Leitsatz (amtlich)
Der Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist muß vor Ablauf dieser Frist gestellt werden.
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 1
Tatbestand
Das angefochtene Urteil ist dem Kläger am 6. März 1970 mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung - auch bezüglich der Begründungsfrist - zugestellt worden. Mit der am 26. März 1970 rechtzeitig eingelegten Revision hat der Kläger zugleich beantragt, die Revisionsbegründungsfrist bis zum 31. Mai 1970 zu verlängern. Nach Ablauf der dem Kläger nicht ausdrücklich mitgeteilten, vom Vorsitzenden des II. Senats des BFH antragsgemäß bewilligten Fristverlängerung bat der Kläger mit Schreiben vom 9. Juni 1970, eingegangen beim BFH am 10. Juni 1970, um nochmalige Fristverlängerung bis zum 31. Juli 1970.
Auf die dem Kläger am 24. Juni 1970 zugestellte Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 19. Juni 1970, daß die Revisionsbegründungsfrist am 31. Mai 1970 abgelaufen und der Antrag auf weitere Fristverlängerung vom 9. Juni 1970 verspätet sei, daß aber unter den Voraussetzungen des § 56 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, hielt der Kläger mit Schriftsatz vom 1. Juli 1970, eingegangen am 3. Juli 1970, seinen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 31. Juli 1970 aufrecht und beantragte hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil der mit der Sache betraute Steuerberater der mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragten Steuerberatungsgesellschaft, wie die beigefügte ärztliche Bescheinigung ausweise, vom 25. Mai bis Ende Juni 1970 krank gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Juli 1970 beantragte der Kläger durch den die Sache bearbeitenden Steuerberater nochmals Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 31. August 1970.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unzulässig (§ 124 Satz 2 FGO), da sie nicht innerhalb der antragsgemäß bis zum 31. Mai 1970 bewilligten Begründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO) - wie in § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO zwingend vorgeschrieben - begründet worden ist und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) nicht bewilligt werden konnte.
Der Fristverlängerungsantrag vom 9. Juni 1970 ist am 10. Juni 1970 und somit verspätet eingegangen, da die Revisionsbegründungsfrist nur auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO) hätte verlängert werden können.
Der verspätete Fristverlängerungsantrag vom 9./10. Juni 1970 ist zunächst lediglich mit Arbeitsüberlastung begründet worden. Abgesehen davon, daß die vom Bevollmächtigten behauptete Arbeitsüberlastung - zumal für einen bloß kurzen, ohne weiteren Zeitaufwand rechtzeitig möglichen und deshalb zumutbaren (weiteren) Fristverlängerungsantrag - ein Grund für einen rechtzeitigen Fristverlängerungsantrag sein kann, aber kein Wiedereinsetzungsgrund ist (Entscheidungen des BFH V R 130/67 vom 22. Februar 1968, BFH 91, 303, BStBl II 1968, 312; II R 8/68 vom 20. Juni 1968, BFH 93, 30, BStBl II 1968, 659; IV R 215/68 vom 28. Februar 1969, BFH 95, 29, BStBl II 1969, 298; I R 188/67 vom 9. Juli 1969, BFH 96, 397, BStBl II 1969, 690), kann der Betroffene sich nicht darauf verlassen, daß die Frist ohne weiteres verlängert werde. Besonders bei einem - wie hier - terminierten Fristverlängerungsantrag, dem - weil antragsgebunden - grundsätzlich auch nur in diesem zeitlichen Rahmen entsprochen werden kann, muß der Betroffene sich, wenn ihm die Fristverlängerung nicht spätestens vor Ablauf der sich zu Ende neigenden Frist mitgeteilt wird, noch rechtzeitig vor Fristablauf vergewissern, ob die Verlängerung überhaupt bewilligt worden ist und erforderlichenfalls rechtzeitig zumindest weitere Fristverlängerung beantragen (vgl. BFH-Entscheidung II R 8/68, a. a. O., mit Nachweisen der Rechtsprechung auch des BGH zu § 233 ZPO). Die Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers trifft also nicht zu, daß vor Gewährung einer Frist diese nach Treu und Glauben schlechterdings nicht ablaufen könne und daß ein neuer Fristverlängerungsantrag noch innerhalb einer erbetenen Verlängerungsfrist unzumutbar sei, solange noch offen sei, ob die Fristverlängerung gewährt werde. Der Umstand, daß die bewilligte Fristverlängerung bis zum 31. Mai 1970 nicht mitgeteilt war, ist kein Wiedereinsetzungsgrund (vgl. auch BFH-Entscheidung I R 120/66 vom 20. Dezember 1966, BFH 87, 378, BStBl III 1967, 145).
