Fahrten eines Gewinnermittlers zwischen Wohnung und Betrieb
Hintergrund: Wenige Fahrten eines Selbständigen zwischen Wohnung und Betrieb
Die Steuerberaterin S war im Streitjahr 2012 als freie Mitarbeiterin in der Kanzlei eines Kollegen tätig. Sie unternahm im Streitjahr (nur) 85 Fahrten zwischen ihrer Wohnung und der Kanzlei. Die einfache Entfernung betrug 30 km. Von Januar bis März nutzte sie den PKW 1 (Listenpreis 42.600 EUR) und von April bis Dezember den PKW 2 (Listenpreis 30.000 EUR). Den Entnahmewert für private Fahrten mit den betrieblichen PKW ermittelte S nach der 1 %-Methode. Die für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte abzugsfähigen Betriebsausgaben ermittelte sie nicht durch Multiplikation des gesetzlichen Faktors 0,03 % mit dem Listenpreis und der einfachen Wegstrecke, sondern multiplizierte den Listenpreis mit dem Faktor 0,002 %, den gefahrenen Tagen und den Entfernungskilometern (PKW 1: 42.600 EUR x 0,002 % x 17 Tage x 30 km = 433,50 EUR; PKW 2: 35.000 EUR x 0,002 % x 68 Tage x 30 km = 1.428 EUR; Summe 1.861,50 EUR). Die Entfernungspauschale betrug für Fahrten an 85 Tagen und bei einer einfachen Entfernung von 30 km zur Betriebsstätte 765 EUR (30 km x 0,30 EUR x 85 = 765 EUR). S rechnete daher im Ergebnis dem Gewinn einen Unterschiedsbetrag gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 3 EStG in Höhe von 1.096,50 EUR (1.861,50 EUR ./. 765 EUR) hinzu.
Das FA ermittelte den dem Gewinn hinzuzurechnenden Unterschiedsbetrag in Höhe von 3.220,20 EUR: PKW 1: 42.600 EUR x 0,03 % x 30 km x 3 Monate = 1.150,20 EUR; PKW 2: 35.000 EUR x 0,03 % x 30 km x 9 Monate = 2.835 EUR; Summe 3.985,20 EUR. Davon zog es die Entfernungspauschale ab (3.985,20 EUR ./. 765 EUR = 3.220,20 EUR).
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, der Zuschlag von 0,03 % beruhe auf der Annahme, der Wagen werde an 15 Tagen für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb genutzt. Ebenso wie bei der fahrtenbezogenen Ermittlung des Werbungskostenabzugs bei Arbeitnehmern sei daher für den Betriebsausgabenabzug in Fällen, in denen die Anzahl der Fahrten von der Grundannahme von 15 Fahrten monatlich abweiche, der Zuschlag nicht mit 0,03 % des Listenpreises je Monat, sondern mit 0,002 % pro km je Fahrt anzusetzen.
Entscheidung: Unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern und Gewinnermittlern
Die pauschale Ermittlung des Korrekturbetrags bei der Besteuerung von Arbeitnehmern nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG mit dem Faktor 0,03 % je Kalendermonat und Entfernungskilometer ist nach der Rechtsprechung des BFH (VI. Senat) nur gerechtfertigt, soweit sie die dem Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zugrundeliegende Typisierung folgerichtig umsetzt und nachvollzieht. Der Faktor 0,03 % (§ 8 Abs. 2 Satz 3 EStG) geht von einer durchschnittlichen Anzahl von 15 Fahrten je Monat aus. Bei einer deutlich geringeren Anzahl steht jedoch die pauschalierende Ermittlung des Korrekturbetrags im Widerspruch zur Grundannahme der für die Ausgabenseite geltenden Pauschalierung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nach der Entfernungspauschale, die eine fahrtenbezogene Ermittlung des Werbungskostenabzugs vorsieht und durch den Zuschlag des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG korrigiert werden soll. Wird der Dienstwagen in erheblich geringerem Umfang für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt, hängt die Höhe des Zuschlags gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG von der Anzahl der tatsächlich durchgeführten Fahrten ab. Zur Ermittlung des Korrekturbetrags ist in diesen Fällen eine Einzelbewertung der Fahrten mit 0,002 % des Listenpreises i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG je Entfernungskilometer vorzunehmen. Eine taggenaue Ermittlung hat der VI. Senat des BFH bejaht, wenn ein Arbeitnehmer ein dienstliches Kfz nur einmal pro Woche für Fahrten zur Arbeit nutzt (BFH v. 4.4.2008, VI R 85/04, BStBl II 2008 S. 887 und VI R 68/05, BStBl II 2008 S. 890; v. 31.1.2011 VI B 130/10, BFH/NV 2010 S. 792). Dem folgt die Finanzverwaltung mit einer noch weitergehenden Regelung (BMF v. 1.4.2011, BStBl I 2011 S. 301, unter 2.2, für die Jahre ab 2011).
