Rz. 1

Bei der Ermittlung des Kapitalwerts darf der Jahreswert der Nutzungen nach § 16 BewG höchstens mit dem Wert angesetzt werden, der sich ergibt, wenn der für das genutzte Wirtschaftsgut anzusetzende Bedarfswert durch 18,6 geteilt wird (Jahreswert-Begrenzung). Diese Begrenzungsvorschrift ist nur auf die Ermittlung der Kapitalwerte von Nutzungsrechten anzuwenden. Sie relativiert die praktische Problematik bei der Ermittlung des Jahreswerts nach § 15 BewG. Das Eigentum am WG umfasst auch das Nutzungsrecht, daher darf dieses keinen höheren Wert haben als das WG selbst (die entsprechenden Tabellen beinhalten keinen Vervielfältiger, der über 18,6 hinausgeht); diese Zielsetzung ist sachgerecht und folgerichtig. Die Begrenzung gilt sowohl beim Nutzungsberechtigten als auch beim Nutzungsverpflichteten (BFH vom 20.01.1978, BStBl II 1978, 257).

§ 16 BewG bezieht sich nur auf den Kapitalwert für Nutzungen, der nach den §§ 13 oder 14 BewG zu ermitteln ist, und ist eine bewertungsrechtliche Sonderregelung. Die Vorschrift greift demnach nicht bei Verkehrswertgutachten. Wird z. B. ein lebenslanges Nießbrauchsrecht i. R.d. § 198 BewG i. V. m. § 199 Abs. 1 BauGB (Öffnungsklausel) in einem Sachverständigengutachten berücksichtigt, so ist § 16 BewG vom Sachverständigen nicht zu beachten (BFH vom 09.04.2014, BStBl II 2014, 554), was im Ergebnis zu einem niedrigeren Grundbesitzwert und damit zu einer steuerlich höheren Entlastung führen kann (vgl. dazu § 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG). Auch i. R.d. GrESt findet § 16 BewG keine Anwendung (§ 17 Abs. 3 Satz 2 BewG).

 

Rz. 2

Bei der Begrenzung des Jahres- und damit des Kapitalwerts muss es sich nicht notwendigerweise um ein dingliches Recht an einem WG handeln. Auch schuldrechtliche (obligatorische) Ansprüche auf Nutzungen eines WG können unter § 16 BewG fallen. Um einen solchen Anspruch handelt es sich bei einer als Gegenleistung für den Erwerb eines Grundstücks vereinbarten lebenslänglichen Geldrente nicht. Der Anspruch des Verkäufers ist nicht etwa auf einen Bruchteil des Ertrages des veräußerten Grundstücks begrenzt, sondern ist ein Anspruch auf Zahlung einer lebenslänglichen, der Höhe nach festgelegten Monatsrente. Der Anspruch auf Zahlung dieser Rente besteht unabhängig von dem weiteren Schicksal des Grundstücks, insbesondere ohne Rücksicht auf dessen künftige Ertragsfähigkeit, stellt sich also nicht als Nutzung des WG dar. Die Rente ist vielmehr nichts anderes als die beim Abschluss des Kaufvertrages vereinbarte Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks, die anstelle eines einmaligen Kaufpreises wie monatliche Kaufpreisraten – lediglich mit dem beiderseitigen Risiko der Befristung auf Lebenszeit – als persönliche Verpflichtung des Leistenden zu erbringen ist (vgl. das zur Grunderwerbsteuer ergangene Urteil des BFH vom 02.12.1971, BStBl II 1972, 473).

 

Rz. 3

Bei der Berechnung des Höchstwerts i. S. d. § 16 BewG ist bei einem bebauten Grundstück auf die Gesamtregelung des § 146 BewG einschließlich der Mindestwertregelung (s. § 146 Abs. 6 BewG) abzustellen (BFH vom 15.12.2010, BStBl II 2011, 363); dies muss u. E. auch für Grundbesitzwerte gelten, die nach dem ErbStRG im Wege der entsprechenden Bewertungsverfahren (inkl. Öffnungsklausel) festgestellt werden (§§ 178 bis 198 BewG).

 
Praxis-Beispiel

C (weiblich, 50 Jahre) erhält durch ein testamentarisches Vermächtnis ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht (Zuwendungsnießbrauch) an einem Mietwohngrundstück. Die jährlichen Einkünfte aus der Vermietung betragen im Todesjahr des EL 23.700 EUR. Der im Wege des Ertragswertverfahrens gesondert festgestellte Grundbesitzwert des bebauten Grundstücks beträgt 380.000 EUR. Besteuerungszeitpunkt ist der 30.05.2020.

Lösung:

Der lebenslängliche Nießbrauch wird durch ein testamentarisches Vermächtnis eingeräumt. Dieser muss für den Vermögensanfall der Vermächtnisnehmerin (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. ErbStG) bewertet werden; das Wahlrecht zur Jahresversteuerung nach § 23 ErbStG ist dabei zu beachten. Auch für den Ansatz der Nachlassverbindlichkeiten (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG) bei den/dem Erben ist der Kapitalwert zu ermitteln.

Die Bewertung eines lebenslänglichen Nießbrauchs erfolgt nach § 14 Abs. 1 BewG mit dem Kapitalwert. Er wird – wie Leibrenten – nach dem BMF-Schreiben vom 02.12.2019 (BStBl I 2019, 1288 errechnet. Maßgebend ist zum einen der Jahreswert des Nießbrauchs und das im Besteuerungszeitpunkt vollendete Lebensalter der begünstigten C. In Fällen des Nießbrauchs an einem Grundstück ist zur Berechnung des Jahreswerts u. E. § 15 Abs. 2 BewG einschlägig. Der Jahreswert entspricht dem Nutzungsvorteil der Berechtigten. Da durch den Nießbrauch Einkünfte erzielt werden, kommen zunächst diese zum Ansatz (23.700 EUR). Da dieser Nutzungsvorteil in seinem Betrag weder ungewiss noch (bedeutend) schwankend ist, ist die Anwendung von § 15 Abs. 3 BewG zu verneinen. Der Jahreswert darf jedoch nach § 16 BewG höchstens mit dem Wert angesetzt werden, der sich ergibt, wenn der für das Mietwohngrundstück ermittelte Grundbes...

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