Einer der Geschäftsführer der Steuerberatungsgesellschaft hat (außer der ursprünglich allein behaupteten Arbeitsüberlastung) noch geltend gemacht, der mit der Sache betraute Steuerberater habe sich trotz Erkrankung in der Zeit vom 25. Mai bis Ende Juni 1970 die Akten nach Hause schicken lassen, sei aber nicht in der Lage gewesen, die Revisionsbegründung abzufassen oder auch nur einen erneuten Fristverlängerungsantrag zu veranlassen. Es kann offenbleiben, ob in einem entsprechend zu organisierenden und zu überwachenden Büro von Angehörigen der steuerberatenden Berufe bei Erkrankung eines ihrer Steuerberater wegen erkennbar drohenden Fristablaufs von vornherein zumindest ein rechtzeitiger - und weil auch ohne Kenntnis der materiellen Rechtslage des Falles zumutbarer, ohne Zeitaufwand möglicher - Verlängerungsantrag hätte gestellt werden müssen, und ob bereits dieses Unterlassen, das sich der Kläger als Vollmachtgeber wie eigenes zurechnen lassen muß (vgl. BFH-Entscheidungen VI R 155/66 vom 27. Januar 1967, BFH 88, 106, BStBl III 1967, 290; VII R 21-22/67 vom 27. März 1968, BFH 92, 307, BStBl II 1968, 535), nach den Umständen des Falles eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen nichtentschuldbaren Organisationsmangels ausschließt (vgl. die zur Überwachung von Rechtsmittelfristen zitierte Rechtsprechung im BFH-Beschluß VII B 17/68 vom 11. Dezember 1968, BFH 94, 433, BStBl II 1969, 190; ferner die Nachweise bei Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 4. Aufl., § 86 AO, Textziff. 22; Woerner, StB 1969, 105, besonders 107 ff.). Jedenfalls muß ein rechtskundiger Bevollmächtigter für den Fall seiner auch plötzlichen Verhinderung wegen Erkrankung oder aus ähnlichen Gründen durch allgemeine Anweisungen für eine sachgerechte Vertretung besonders in eiligen Terminsachen sorgen (vgl. schon Urteil des Senats II 27/60 vom 11. Juli 1962, StRK, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 90 = Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe B - Eildienst - 1963 S. 190; BGH-Entscheidung VII ZB 6/68 vom 30. Mai 1968, Versicherungsrecht 1968 S. 850); dies gilt erst recht - ähnlich wie bei einer Rechtsanwaltsgemeinschaft (Entscheidung des Reichsgerichts - RG - III B 7/25 vom 10. März 1925, Juristische Rundschau 1925, II. Bd., Nr. 612, Sp. 424) - für eine Steuerberatungsgesellschaft mit mehreren steuerrechtskundigen Steuerberatern. Dafür, daß dies geschehen sei und warum trotzdem die verlängerte Revisionsbegründungsfrist schuldlos versäumt worden sei, ist nichts vorgetragen.
