Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmereigenschaft einer stellvertretenden GmbH-Geschäftsführerin
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Anstellungsverhältnis einer (stellvertretenden) GmbH-Geschäftsführerin kann im Einzelfall ein Arbeitsverhältnis sein (nicht entscheidungserhebliche Abweichung von BGH Urteil vom 09.02.1978 II ZR 189/76 = AP Nr 1 zu § 38 GmbHG).
2. Ob das Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist, hängt nicht vom Umfang der Vertretungsbefugnis der (stellvertretenden) Geschäftsführerin im Innenverhältnis nach § 37 Abs 1 GmbHG ab, sondern richtet sich nach den allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung vom freien Dienstverhältnis.
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. Juli 1998 - 12 Sa 700/98
- wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte das Anstellungsverhältnis wirksam gekündigt hat.
Die Beklagte betreibt mit etwa 120 Mitarbeitern eine Werbeagentur. Die Klägerin wurde von ihr mit "Geschäftsführervertrag" vom 14. Juli 1995 mit Wirkung vom 1. Januar 1996 als stellvertretende Geschäftsführerin eingestellt. Nach Ziff. 3 des Vertrags war sie als "Director Business Development" für das Neugeschäft der "E Gruppe" verantwortlich. Sie sollte "direkt an den Chief Executive Officer der E Deutschland" berichten und "alle Geschäfte der Agentur mit der Sorgfalt einer ordentlichen Kauffrau nach Maßgabe der Gesetze, des Gesellschaftsvertrags und der Gesellschafterbeschlüsse durchführen". Nach Ziff. 4 des Vertrags vertrat die Klägerin die Beklagte zusammen mit einem Geschäftsführer oder einem Prokuristen. Weiter hieß es, Einschränkungen ergäben sich "durch Gesetz, Dienstvertrag, Beschlüsse der Gesellschafter und die neueste Satzung der Gesellschaft". Gemäß Ziff. 5 richtete sich die Arbeitszeit der Klägerin nach den betrieblichen Erfordernissen, sie war von ihr "in diesem Rahmen frei und eigenverantwortlich zu gestalten". Es stand der Klägerin ausdrücklich frei, einen Tag pro Woche zu Hause zu arbeiten.
Als Vergütung erhielt die Klägerin ein jährliches Grundgehalt von 240.000,00 DM. Zusätzlich stand ihr ein Mindestbonus von 40.000,00 DM zu, der mit variablen Boni verrechnet werden sollte. Letztere beliefen sich im Jahre 1996 auf etwa 100.000,00 DM. Die Klägerin hatte Anspruch auf einen vierwöchigen Jahresurlaub, der sich "nach der allgemeinen Urlaubsregelung" der Beklagten erhöhen sollte und "mit anderen Geschäftsführern, Prokuristen oder anderen leitenden Angestellten zeitlich abzustimmen" war. Als Kündigungsfrist waren sechs Monate zum Monatsende vereinbart.
Die Klägerin wurde mit Gesellschafterbeschluß vom 28. Februar 1996 zur stellvertretenden Geschäftsführerin bestellt und im Mai 1996 neben neun anderen Personen als Geschäftsführerin ins Handelsregister eingetragen. Die Beklagte führte für sie Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge ab.
Am 3. Juni 1997 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie sei in der sechsten Woche schwanger. Mit Schreiben vom 31. Juli 1997 kündigte die Beklagte den Geschäftsführervertrag zum 31. Januar 1998. Am 30. Juli 1997 hatten ihre Gesellschafterinnen die sofortige Abberufung und die fristgerechte Kündigung der Klägerin beschlossen.
Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben und die Auffassung vertreten, sie sei Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen. Dem stehe ihre Stellung als stellvertretende Geschäftsführerin nicht entgegen. Sie hat behauptet, diese Position habe sie nur formal innegehabt. Im Innenverhältnis zur Beklagten habe sie aufgrund strikter Auflagen und Weisungen keinerlei Geschäftsführungsbefugnisse besessen. Insbesondere habe sie keine Personalentscheidungen treffen können und selbst in geringen Größenordnungen keine Verträge mit Wirkung für die Beklagte abschließen dürfen. Die Kündigungen verstießen gegen § 9 MuSchG. Im übrigen habe die Beklagte allein wegen ihrer Schwangerschaft gekündigt.
