Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Bezeichnung eines Verfahrensmangels
Leitsatz (NV)
Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist vom materiellen Standpunkt des FG auszugehen. Deshalb bedarf es zur schlüssigen Darlegung einer Aufklärungsrüge u.a. auch Ausführungen dazu, inwiefern das Urteil des FG ‐ ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts ‐ auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann und was das voraussichtliche (insofern entscheidungserhebliche) Ergebnis der als unterlassen gerügten Beweisaufnahme gewesen wäre.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Die Beteiligten streiten (nur noch) darüber, ob die Unkenntnis des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) von einer ihm erst nachträglich bekannt gewordenen Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ―AO 1977― (hier: der Abschluss eines Bauerrichtungsvertrages vor Abschluss des Grundstückskaufvertrages) für die zu niedrige Festsetzung der Steuer ursächlich gewesen ist.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und seine Ehefrau erwarben aufgrund eines Kaufvertrags vom … ein unbebautes Grundstück zu einem Kaufpreis von 30 133,50 DM. Sie waren verpflichtet, (Erschließungs-)Kosten in Höhe von 95 DM/qm direkt an einen Erschließungsträger zu zahlen und "den Grundbesitz als Teilnehmer des Projektes 'Kosten- und flächensparendes Bauen' in Doppelhaus- beziehungsweise Reihenhausbauweise zu bebauen".
Der Verkauf der Grundstücke erfolgte nur an solche Interessenten, die zuvor bereits einen Bauvertrag mit einem der Generalunternehmer abgeschlossen hatten. Entsprechend hatte der Kläger schon vor Abschluss des Kaufvertrags den Auftrag zur Bebauung des Grundstücks erteilt. Dem FA legte der Kläger den Bauvertrag nicht vor.
Das FA setzte gegen den Kläger mit Bescheid vom 17. März 1986 Grunderwerbsteuer nach einer Gegenleistung von 15 066 DM in Höhe von 300 DM fest.
Später wurde dem FA bekannt, dass die Grundstücksveräußerungen nur an Interessenten erfolgt waren, bei denen gesichert war, dass sie einem der Generalunternehmer den Bauauftrag erteilten, die einen Rahmenvertrag mit der Stadt geschlossen hatten.
Durch Änderungsbescheid vom 19. Dezember 1990 setzte das FA in Einbeziehung der Bauerrichtungskosten Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 601 DM gegen den Kläger fest. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und führte aus, das FA habe den Bescheid nicht ändern dürfen, weil der zuständigen Sachbearbeiterin die Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen eines einheitlichen Vertragswerks ergab, bekannt gewesen seien. Der Kläger habe zwar den Bauvertrag nicht vorgelegt, die zuständige Sachbearbeiterin sei jedoch von dritter Seite vor Abschluss der Verträge über die Hintergründe des Projekts informiert worden.
Auf die Revision des FA wurde das Urteil des FG aufgehoben. In seiner Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) ausgeführt, der Umstand des Abschlusses eines Bauvertrages, der mit dem Grundstückskaufvertrag in einem objektiven Zusammenhang gestanden habe, sei dem FA entgegen der Auffassung des Klägers bei Erlass des Ausgangsbescheides nicht bekannt gewesen. Das FG habe festgestellt, dass der Kläger dem FA den Abschluss des Bauvertrags vor Erlass des Ursprungsbescheides nicht angezeigt habe. Auch durch das Gespräch zwischen der Sachbearbeiterin und einem Dritten sei dem FA für das konkrete Besteuerungsverfahren der Abschluss des Bauvertrags durch den Kläger nicht bekannt geworden.
Es bedürfe aber noch der Feststellung, ob im Streitfall das FA bei Kenntnis des vollen Sachverhalts schon bei Erlass des ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheids mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine andere Entscheidung getroffen hätte (Urteil des BFH vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293, 295, im Anschluss an den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Dabei sei grundsätzlich davon auszugehen, dass das FA die dem Sachverhalt entsprechende zutreffende Entscheidung getroffen hätte. Habe es damals zur maßgeblichen Rechtsfrage bereits eine Rechtsprechung des BFH oder die FÄ bindende Verwaltungsanweisungen gegeben, sei anzunehmen, dass sich das FA auch daran gehalten hätte. Habe nach der damaligen Gesetzeslage oder angesichts der damals bereits vorliegenden Entscheidungen des BFH vom 21. Dezember 1981 II R 124/79 (BFHE 135, 217, BStBl II 1982, 330), vom 23. Juni 1982 II R 155/80 (BFHE 136, 427, BStBl II 1982, 741) sowie vom 18. September 1985 II B 24-29/85 (BFHE 144, 280, BStBl II 1985, 627) auch nur die Möglichkeit einer anderen Entscheidung bestanden, sei die Rechtserheblichkeit der nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen zu bejahen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. April 1972 IV R 27/70, BFHE 105, 445, BStBl II 1972, 648).
