Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur schlüssigen Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 FGO
Leitsatz (NV)
Zur schlüssigen Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 FGO muß der Kläger Tatsachen vortragen, die - ihre Richtigkeit unterstellt - den Mangel ergeben.
An dem Mangel fehlender Gründe i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO leidet eine Entscheidung, die den Beteiligten keine Überprüfung ermöglicht, weil nicht erkennbar ist, auf welchen Feststellungen und Erwägungen sie beruht. Der Umstand, daß das FG zur Begründung seiner Entscheidung nicht auf jeden einzelnen Einwand des Klägers eingegangen ist, führt nicht zu fehlenden, sondern allenfalls zu unvollständigen Gründen, die keinen Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO ergeben.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, an der deren Gesellschafter S seit 1. Januar 1989 mit einer Einlage von ... DM als atypisch stiller Gesellschafter beteiligt ist. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) stellte mit geändertem Bescheid vom 9. September 1992 den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 mit ./. 500 000 DM fest und teilte den Einheitswert auf die Klägerin und S auf. der Bescheid war an die Klägerin unter deren Anschrift adressiert und enthielt folgende Zusätze:
"für Firma S-Verwaltungs-GmbH und Herrn S als Gesellschafter einer atyp stillen Gesellschaft A-Str. 7 in B
Der Bescheid ergeht an Sie als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten."
Auf den Einspruch der Klägerin änderte das FA mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 1996 die im Bescheid vom 9. September 1992 enthaltene Aufteilung und wies im übrigen den Einspruch als unbegründet zurück. Mit der hiergegen gerichteten Klage beantragte die Klägerin, den Einheitswertbescheid vom 9. September 1992 sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einheitswert für den Gewerbebetrieb der Klägerin auf den 1. Januar 1989 mit ./. 500 000 DM festzustellen, da es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keinen Einheitswert des Betriebsvermögens der atypisch stillen Gesellschaft geben könne.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Zwischen der Klägerin und S bestehe unstreitig eine atypisch stille Gesellschaft als Mitunternehmerschaft. Auch die Höhe des festgestellten Einheitswerts sowie die Zurechnung der Anteile auf die Gesellschafter seien nicht streitig; weder seien insoweit Einwendungen erhoben worden, noch seien Anhaltspunkte für eine unzutreffende Sachbehandlung durch das FA ersichtlich.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen; das Fehlen der Gründe eröffne die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Zur Begründung trägt die Klägerin im wesentlichen folgendes vor:
Wie das FG im angegriffenen Urteil ausgeführt habe, sei in dem vorläufigen Rechtsstreit strittig, ob das FA mit dem angefochtenen Feststellungsbescheid den Einheitswert des Betriebsvermögens für die atypisch stille Gesellschaft oder die Klägerin als Inhaberin des Handelsgeschäfts festgestellt habe. Das Urteil enthalte jedoch keine Aussage, wem die wirtschaftliche Einheit des Betriebsvermögens zugerechnet werde und ob das FA entsprechend dem Klagebegehren verpflichtet sei, die wirtschaftliche Einheit des Betriebsvermögens der GmbH zuzurechen. Das FG habe somit nicht über das Klagebegehren der Klägerin entschieden.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist nicht schlüssig gerügt. Die Revision ist daher gemäß § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
Die Klägerin macht zwar geltend, es läge ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Dies reicht aber nicht zur schlüssigen Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 FGO aus. Hierzu hätte die Klägerin Tatsachen vortragen müssen, die -ihre Richtigkeit unterstellt- den Mangel ergeben (s. BFH-Beschlüsse vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850; vom 11. Juli 1989 VII R 66/88, BFH/NV 1990, 176, sowie vom 22. Juni 1994 II R 1/94, BFH/NV 1995, 136). An dem Mangel fehlender Gründe i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO leidet eine Entscheidung, die den Beteiligten keine Überprüfung ermöglicht, weil nicht erkennbar ist, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen sie beruht (s. BFH-Urteil vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885, sowie BFH-Beschluß vom 12. Juli 1994 VII R 2/94, BFH/NV 1995, 230). Dies ist der Fall, wenn Gründe gänzlich fehlen oder ein eigenständiger Klagegrund oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist (BFH-Beschluß in BFH/NV 1995, 230).
Das Fehlen der Gründe ist abzugrenzen gegen unvollständige oder unzureichende Gründe, bei denen lediglich auf einzelne Argumente der Beteiligten nicht eingegangen worden ist. Letztlich ist entscheidend (so der Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 21. Dezember 1962 I ZB 27/62, BGHZ 39, 333, 338), ob erkennbar ist, welcher Grund -mag dieser tatsächlich vorgelegen haben oder nicht, mag er rechtsfehlerhaft beurteilt worden sein oder nicht- für die Entscheidung über den einzelnen Anspruch (Klagegrund) und das einzelne Verteidigungsmittel maßgebend gewesen ist.
Im Streitfall geht bereits aus der Revisionsbegründung der Klägerin hervor, daß die angegriffene Vorentscheidung mit Gründen versehen war und diese Gründe keinen wesentlichen Gesichtspunkt übergehen. So führt die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung aus, daß das FG in seiner Entscheidung die Auffassung vertritt, daß der Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens seinem "Inhalt nach nicht an die Gesellschaft als solche, sondern an die Gesellschafter gerichtet" werden muß. Hierdurch wird deutlich, daß sich das FG ausdrücklich mit der Frage befaßt hat, für wen der Einheitswertbescheid inhaltlich bestimmt ist. Damit ist auch über die materiell-rechtliche Zurechnung entschieden worden. Für die Klägerin ist folglich erkennbar, welcher Grund für das FG entscheidungserheblich war, die Klage gegen den Einheitswertbescheid des Betriebsvermögens abzuweisen. Selbst wenn das FG zur Begründung der Klageabweisung nicht auf jeden einzelnen Einwand der Klägerin eingegangen sein sollte, so führt doch dieser Umstand nicht zu fehlenden, sondern allenfalls zu unvollständigen Gründen, die keinen Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO ergeben (s. BFH in BFH/NV 1990, 176).
Fundstellen
Haufe-Index 170961 |
BFH/NV 1999, 1106 |