Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen Antrags auf Billigkeitserlaß
Leitsatz (NV)
1. Wird die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung mit der Begründung verlangt, daß das FG im Hauptverfahren über einen beantragten Billigkeitserlaß noch nicht entschieden habe, so kommt als Rechtsgrundlage für den Anordnungsanspruch nur § 258 AO 1977 in Betracht.
2. Zur Befugnis des Gerichts, eine einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (Interimsermessen) zu erlassen.
3. Vollstreckungsmaßnahmen vor bestandskräftiger Entscheidung über einen beantragten Billigkeitserweis sind nur dann unbillig i. S. des § 258 AO 1977, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einem solchen Erweis zu rechnen ist. Zur Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzung gegeben ist, braucht das Gericht die Erfolgsaussichten des Billigkeitsverfahrens nur summarisch abzuschätzen.
4. Zu den Voraussetzungen für den Erlaß von Säumniszuschlägen.
Normenkette
FGO § 114; ZPO § 920 Abs. 2; AO 1977 § 258
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) betreibt gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) wegen Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer 1973, 1974, 1976, 1980 und 1981 sowie zur Ergänzungsabgabe und zum Stabilitätszuschlag 1973, die in der Zeit von November 1977 bis Januar 1983 verwirkt worden sind, die Zwangsvollstreckung. Auf Antrag des FA hat das zuständige Amtsgericht wegen dinglich gesicherter Säumniszuschläge (17 343 DM) und wegen Vollstreckungskosten (58,25 DM) durch Beschluß vom 6. August 1985 den Beitritt zu der Zwangsversteigerung eines dem Antragsteller gehörenden Grundstücks zugelassen. Auf dem Grundstück betreibt eine KG, an der der Antragsteller als persönlich haftender Gesellschafter zu 60 v. H. beteiligt ist, einen Herstellungsbetrieb.
Der Antragsteller vertritt die Auffassung, die Säumniszuschläge müßten erlassen werden, weil er während der Zeitdauer, in der diese angefallen seien, überschuldet und zahlungsunfähig gewesen sei. Das FA hat seinen Erlaßantrag abgelehnt; die dagegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg. Über eine Klage, mit der der Antragsteller weiterhin beantragt, ihm die rückständigen Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten zu erlassen, hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden.
Der Antragsteller beantragte beim FG ferner, ,,die Vollziehung der angefochtenen Säumniszuschläge in Höhe von 17 343 DM zuzüglich 58,25 DM Vollstreckungskosten auszusetzen, hilfsweise, den Antragsgegner zu verpflichten, die Zwangsvollstreckung aus den vorgenannten Säumniszuschlägen und Vollstreckungskosten einzustellen".
Das FG verpflichtete das FA, die Zwangsvollstreckung aus den Säumniszuschlägen und Vollstreckungskosten auf einen Teilbetrag von 13 059 DM vorläufig bis einen Monat nach Zustellung des Urteils in der Erlaßsache zu beschränken. Es legte das Begehren des Antragstellers dahin aus, daß dieser den für das vorläufige Rechtsschutzverfahren zulässigen Antrag habe stellen wollen. Das sei der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, denn im Streitfall sei ein der Aussetzung der Vollziehung fähiger Verwaltungsakt nicht gegeben. Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung seien teilweise erfüllt.
Soweit sich der Antragsteller dagegen wehre, daß aus den Säumniszuschlägen vollstreckt werde, scheide § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) als Anordnungsanspruch aus. Eine Unbilligkeit im Sinne dieser Vorschrift sei nur dann anzunehmen, wenn die Vollstreckung dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könne. Eine derartige Unbilligkeit der Vollstreckung habe der Antragsteller nicht dargetan, denn aufgrund seiner Ausführungen sei weder eine kurzfristige Tilgung der Rückstände ersichtlich noch seien alternative Vollstreckungsmöglichkeiten gegeben.
