Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderungszinsen
Leitsatz (NV)
Der Grundsatz von Treu und Glauben steht einer Festsetzung von Nachforderungszinsen gemäß § 233 a AO 1977 regelmäßig auch dann nicht entgegen, wenn der Veranlagungsbeamte die Bearbeitung der Steuer erklärung schuldhaft verzögert.
Normenkette
AO 1977 § 233a; BGB § 242
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gerügte Abweichung der angefochtenen Entscheidung des Finanzgerichts (FG) von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) liegt nicht vor.
a) Der erkennende Senat hat im Urteil vom 8. September 1993 I R 30/93 (BFHE 172, 304, BStBl II 1994, 81) u. a. entschieden, daß das Finanzamt grundsätzlich verpflichtet sei, die nach dem Gesetz entstandenen Steuer- und Zinsansprüche geltend zu machen. Ausnahmsweise könne es nur nach dem allgemein gültigen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) an der Geltendmachung und Durchsetzung entstandener Ansprüche gehindert sein. Welche Anforderungen der Grundsatz von Treu und Glauben an die Beteiligten eines Steuerrechtsverhältnisses stelle, sei jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Dabei könne dahinstehen, ob der Grundsatz von Treu und Glauben der Festsetzung von Nachforderungszinsen entgegensteht (oder ob diese Zinsen wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind), wenn der Steuerpflichtige -- entgegen der § 233 a der Abgabenordnung (AO 1977) zugrundeliegenden Annahme -- die für die Nachzahlung benötigten Mittel unverzinslich oder mit einem Zinssatz unter 6 v. H. angelegt hat und ein schuldhaftes Verhalten von Bediensteten der Finanzbehörde oder Organisationsmängel durch unzureichende personelle Ausstattung der Veranlagungsstellen zu einer übermäßig langen Bearbeitungszeit und damit zu Nachforderungszinsen führen. Diese Frage ist vom X. Senat des BFH im Urteil vom 20. September 1995 X R 86/94 (BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53) und vom 5. Juni 1996 X R 234/93 (BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503) aufgegriffen worden, ebenfalls ohne sie zu entscheiden.
Von diesen Rechtsgrundsätzen ist ersichtlich auch das FG im Streitfall ausgegangen. Es ist allerdings nach Prüfung der Einzelfallumstände zu der Erkenntnis gelangt, daß der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) an der Festsetzung der Zinsen nicht gehindert gewesen sei. Für ein schuldhaftes Verhalten des FA gebe es keine Anhaltspunkte; es sei sachgerecht gewesen, zunächst die Entscheidung des FG in dem Klageverfahren betreffend die Vorjahre abzuwarten.
b) Darin liegt ebensowenig eine Abweichung von den vorgenannten BFH-Urteilen wie von dem BFH-Beschluß vom 27. September 1994 VIII B 21/94 (BFHE 175, 516). In diesem Beschluß hat der BFH es als Zweck des § 233 a AO 1977 herausgestellt, Liquiditätsvorteile des Steuerschuldners abzuschöpfen. Er hat die Anwendbarkeit dieser Vorschrift im summarischen Verfahren verneint, wenn für den Steuerpflichtigen objektiv keine Möglichkeit bestanden habe, Zinsvorteile zu erlangen. Zu dem vorliegend in Rede stehenden Sachverhalt, daß der Steuerpflichtige von einer solchen Möglichkeit lediglich keinen Gebrauch gemacht hat, hat er sich nicht geäußert.
2. Die Beschwerde läßt sich auch nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) stützen. Die Frage, ob das FA die Durchführung einer Veranlagung von der Entscheidung eines FG betreffend einen anderen Veranlagungszeitraum abhängig machen kann und ob trotz einer dadurch bedingten verzögerten Bearbeitung Nachzahlungszinsen festgesetzt werden dürfen, ist gleichermaßen eine Frage des Einzelfalles und nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
3. Schließlich kann die Klägerin sich auch nicht darauf berufen, das FG habe in nur unzulänglicher Weise aufgeklärt, weshalb es zu der verzögerten Bearbeitung gekommen sei. Das FG ist ausweislich seiner Urteilsgründe davon ausgegangen, daß das FA den Ausgang des anhängigen FG-Verfahrens betreffend die Veranlagungszeiträume 1987 und 1988 abgewartet und erst dann die Veranlagung 1989 durchgeführt habe. Diese Feststellungen des FG wären für den Senat in einem nachfolgenden Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Die von der Klägerin im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geäußerten Bedenken gegen die Sachverhaltsannahme des FG vermögen daran nichts zu ändern. Sie decken sich nicht mit der Aktenlage. Auf Seite 4 der Einspruchsentscheidung des FA ist ausdrücklich ausgeführt, daß die Veranlagung für das Streitjahr zunächst zurückgestellt worden ist, weil die Klägerin Klage gegen die Festsetzungen der Körperschaftsteuer 1987 und 1988 erhoben hatte, und daß der Ausgang dieses Klageverfahrens Auswirkungen auf das Streitjahr gehabt habe. Das FA hat sich in dem Klageverfahren betreffend das Streitjahr auf die Einspruchsentscheidung bezogen. Die Sachaufklärungsrüge der Klägerin geht demnach ins Leere.
Im übrigen ergeht dieser Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.
Fundstellen