OFD Nordrhein-Westfalen, Verfügung v. 19.4.2017, Kurzinformation ESt
1. Aktuelles
Zur praktischen Anwendung der Rechtsprechung des BFH zur Annahme des „Nahestehens” i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG bei Angehörigen wird auf die in der Anlage beigefügten Fallgestaltungen verwiesen.
2. Allgemeines
Im Rahmen der Einführung der Abgeltungsteuer auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen wurde mit § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Ausnahmeregelung für bestimmte Kapitalerträge getroffen, die bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht dem gesonderten Steuersatz, sondern gemeinsam mit den Einkünften aus anderen Einkunftsarten der tariflichen ESt unterliegen.
Der Abgeltungsteuertarif i.S. des § 32d Abs. 1 EStG gilt nicht für Erträge aus stillen Gesellschaften/partiarischen Darlehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG) und sonstigen Kapitalforderungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG), wenn einer der in § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG genannten Tatbestände erfüllt ist.
Ziel dieser Regelung ist es, Fallkonstellationen mit sog. Steuersatzspreizungen (z.B. Absaugung von betrieblichen Gewinnen in Form von Darlehenszinsen und so Reduzierung der Steuerbelastung durch den Abgeltungsteuersatz) zu vermeiden.
3. Kapitalüberlassungen an nahestehende Personen (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG)
3.1. Allgemeines
Der gesonderte Steuersatz findet keine Anwendung, wenn Gläubiger und Schuldner einander nahestehende Personen sind und die Zahlungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen und auf die das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG keine Anwendung findet (sog. Steuersatzspreizung, vgl. hierzu BMF vom 18.1.2016, BStBl 2016 I S. 85, RdNr. 134).
3.2. Tatbestandsmerkmal „nahestehende Person”
Das Verhältnis von nahestehenden Personen liegt vor, wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahestehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (vgl. BMF vom 18.1.2016, BStBl 2016 I S. 85, RdNr. 136).
Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 29.4.2014, VIII R 9/13, BStBl 2014 II S. 986; VIII R 35/13, BStBl 2014 II S. 990 und VIII R 44/13, BStBl 2014 II S. 992 ist von einem solchen Beherrschungsverhältnis auszugehen, wenn der beherrschten Person aufgrund eines absoluten Abhängigkeitsverhältnisses im Wesentlichen kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt (vgl. hierzu 3.3).
3.3. Rechtsprechung zu § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG
3.3.1. BFH-Urteile vom 29.4.2014, VIII R 9/13, VIII R 35/13, VIII R 44/13
Mit Urteilen vom 29.4.2014, VIII R 9/13, BStBl 2014 II S. 986; VIII R 35/13, BStBl 2014 II S. 990; VIII R 44/13, BStBl 2014 II S. 992, hat der BFH zur Annahme des „Nahestehens” i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG bei Angehörigen entschieden. Der BFH hält in den entschiedenen Fällen den Ausschluss der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht für anwendbar: Der Gesetzgeber sei von einem schädlichen Näheverhältnis ausgegangen, wenn der Darlehensgeber auf den Darlehensnehmer einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Ein beherrschender Einfluss sei in den entschiedenen Fällen jedoch nicht gegeben. Ein lediglich aus der Familienangehörigkeit oder Ehe abgeleitetes persönliches Interesse sei nicht ausreichend, um ein Näheverhältnis i.S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG zu begründen.
Die vorliegenden Darlehensverträge entsprächen, im Einklang mit der st. Rspr. des BFH, den Maßstäben des Fremdvergleichs. Die Urteile wurden im BStBl II (BStBl 2014 II S. 982 – 992) veröffentlicht und sind über die entschiedenen Einzelfälle hinaus allgemein anwendbar.
Die aufgrund der vorgenannten Verfahren ruhend gestellten Verfahren können wieder aufgenommen und nach den Grundsätzen der neuen Rechtsprechung bearbeitet werden. Ein Ruhen des Verfahrens kommt nicht mehr in Betracht.
3.3.2. BFH-Urteil vom 28.1.2015, VIII R 8/14
Der Sachverhalt betraf die Darlehensgewährung zwischen Ehegatten. Der Ehemann gewährte der Ehefrau, die mangels eigener finanzieller Mittel und Kreditwürdigkeit auf die Darlehensgewährung durch den Ehemann angewiesen war, festverzinsliche Darlehen zur Anschaffung und Renovierung einer fremdvermieteten Immobilie. Der BFH hielt die Anwendung der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG aufgrund des finanziellen Abhängigkeitsverhältnisses für ausgeschlossen. Der Ehefrau bliebe hinsichtlich der Finanzierung kein eigener Entscheidungsspielraum, da ein fremder ...