Die Klägerin hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 31. Juli
1997 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 31. Januar 1998
hinaus unverändert fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß die Vertretungsbefugnis der Klägerin im Innenverhältnis besonderen Einschränkungen unterlegen habe. Die Klägerin sei nur nicht alleinvertretungsberechtigt gewesen. In ihrem Zuständigkeitsbereich, dem Neugeschäft, habe die Klägerin von ihrer Berechtigung, Agenturverträge mit Kunden abzuschließen und inhaltlich abzuwickeln, ständig Gebrauch gemacht. Darüber hinaus habe sie laufend Kaufverträge oder sonstige Verträge für sie - die Beklagte - geschlossen und die entsprechenden Rechnungen geprüft und abgezeichnet.
Die Parteien haben vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs gestritten. Das Arbeitsgericht hat die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen verneint, das Landesarbeitsgericht hat sie bejaht.
Die Klage selbst haben beide Vorinstanzen abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Die Klägerin war nicht Arbeitnehmerin der Beklagten.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im Vorabverfahren die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten rechtskräftig bejaht. Daran sind alle anderen Gerichte, auch die der eigenen Gerichtsbarkeit gebunden, § 17 a Abs. 1, Abs. 5 GVG. Darauf, ob die Entscheidung sachlich richtig ist, kommt es nicht an.
II. Der Klageantrag bedarf der Klarstellung. Er ist sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach dem Willen der Klägerin ausschließlich darauf gerichtet, es möge die Nichtauflösung und der Fortbestand eines zwischen den Parteien begründeten Arbeitsverhältnisses festgestellt werden. Die Entscheidung darüber, ob womöglich nicht ein Arbeitsverhältnis, sondern ein freies Dienstverhältnis zwischen den Parteien durch die ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst worden ist und fortbesteht, ist nicht Inhalt des Antrags. Dies folgt daraus, daß die Klägerin ursprünglich einen eigens darauf gerichteten Hilfsantrag gestellt und sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht in diesem Sinne geäußert hat. Dort hat sie zu Protokoll erklärt, sie sei der Auffassung, zwischen den Parteien bestehe ein "Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne", und sie begehre, dies mit dem gestellten Antrag festzustellen.
III. Mit diesem Antragsinhalt ist die Klage unbegründet. Die Parteien können zwar im Rahmen einer Kündigungsschutzklage auch darüber streiten, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis zwischen ihnen bestanden hat (BAG Beschluß vom 28. Oktober 1993 - 2 AZB 12/93 - EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 26; KR-Friedrich, 5. Aufl., § 4 KSchG Rz 225, m.w.N.). Die beantragte Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst worden ist und fortbesteht, setzt dann aber voraus, daß im Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien tatsächlich bestanden hat. Anderenfalls ist der Antrag schon deshalb unbegründet (KR-Friedrich, aaO, Rz 252, m.w.N.).
Ein Arbeitsverhältnis, welches durch die Kündigung vom 31. Juli 1997 nicht aufgelöst worden wäre, haben die Parteien mit dem "Geschäftsführervertrag" vom 14. Juli 1995 nicht begründet.