Keine Übertragung der Rechtsprechung zu Arbeitnehmern auf die Gewinnermittlung
Der BFH lehnt die Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 3 Halbsatz 1 EStG ab. Denn nach dem klaren Gesetzeswortlaut ist der Unterschiedsbetrag für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte unabhängig von der Anzahl der getätigten Fahrten mit dem Faktor "0,03 %" des Listenpreises je Kalendermonat und Entfernungskilometer zu ermitteln. Für eine fahrtenbezogene Ermittlung lässt das Gesetz keinen Raum. Bei der 1 %-Regelung handelt es sich um eine grundsätzlich zwingende, grob typisierende und pauschalierende Bewertungsregelung, die nur dann nicht gilt, wenn die Kfz-Kosten durch Belege und ein Fahrtenbuch nachgewiesen werden. Das gilt auch für die Ermittlung des Kürzungsbetrags gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 3 Halbsatz 1 EStG, die ebenso pauschalierend und typisierend ausgestaltet ist. Um die pauschale Ermittlung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben nach der 0,03 %-Regelung zu vermeiden, räumt das Gesetz (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG) die Möglichkeit ein, ein Fahrtenbuch zu führen. Wegen dieser Möglichkeit, die Nachteile der Pauschalierung zu vermeiden, erweist sich die Regelung als verfassungskonform. Die Revision der S wurde daher zurückgewiesen.
Hinweis: Wegen der Möglichkeit, ein Fahrtenbuch zu führen, ist die widersprüchliche Regelung hinzunehmen
Für eine taggenaue Zugrundelegung beim Gewinnermittler wie beim Arbeitnehmer im Rahmen des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG spricht an sich, dass es sich bei dieser Regelung wie in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 3 EStG im Kern um vergleichbare Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzugsverbote handelt. Schließlich wird - aufgrund der unabhängig von der Laufleistung anfallenden Gesamtkosten - bei Ansatz des Faktors 0,03 % die Differenz zwischen dem Betrag der Entfernungspauschale und dem Betrag der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben umso größer, je weniger Fahrten im Monat unternommen werden, und umso kleiner, je mehr Fahrten unternommen werden. Sachlich richtig wäre es, wenn der nichtabzugsfähige Teil der Kosten geringer würde, je weniger Fahrten unternommen werden. Gleichwohl lehnt der BFH eine entsprechende teleologische Reduktion der Vorschrift ab. Denn für Gewinnermittler, die ohnehin Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten unterliegen, ist es weder unverhältnismäßig noch unzumutbar, die Führung eines Fahrtenbuches zu verlangen, um die Nachteile der pauschalen Betriebsausgabenkürzung in Höhe von 0,03 % zu vermeiden, die sich bei weniger als 15 monatlichen Fahrten ergeben. Wegen dieses gesetzlichen Wahlrechts bedarf es keiner lückenfüllenden Gesetzesergänzung durch den BFH.
BFH, Urteil v. 12.6.2018, VIII R 14/15, veröffentlicht am 8.10.2018.
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