Als Anordnungsanspruch komme daher nur der Anspruch des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Erlaßantrag in Betracht. Ein solcher Anspruch sei dann glaubhaft gemacht, wenn das Gericht bei der im Rahmen einer einstweiligen Anordnung gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage das Vorbringen des Antragstellers, sein Erlaßantrag sei ermessensfehlerhaft abgelehnt worden, bis zu einem gewissen Grad für wahrscheinlich halte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415) sei die Erhebung von Säumniszuschlägen insbesondere dann sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuern wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich sei und deshalb die Ausübung eines Drucks zur Zahlung ihren Sinn verliere. Der Antragsteller sei aber nicht zahlungsunfähig gewesen, denn er habe in dem maßgeblichen Zeitraum laut Einkommensteuererklärungen 1977 bis 1980 rd. 71 000 DM in eine Lebensversicherung eingezahlt. Darüber hinaus habe er Raten auf die bis 1983 rückständigen Einkommensteuern entrichtet. Unangemessen könne die Anforderung von Säumniszuschlägen aber auch dann sein, wenn eine einstweilige Verschonung von der Zwangsvollstreckung anstelle einer - an sich möglichen oder gebotenen - Stundung gewährt worden sei. Das gelte vor allem, wenn etwa Ratenzahlungen als Maßnahme i. S. des § 258 AO 1977 eingeräumt worden seien, um auf die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen für eine längere Zeitspanne Rücksicht zu nehmen (BFH-Urteil vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489). Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall teilweise vor, denn das FA habe dem Antragsteller in dem maßgeblichen Zeitraum vorübergehenden Vollstreckungsschutz in Form von Ratenzahlungen eingeräumt, die sich nach der äußersten Grenze seiner Zahlungsfähigkeit gerichtet hätten. Unter Berücksichtigung des zusätzlichen Zwecks der Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung (vgl. BFH-Urteil vom 15. März 1979 IV R 174/78, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429) liege es allerdings in einem solchen Fall nahe, nur einen Teilbetrag der Säumniszuschläge als sachlich angemessen anzusehen. Hinsichtlich der Höhe des eventuell zu gewährenden Erlasses könne für den maßgeblichen Zeitraum die Höhe der Stundungs- oder Aussetzungszinsen (§ 238 A0 1977) herangezogen werden. Da nach Aktenlage während des hier maßgeblichen Zeitraums (Mai / Juni 1977 bis Februar / März 1983) etwa während der Hälfte dieser Zeit Zahlungsaufschub mit Ratenzahlungen gewährt worden sei, gehe der Senat von einem möglicherweise zu erlassenden Betrag von 4 336 DM aus. Ein darüber hinausgehender Erlaß sei zwar nicht ausgeschlossen, bei summarischer Prüfung der Aktenlage aber wenig wahrscheinlich. Ein Erlaß der Säumniszuschläge aus persönlichen Billigkeitsgründen komme nicht in Betracht.Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend, er habe entgegen der Auffassung des FG den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er habe dargelegt, daß er in dem maßgeblichen Zeitraum nicht in der Lage gewesen sei, die fälligen Steuern zu entrichten. Die Kosten seiner Lebensführung habe er ausschließlich aus dem von ihm bei der KG unterhaltenen Darlehenskonto bestritten. Von den Lebensversicherungsbeiträgen sei ein großer Teil auf die Lebensversicherungsgesellschaft . . . entfallen. Bei dieser Gesellschaft habe er als Voraussetzung für die Gewährung eines Darlehens durch die Sparkasse V an die KG einen Lebensversicherungsvertrag abschließen müssen. Die übrigen Versicherungsleistungen seien erbracht worden, um damit einen Vermögenswert zu schaffen, der dann beliehen werden konnte. Die auf diese Weise ausgezahlten Geldbeträge habe er u. a. zur Rückzahlung der fälligen Steuern verwendet. Damit habe er seine Zahlungsunfähigkeit ausrreichend dargetan. Weitere Leistungen habe er nicht erbringen und weitere Zahlungsmittel nicht aufnehmen können.
Der Anordnungsgrund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sei deshalb gegeben, weil die Verwertung des Grundbesitzes für ihn und für die von ihm vertretene Gesellschaft zu einem nicht wiedergutzumachenden Schaden führen würde. Würde die Zwangsversteigerung durchgeführt, so würde nicht eine einzige Mark an das FA ausgekehrt werden. Denn das Grundstück hafte gegenüber der Sparkasse V als vorrangigem Grundpfandgläubiger bis zur Höhe von insgesamt 332 000 DM. Zur Zeit bestünden Verbindlichkeiten gegenüber der Sparkasse über 295 821 DM. Nach dem vorliegenden Wertgutachten betrage aber der Schätzungswert des Grundstücks nur 253 000 DM (1979) bzw. 290 000 DM (1983).