1. Dies folgt nicht schon daraus, daß die Klägerin als stellvertretende Geschäftsführerin und gesetzliches Vertretungsorgan der Beklagten im Sinne von § 44, § 35, § 37 GmbHG nicht in einem Arbeitsverhältnis hätte stehen können. Bei Vertretern juristischer Personen ist zu unterscheiden zwischen der Organstellung und dem ihr zugrunde liegenden Anstellungsverhältnis. Die Bestellung und die Abberufung als Vertretungsorgan sind ausschließlich körperschaftliche Rechtsakte. Durch sie werden gesetzliche und satzungsmäßige Kompetenzen übertragen oder wieder entzogen. Dagegen ist die Anstellung zum Zwecke des Tätigwerdens als Vertretungsorgan regelmäßig ein schuldrechtlicher gegenseitiger Vertrag (Senatsurteil vom 16. September 1998 - 5 AZR 181/97 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, m.w.N.; Boemke, ZfA 1998, 209, 210). Durch den Anstellungsvertrag wird materiell-rechtlich zwar in der Regel ein freies Dienstverhältnis begründet, im Einzelfall kann es sich aber auch um ein Arbeitsverhältnis handeln (Senatsbeschluß vom 6. Mai 1999 - 5 AZB 22/98 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Die Auffassung, das Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers zur GmbH sei notwendig ein freies Dienstverhältnis, da mit der Organstellung die Arbeitnehmereigenschaft von vornherein unvereinbar sei (so BGH AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG; BGHZ 79, 291 = AP Nr. 14 zu § 622 BGB; MünchArbR/Richardi, Band 1, § 23 Rz 105; Boemke, aaO, 213/214, m.w.N.), überzeugt nicht. Sie stützt sich im Kern auf die Erwägung, daß der Inhalt der geschuldeten Dienste eine Weisungsabhängigkeit gegenüber der Gesellschaft im arbeitsrechtlichen Sinne ausschließe. Der Geschäftsführer repräsentiere die Gesellschaft, die erst durch ihn handlungsfähig im Rechtssinne werde. Der Status als Repräsentationsorgan der Gesellschaft stehe einer arbeitsrechtlichen Weisungsabhängigkeit darum zwingend entgegen (so insbesondere Boemke, aaO, 213). Diese Auffassung übersieht, daß zumindest bei einer Mehrpersonen-Geschäftsführung die Repräsentation der Gesellschaft, die unternehmerische Willensbildung und die Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen auch dann noch möglich sind, wenn einzelne Mitglieder der Geschäftsführung wegen entsprechender Weisungsabhängigkeit materiell-rechtlich als Arbeitnehmer anzusehen sind. Geschäftsführerstatus und Arbeitnehmereigenschaft schließen sich zumindest in einem solchen Fall nicht aus. Abzustellen ist deshalb auf die Umstände des Einzelfalls (so auch Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 14 I 2 a; Köhl, DB 1996, 2597, 2602 f., m.w.N.).
2. Zwischen den Parteien bestand unabhängig von der gesellschaftsrechtlichen Position der Klägerin kein Arbeitsverhältnis, sondern ein freies Dienstverhältnis.
a) Die beiden Rechtsverhältnisse unterscheiden sich nach dem Grad der persönlichen Abhängigkeit bei der Erbringung der Dienstleistung. Arbeitnehmer ist, wer die vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von seinem Vertragspartner bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, daß der Beschäftigte einem umfassenden Weisungsrecht seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Dieses kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer, Ort und sonstige Modalitäten der Tätigkeit betreffen (ständige Rechtsprechung, BAG Urteil vom 6. Mai 1998 - 5 AZR 247/97 - AP Nr. 102 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG Urteil vom 19. November 1997 - 5 AZR 653/96 - AP Nr. 90 zu § 611 BGB Abhängigkeit, jeweils m.w.N.).
b) Die Klägerin unterlag in diesem Sinne keinem Weisungsrecht der Beklagten. Dies haben die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend erkannt.
Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft einer stellvertretenden GmbH-Geschäftsführerin kommt es nicht entscheidend darauf an, welchen Gebrauch sie im Innenverhältnis nach § 37 Abs. 1 GmbHG von ihrer im Außenverhältnis wegen § 44, § 35, § 37 Abs. 2 GmbHG unbeschränkten Vertretungsbefugnis machen darf. § 37 Abs. 1 GmbHG ist eine Norm zur Abgrenzung der Kompetenzen der Gesellschaftsorgane untereinander. Sie besagt nichts über die Weisungsbindung und damit den arbeitsrechtlichen Status des Geschäftsführers. Ein unternehmerisches Weisungsrecht hat die Gesellschaft vielmehr auch gegenüber einem Geschäftsführer als freiem Dienstnehmer. Die Verfahrensrügen der Klägerin, mit denen sie dem Landesarbeitsgericht vorwirft, es habe den Umfang ihrer Geschäftsführungsbefugnisse nicht hinreichend aufgeklärt, sind aus diesem Grunde unerheblich.
