt Herausgegebene eine Schenkung unter Lebenden darstellt. Zuwendungsgegenstand ist das vorzeitig herausgegebene Nacherbschaftsvermögen, das im Zeitpunkt der Herausgabe mit dem Substanzwert zu erfassen ist. Dass der Nacherbe aufgrund seines Anwartschaftsrechts den Nachlass später auch ohne vorherige Herausgabe erhalten hätte, ist unbeachtlich, da das Anwartschaftsrecht erbschaftsteuerlich nur eine bloße Erwerbschance darstellt und insoweit negiert wird.
Rz. 633
Entsprechend stellt auch das Anwartschaftsrecht, das sich durch die vorzeitige Herausgabe nicht mehr realisieren kann und auf das der Nacherbe wirtschaftlich verzichtet, keine Gegenleistung für die vorzeitige Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens dar. Ist unklar, ob die Vermögensübertragung im Hinblick auf die Nacherbschaft erfolgt, ist eine freigebige Zuwendung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG anzunehmen (BFH vom 06.03.1990, BStBl II 1990, 504).
Rz. 634
Wird für die vorzeitige Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens ein Entgelt gezahlt oder übernimmt der Nacherbe Verbindlichkeiten, die z. B. auf einem Nachlassgrundstück lasten, so sind die Grundsätze der gemischt-freigebigen Zuwendung anzuwenden (FG Nürnberg vom 21.11.2002, EFG 2003, 553; dazu auch s. Rn. 316 ff.).
Rz. 635
Da § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG die vorzeitige Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens vom Vorerben an den Nacherben fiktiv als Schenkung unter Lebenden behandelt und nicht auf freigebige Zuwendungen i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG verweist, handelt es sich hierbei um eine Rechtsfolgenverweisung, so dass bei der vorzeitigen Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens seitens des Vorerben kein Bewusstsein der Unentgeltlichkeit als subjektives Tatbestandsmerkmal erforderlich ist (FG Nürnberg vom 21.11.2002, EFG 2003, 553; a. A. Hannes/Holtz in M/H/H, § 7 Rn. 120, die lediglich geringere Anforderungen an das Bewusstsein der Unentgeltlichkeit verlangen).
Rz. 636
§ 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG soll die Besteuerung gewährleisten, die beim Eintritt des Nacherbfalls eintreten würde, aber in Folge der vorzeitigen Herausgabe des Nacherbschaftsvermögens nicht mehr erfolgt. Daher gibt § 7 Abs. 2 ErbStG dem Nacherben auf Antrag ein Wahlrecht, der Besteuerung das Verhältnis zum Erblasser zu Grunde zu legen, wie es auch beim Eintritt des Nacherbfalls gem. § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG möglich gewesen wäre. Für den Fall, dass neben dem Nacherbschaftsvermögen auch sonstiges Vermögen des Vorerben schenkweise auf den Nacherben übertragen wird, findet § 6 Abs. 2 Sätze 3 bis 5 ErbStG entsprechend Anwendung (§ 7 Abs. 2 Satz 2 ErbStG), mit der Folge, dass auch insoweit ein Gleichlauf zur Nacherbschaft herbeigeführt wird. Zu beachten ist allerdings, dass § 7 Abs. 2 ErbStG nicht auf § 6 Abs. 3 ErbStG verweist. Eine Anrechnung der vom Vorerben entrichteten Erbschaftsteuer ist daher nicht möglich.
Rz. 637
Das Wahlrecht gem. § 7 Abs. 2 ErbStG eröffnet Gestaltungsspielräume (s. § 6 Rn. 40).
Rz. 638–640
vorläufig frei