Das FA beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Das FG hat im Streitfall zu Recht hinsichtlich der in der Zwangsvollstreckung befindlichen Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) verneint. Säumniszuschläge entstehen bei Nichtentrichtung fälliger Steuern gemäß § 240 Abs. 1 AO 1977 kraft Gesetzes, ohne daß es eines - der Aussetzung der Vollziehung fähigen - Verwaltungsakts bedarf. Werden aber - wie im Streitfall - Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten gesondert von der Steuer beigetrieben, so bedarf es dazu eines Leistungsgebots (§ 254 Abs. 1 und 2 AO 1977). Die Vollziehung dieses Leistungsgebots kann zwar nach den §§ 361 AO 1977, 69 FGO ausgesetzt werden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 254 AO 1977 Tz. 14 am Ende; BFH-Beschluß vom 31. Oktober 1975 VIII B 14/74, BFHE 117, 215, BStBl II 1976, 258). Im Streitfall kommt jedoch eine Aussetzung der Vollziehung deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit des Leistungsgebots wendet, sondern vorläufigen Rechtsschutz gegen die Vollstreckung mit der Begründung begehrt, daß die Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten aus sachlichen Gründen erlassen werden müßten.
Der hiernach statthafte Rechtsschutzantrag ist derjenige auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gemäß § 258 AO 1977, die im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durch das FG nur über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 Abs. 1 FGO) erlangt werden kann. Der Senat folgt dem FG nicht darin, daß § 258 AO 1977 als Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung ausscheide und hierfür nur der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Erlaßantrag des Antragstellers in Betracht komme. Das FG verkennt, daß der Antragsteller mit seinem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht den vorläufigen Erlaß der Säumniszuschläge und der Vollstreckungskosten begehrt, sondern daß er lediglich deren Beitreibung mit Rücksicht auf den gestellten Erlaßantrag, über den noch nicht rechtskräftig entschieden ist, einstweilen eingestellt haben will. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß in Fällen, in denen im Hinblick auf den im Hauptverfahren begehrten Erlaß von Steuerrückständen aus Billigkeitsgründen beim FG auch die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt wird, allein § 258 AO 1977 als Rechtsgrundlage für den Anordnungsanspruch in Betracht kommt (Beschlüsse vom 12. Februar 1985 VII B 61/84, BFH/NV 1986, 68, und vom 25. September 1985 VII B 31/85, BFH/NV 1986, 198). Dem dieser Regelung innewohnenden Vorläufigkeitscharakter wird dadurch Rechnung getragen, daß die Zwangsvollstreckung nach dieser Vorschrift nicht endgültig, sondern nur einstweilen, etwa - wie der Antragsteller sinngemäß begehrt - bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über einen Erlaßantrag, eingestellt werden kann (vgl. BFH/NV 1986, 68).
2. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung - hier zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) - setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Im Streitfall kann eine gerichtliche Anordnung, die über die im angefochtenen Beschluß des FG enthaltene Regelung hinausgeht, nicht erlassen werden, weil es insoweit zumindest an an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehlt.
Wird im Verwaltungsvollstreckungsverfahren als vorläufiger Rechtsschutz durch ein Gericht die Verpflichtung der Behörde zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung verlangt, so kann Streitgegenstand nur die nach § 258 AO 1977 in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung einer vorläufigen Vollstreckungsaussetzung sein. Unter welchen Voraussetzungen dieser vorläufige Rechtsschutz durch ein Gericht erlangt werden kann, ist, da der Anordnungsanspruch eine behördliche Ermessensentscheidung betrifft, umstritten (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587). Im Streitfall braucht nicht entschieden zu werden, welcher der vertretenen Auffassungen zu folgen ist. Auch wenn der Entscheidung über die einstweilige Anordnung die für den Antragsteller günstigste Auffassung zugrunde gelegt wird, nämlich die, daß das Gericht befugt ist, die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (,,Interimsermessen") zu treffen, ist die einstweilige Anordnung im Streitfall zu versagen; denn in Anwendung dieses Ermessens gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß die beantragte Anordnung nicht gerechtfertigt ist, weil ihre Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht sind.
Voraussetzung für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO 1977 ist, daß im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist. Als Ansatzpunkt für die Annahme einer solchen Unbilligkeit kommt im vorliegenden Fall allein der Umstand in Betracht, daß über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des FA hinsichtlich des Billigkeitsantrags des Antragstellers vom FG noch nicht entschieden worden ist. Allein die Darlegung der rechtlichen Möglichkeit, daß es zu dem begehrten Erlaß der Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten kommt, vermag das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft zu machen. Allenfalls könnten die Vollstreckungsmaßnahmen des FA vor endgültiger Entscheidung über den Erlaßantrag des Antragstellers dann als unbillig i. S. des § 258 AO 1977 angesehen werden, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit dem beantragten Erlaß zu rechnen wäre (BFH/NV 1986, 68 und 1986, 198; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, 26, BStBl II 1982, 307, und vom 6. Oktober 1982 I R 98/81, BFHE 138, 1, 2, BStBl II 1983, 397). So liegt der Fall hier aber nicht.