Ob ein Geschäftsführer in einem Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft steht, hängt davon ab, ob diese eine über ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht hinausgehende Weisungsbefugnis auch bezüglich der Umstände hat, unter denen der Geschäftsführer seine Leistung zu erbringen hat. Ein Arbeitsverhältnis liegt nur vor, wenn die Gesellschaft dem Geschäftsführer auch arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte Weisungen erteilen und auf diese Weise die konkreten Modalitäten der Leistungserbringung bestimmen kann (zutreffend Boemke, aaO, 213, m.w.N.). Der Umfang der Vertretungsbefugnis für den Dienstherrn ist dagegen kein maßgebliches Kriterium. Dies erhellt schon daraus, daß ein freies Dienstverhältnis auch dann vorliegen kann, wenn ein Beschäftigter keinerlei Vertretungsbefugnis für den Dienstherrn besitzt.
Ein arbeitsrechtliches Weisungsrecht stand der Beklagten nach dem Anstellungsvertrag der Parteien nicht zu. Gemäß Ziff. 3 des Geschäftsführervertrages vom 14. Juli 1995 war die Klägerin für das Neugeschäft der Beklagten und der gesamten E Gruppe verantwortlich. Die damit verbundenen Aufgaben hatte sie selbständig und eigenverantwortlich mit der Sorgfalt einer ordentlichen Kauffrau wahrzunehmen. Ihre entsprechende Unabhängigkeit zeigt sich auch darin, daß sie ausschließlich und direkt dem "Chief Executive Officer der E Deutschland" zu berichten hatte. Laut Ziff. 5 des Vertrages konnte die Klägerin ihre Arbeitszeit im Rahmen der betrieblichen Erfordernisse frei und eigenverantwortlich gestalten. An einem von ihr selbst zu bestimmenden Tag pro Woche stand es ihr überdies frei, zu Hause zu arbeiten. Nach Ziff. 10 konnte sie ihren Urlaub zeitlich selbst festlegen. Sie hatte sich dabei lediglich mit anderen Leitungspersonen abzusprechen.
Die vertraglichen Bestimmungen zeigen, daß die Klägerin die Modalitäten, unter denen sie ihren Aufgaben nachgehen wollte, im wesentlichen frei und selbständig bestimmen konnte. Sie unterlag insoweit keinerlei Weisungen der Beklagten und hat ihre Dienstleistung nicht in persönlicher Abhängigkeit erbracht. Daß die tatsächliche Durchführung des Vertrags dem in Wirklichkeit nicht entsprochen hätte, hat sie nicht behauptet.
Die Klägerin war nicht Arbeitnehmerin der Beklagten. Dem steht der Umstand, daß die Beklagte Lohnsteuer und Sozialabgaben für sie abgeführt hat, nicht entgegen. Der Geschäftsführer einer GmbH kann steuerrechtlich im Sinne von § 1 Abs. 1 LStDVO Arbeitnehmer und sozialversicherungsrechtlich im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB IV nicht selbständig Beschäftigter sein, arbeitsrechtlich ist das nicht erforderlich.
Ohne daß es auf die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung ankäme, ist die Klage mangels Bestehens eines Arbeitsverhältnisses nicht begründet.
Griebeling Reinecke Kreft
W. Hinrichs Dombrowsky
Fundstellen
BB 1999, 1276 |
DB 1999, 1169 |
DB 1999, 1906 |
DStR 1999, 1868 |
HFR 1999, 1026 |
NJW 1999, 3731 |
NWB 1999, 2269 |
EBE/BAG 1999, 140 |
GmbH-StB 1999, 251 |
ARST 1999, 241 |
FA 1999, 270 |
FA 1999, 335 |
NZA 1999, 987 |
SAE 2000, 83 |
ZIP 1999, 1854 |
AP, 0 |
ZMV 1999, 148 |
GmbHR 1999, 925 |
RdW 1999, 629 |