Das FG hat im zweiten Rechtsgang die Klage als unbegründet abgewiesen und hierzu u.a. zur Rechtserheblichkeit der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache ausgeführt, es stehe zu seiner Überzeugung fest, dass bei rechtzeitiger Kenntnis des FA vom Abschluss des Bauvertrages die Festsetzung einer höheren Steuer möglich gewesen wäre. Hierfür spräche nicht nur die damals schon vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung, sondern eine Vielzahl von Verwaltungserlassen, mit denen auf diese Rechtsprechung hingewiesen worden sei und die vor Erlass des Ursprungsbescheides ergangen seien. Es sei davon auszugehen, dass die Grunderwerbsteuerstelle des FA die Rechtsprechung und Verwaltungserlasse auch beachtet hätte.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Klägers, der geltend macht, das FG habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt, habe seiner Entscheidung einen "falschen" Sachverhalt zugrunde gelegt sowie das Recht auf Gehör verletzt.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Dies beurteilt sich nach der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I, 1757) wie sich aus Art. 4 dieses Gesetzes ergibt. Denn die angefochtene Entscheidung des FG ist vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden.
Der Kläger hat die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.d.F. vor dem In-Kraft-Treten des 2.FGOÄndG ―FGO a.F.―): Hierzu genügt die bloße Behauptung, es liege ein Verfahrensmangel vor, nicht. Vielmehr sind die Tatsachen genau anzugeben, die den Mangel schlüssig ergeben.
1. Soweit der Kläger die Verletzung des Rechts auf Gehör durch das FG rügt, fehlt es an Ausführungen, wozu er sich nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte.
2. Soweit der Kläger die Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 FGO) erhebt und geltend macht, das FG habe die für den Kläger zuständige Sachbearbeiterin befragen müssen, ob diese "bei Kenntnis des Bauerrichtungsvertrages mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Grunderwerbsteuer gelangt" wäre, genügen die Ausführungen ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen. Denn bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist vom Rechtsstandpunkt des FG auszugehen. Die Schlüssigkeit einer Aufklärungsrüge setzt voraus, dass die noch zu ermittelnden Tatsachen auch aus der Sicht des FG entscheidungserheblich waren. Deshalb bedarf es zur schlüssigen Darlegung einer Aufklärungsrüge u.a. auch Ausführungen dazu, inwiefern das Urteil des FG ―ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts― auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann und was das voraussichtliche (insofern entscheidungserhebliche) Ergebnis der als unterlassen gerügten Beweisaufnahme gewesen wäre.
In seiner Beschwerdebegründung hat der Kläger an keiner Stelle dargelegt, dass auf der Grundlage der Rechtsauffassung des FG eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich war. Es fehlen Ausführungen dazu, inwiefern die als unterlassen gerügte Vernehmung der zuständigen Sachbearbeiterin angesichts der vom FG vertretenen Rechtsauffassung notwendig war, es reiche für die Entscheidungserheblichkeit der "neuen" Tatsache allein die sich aus der allgemeinen Handhabung (z.B. Rechtsprechung, Verwaltungsanweisungen) ergebende bloße Möglichkeit einer anderen, zu einer höheren Steuer führenden Entscheidung des FA aus.
Soweit der Kläger die Rechtsauffassung des FG nicht teilt, sondern meint, es reiche das "Abstellen auf allgemeine Handhabungen der Behörde keineswegs" aus, vielmehr komme es "auf den konkreten Kenntnisstand des zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Sachbearbeiters" an, vermag dies als Rüge eines materiell-rechtlichen Fehlers eine Revisionszulassung nicht zu rechtfertigen. Auch kommt es nicht darauf an, ob ggf. auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung des Klägers die als unterlassen gerügte Beweisaufnahme erforderlich gewesen sein könnte.
Auch aus dem Hinweis des Klägers, das FG habe seiner Entscheidung fälschlicherweise die Aussage einer Sachbearbeiterin in der Grunderwerbsteuerstelle des FA zugrunde gelegt, die nicht für die Steuerfestsetzung gegen den Kläger zuständig gewesen sei, ergibt sich kein schlüssiger Verfahrensmangel. Weder hat der Kläger das voraussichtliche Ergebnis der Beweiserhebung dargelegt noch Ausführungen zur Rechtserheblichkeit des behaupteten Verfahrensmangels unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des FG gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 642290 |
BFH/NV 2001, 1602 |