Zur Prüfung der Frage, ob der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, daß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einem Erfolg im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist, bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Prüfung der in der Hauptsache zu entscheidenden Rechtsfragen. Es genügt vielmehr eine summarische Abschätzung der dortigen Erfolgsaussichten. Nach den Gesamtumständen ist es aber nicht wahrscheinlich, daß der Antragsteller mit seinem Erlaßantrag Erfolg haben wird.
Das FA hat den Billigkeitserlaß bereits abgelehnt. Die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) hat diesen Bescheid bestätigt. Da der beantragte Erlaß in das Ermessen der Verwaltung gestellt ist, kann im Rahmen des von dem Antragsteller beantragten Rechtsmittelverfahrens das FG die Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung der Verwaltung nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 FGO ). Auch das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Entscheidung der Verwaltung über den Erlaßantrag ermessensfehlerhaft war. Hierzu hätte es des Vorbringens von Tatsachen bedurft, aus denen sich ergibt, daß sich der Ermessensrahmen der Verwaltung in diesem Fall auf Null eingeschränkt hatte, also nur noch die Gewährung des beantragten Erlasses als Rechtens angesehen werden kann (BFH/NV 1986, 68 und 1986, 198). Solche Tatsachen hat der Antragsteller nicht vorgetragen.
3. a) Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen setzt voraus, daß ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht mehr zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteile vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727, und vom 14. September 1978 V R 35/72, BFHE 126, 9, BStBl II 1979, 58). Als mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr vereinbar und als einen zwingenden Erlaßgrund wegen sachlicher Unbilligkeit hat der BFH die Erhebung von Säumniszuschlägen insbesondere dann angesehen, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung eines Druckes zur Zahlung - Säumniszuschläge - ihren Sinn verliert (BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727 und BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415). Das FG hat in dem angefochtenen Beschluß den Erlaß der Säumniszuschläge nach diesen Grundsätzen für unwahrscheinlich angesehen, weil der Antragsteller während des Zeitraums, für den die Säumniszuschläge verwirkt sind, nicht zahlungsunfähig gewesen sei, da er Lebensversicherungsbeiträge in erheblicher Höhe geleistet habe. Der Senat schließt sich dieser Würdigung an. Er hält die dagegen mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen nicht für durchgreifend.
Der Antragsteller führt in seiner von der Beschwerde in Bezug genommenen Klageschrift für das Hauptverfahren aus, er habe in den Jahren 1978 bis 1981 Beiträge zu Lebensversicherungen in Höhe von insgesamt 87 329 DM geleistet. Hiervon entfielen insgesamt 50 167 DM auf die Lebensversicherungsgesellschaft. . ., bei der er zur Absicherung eines Sparkassendarlehens an die von ihm vertretene KG einen Lebensversicherungsvertrag habe abschließen müssen. Die übrigen Beiträge seien auf Lebensversicherungsverträge geleistet worden, die später dazu gedient hätten, im Wege ihrer Beleihung die aufgelaufenen Steuerschulden zu tilgen und notwendige Einlagen in die KG (1980: 27 000 DM, 1981: 11 000 DM) zu erbringen.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers glaubhaft zu machen. Aus ihm folgt lediglich, daß der Antragsteller die ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel in Höhe von mindestens 87 000 DM in erster Linie im Interesse der KG verwendet hat, deren Komplementär er war. Das mag wirtschaftlich sinnvoll und für die Erhaltung der Existenz der KG notwendig gewesen sein. Der Antragsteller war aber dadurch nicht von seiner Verpflichtung entbunden, die vorhandenen Geldmittel auch zur Tilgung seiner fälligen Einkommensteuerschulden zu verwenden. Soweit er diese erst später mit Mitteln aus der Beleihung bestehender Lebensversicherungsverträge getilgt hat, sind die inzwischen angefallenen Säumniszuschläge als Druckmittel nach dem Sinn des Gesetzes zu Recht verwirkt. Der Antragsteller hat nicht dargetan, warum die nicht an die Lebensversicherungsgesellschaft geleisteten Versicherungsbeiträge (insgesammt 37 162 DM ) nicht unmittelbar zum Zwecke der Tilgung der Steuerschulden verwendet worden sind. Es ist ferner nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Antragsteller die im Wege der Beleihung von Lebensversicherungsverträgen erlangten Geldmittel in den Jahren 1980 und 1981 in Höhe von 38 000 DM zur Erbringung von Einlagen in die KG verwendet hat, anstatt damit seine fälligen Steuerschulden zu entrichten. Schließlich spricht gegen einen Erlaß, daß der Antragsteller, wie das FA im Hauptverfahren vorträgt, keine an der monatlichen Verwirkung von Säumniszuschlägen orientierte Darstellung seiner Zahlungsunfähigkeit erbracht und insbesondere nicht dargetan hat, wie die im maßgeblichen Zeitraum bei der KG getätigten Privatentnahmen verwendet worden sind.