Überdies ist dem Wiedereinsetzungsantrag nach der zwingenden Vorschrift des § 56 Abs. 2 Sätze 1 und 3 FGO nur zu entsprechen, wenn innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen gleichzeitig die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird. Bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist genügt also nicht lediglich ein neuer Fristverlängerungsantrag, sondern, da versäumte Rechtshandlung in Fällen der vorliegenden Art die Revisionsbegründung ist, muß mit dem Wiedereinsetzungsantrag grundsätzlich die Revisionsbegründung verbunden werden (BFH-Entscheidung VI R 215/68 vom 28. Februar 1969, BFH 95, 29, BStBl II 1969, 298, mit weiteren Nachweisen auch zu § 236 ZPO). Hierauf war der Kläger in der Verfügung des Vorsitzenden des II. Senats vom 19. Juni 1970 ausdrücklich aufmerksam gemacht worden. Weggefallen ist das Hindernis - im Sinn des Beginns der Zweiwochenfrist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO -, sobald der Prozeßbevollmächtigte von der Fristversäumnis hätte erfahren können, ihm bei ordnungsmäßiger Erledigung erstmals Zweifel an der Fristwahrung hätten kommen müssen; das ist im Regelfall jedenfalls der Zeitpunkt, zu dem der Betroffene - z. B. durch gerichtliche Mitteilung - erfährt, daß ein Rechtsbehelf oder ein anderer fristgebundener Antrag - z. B. ein Fristverlängerungsantrag - verspätet eingegangen ist (BFH-Entscheidung VI R 248/66 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 330, BStBl III 1967, 613). Dem Bevollmächtigten war aber spätestens mit Zugang der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 19. Juni 1970 eindeutig erkennbar geworden, daß die Revisionsbegründungsfrist nach Auffassung des Gerichtsvorsitzenden versäumt war. Gleichwohl hat er dem Wiedereinsetzungsantrag keine Revisionsbegründung beigefügt, sondern sich mit einem erneuten Fristverlängerungsantrag begnügt.
Obwohl die dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügte ärztliche Bescheinigung nur allgemein dahin lautet, der mit der Bearbeitung der Sache betraute Steuerberater sei "vom 25.5.1970 bis Ende Juni krank und arbeitsunfähig" gewesen, mag zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß dieser Steuerberater in der kritischen Zeit zur Fertigung der Revisionsbegründung nicht in der Lage gewesen ist und daß deren zeitgerechte Abfassung in einer den Mindesterfordernissen entsprechenden Weise (BFH-Entscheidung II R 118/67 vom 5. November 1968, BFH 94, 116, BStBl II 1969, 84) durch einen anderen der ebenfalls bevollmächtigten Rechtskundigen der Gesellschaft nicht zumutbar erschien (vgl. RG-Entscheidung III B 7/25, a. a. O.). Dann war das Hindernis der Erstellung der Revisionsbegründung jedenfalls Ende Juni 1970 beseitigt und es wäre geboten gewesen, wenigstens nunmehr unverzüglich die Revisionsbegründung nachzureichen. Statt dessen hat der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 24. Juli 1970 erneut lediglich Fristverlängerung bis zum 31. August 1970 beantragt mit der Begründung, daß die Reinschrift der weitgehend entworfenen Begründung wegen Personalmangels und Bearbeitung der Steuererklärungen 1968 nur unter großen Schwierigkeiten hergestellt werden könne. Nachdem aber die Revisionsbegründungsfrist versäumt war, handelt es sich jetzt nur um die Frage der Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO und (zunächst) nicht um die Möglichkeit einer neuen Fristverlängerung. Angesichts der Unverzichtbarkeit dieser gesetzlichen, einer Verlängerung nicht fähigen Frist rechtfertigen aber - wie bereits ausgeführt - weder Arbeitsüberlastung und noch weniger innerbetriebliche Schwierigkeiten durch Personalmangel bei der technischen Anfertigung von Schriftsätzen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. noch BFH-Urteil I R 71/69 vom 2. Oktober 1969, BFH 96, 557, BStBl II 1970, 14).
Bei gleichzeitiger Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 4 FGO) war daher die Revision auf Kosten der Klägerin (§ 135 Abs. 2 FGO) als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 68783 |
BStBl II 1970, 666 |
BFHE 1970, 355 |