b) Das FG hat allerdings unter Berücksichtigung des Urteils des V. Senats in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489 einen Teilerlaß für möglich gehalten und deshalb im Wege der einstweiligen Anordnung die Zwangsvollstreckung einstweilen auf einen Teilbetrag der streitigen Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten beschränkt. Nach der angeführten BFH-Entscheidung kommt ein Erlaß von Säumniszuschlägen wegen sachlicher Unbilligkeit auch dann in Betracht wenn bei Fälligkeit verspätet gezahlter Steuerschulden eine Erlaß- oder Stundungssituation bestand. Das soll insbesondere dann der Fall sein, wenn anstelle einer - an sich möglichen und gebotenen - Stundung Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO 1977 etwa durch Einräumung von Ratenzahlungen gewährt worden ist. Der Senat vermag den vom FG angenommenen Teilerlaß in Höhe von 4 336 DM, den dieses in Anlehnung an das BFH-Urteil unter Berücksichtigung der dem Antragsteller im maßgeblichen Zeitraum gewährten Ratenzahlungen und der Höhe der Stundungs- und Aussetzungszinsen (§ 238 AO 1977) ermittelt hat, rechnerisch nicht im einzelnen nachzuvollziehen. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Entscheidung des FG, soweit dieses die beantragte einstweilige Anordnung erlassen hat, rechtlich gefolgt werden kann. Denn das FA hat gegen den Beschluß des FG kein Rechtsmittel eingelegt. Der Senat hält aber jedenfalls einen weitergehenden Erlaß der Säumniszuschläge nicht für möglich und deshalb die auf die vollständige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über die Erlaßklage gerichtete Beschwerde des Antragstellers nicht für begründet.
Es bestehen Zweifel, ob Stundungssituationen gegeben waren, soweit dem Antragsteller während des maßgeblichen Zeitraums für seine Steuerschulden Vollstreckungsaufschub gewährt worden ist, und ob die eingeräumten Ratenzahlungen sich an der untersten Grenze seiner Zahlungsfähigkeit bewegten (vgl. BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489). Die oben genannten vom Antragsteller in beträchtlicher Höhe geleisteten Lebensversicherungsbeiträge sprechen eher für das Gegenteil. Der Senat vermag aber jedenfalls aufgrund des Vorbringens des Antragstellers über den vom FG zu dessen Gunsten angenommenen Sachverhalt hinaus keine weiteren Gesichtspunkte zu erkennen, die einen darüber hinausgehenden Erlaß im Hauptverfahren wahrscheinlich machen könnten.
4. Da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden ist, braucht der Senat auf den für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ferner erforderlichen Anordnungsgrund nicht einzugehen. Es kann auch unerörtert bleiben, ob die vom zuständigen Amtsgericht bereits angeordnete Zwangsversteigerung des dem Antragsteller gehörenden Grundstücks vom FG überhaupt noch einstweilen hätte eingestellt werden können. Aus den vorstehenden Ausführungen im Zusammenhang mit dem Beschluß des FG ergibt sich jedenfalls, daß wegen der Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten in Höhe eines Betrages von 13 059 DM die Einstellung jeglicher Vollstreckungsmaßnahmen - und damit auch der Zwangsversteigerung - aus den vom Antragsteller für den Erlaß der einstweiligen Anordnung genannten Gründen nicht gerechtfertigt ist. Soweit der Antragsteller das Betreiben der Zwangsversteigerung durch das FA deshalb für unbillig hält, weil der Wert des Grundstücks sogar noch niedriger sei als die gesicherten Ansprüche der Sparkasse V als des dem FA vorrangigen Grundpfandgläubigers, weist der Senat darauf hin, daß das Amtsgericht auf Antrag der Finanzverwaltung wegen der streitbefangenen Ansprüche den Beitritt zu der Zwangsversteigerung des Grundstücks zugelassen hat. Die Zwangsversteigerung muß deshalb zuvor bereits auf Antrag eines anderen Gläubigers angeordnet worden sein (vgl. §§ 15 und 27 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung). Sie könnte somit durch eine Maßnahme des FG nicht verhindert werden.
Fundstellen
Haufe-Index 414836 |
BFH/NV 1987, 555 |