Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis von Nichtzulassungsbeschwerde und zulassungsfreier Revision
Leitsatz (NV)
Eine unzulässig eingelegte zulassungsfreie Revision muß auch dann als unzulässig verworfen werden, wenn die zugleich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hatte.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) mit der Begründung als unzulässig ab, daß die Klage nicht schriftlich i. S. von § 64 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben worden sei. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers habe, so führte das FG aus, die innerhalb der Klagefrist eingereichte Klageschrift nur mit einer Paraphe, d. h. einer Abkürzung seines vollständigen Namens, unterzeichnet, die den Anforderungen an die Schriftlichkeit nicht genüge. Das FG ließ die Revision gegen das Urteil nicht zu.
Mit der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO rügt der Kläger Verletzung der Menschenwürde, von persönlichen Freiheitsrechten, des Gleichheitsgrundsatzes, Verstöße gegen das Willkürverbot sowie gegen Treu und Glauben, Verletzung der freien Berufsausübung, der Eigentumsrechte, des Anspruchs auf rechtliches Gehör, von Bestimmungen der FGO, weil das FG trotz eines entsprechenden Verzichts eine mündliche Verhandlung hätte durchführen müssen (§ 90 Abs. 1 und 2 FGO), Verletzung der Pflicht zur Aufforderung, die Klage zu ergänzen (§ 65 Abs. 2 FGO), Außerachtlassung der Amtsaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO), der Prozeßförderungspflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) sowie des Verbots von Überraschungsentscheidungen. Er meint, das FG betreibe Rechtsverweigerung und habe kein faires Verfahren durchgeführt.
Der Kläger begehrt Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen entsprechend dem im FG-Verfahren gestellten Klageantrag.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ist der Revision entgegen getreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Sie war daher durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1. Der Senat ist durch die Zulassung der Revision aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Vorentscheidung nicht gehindert, über die vorliegende unzulässige Revision zu entscheiden. Die unzulässig eingelegte zulassungsfreie Revision wird, wie der Bundesfinanzhof (BFH) im Beschluß vom 12. April 1991 III R 181/90 (BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638) ausführt, weder durch die bezeichnete Zulassung der Revision noch durch eine etwa nach der Zulassung eingelegte Revision zulässig (ebenso BFH-Beschlüsse vom 13. Juli 1995 III R 187/94, BFH/NV 1996, 151; vom 25. März 1993 V R 100/92, BFH/NV 1994, 178; vom 10. März 1994 IX R 43/90, BFH/NV 1994, 813). Bei der mit dem Schriftsatz vom 1. Juni 1995 eingelegten "zulassungsfreie(n) Revision an den Bundesfinanzhof" geht es allein um die Frage, ob diese eingelegte Revision zulässig ist. Dieses Begehren ist nach eigenständigen Voraussetzungen (Frist, Darlegung und Gründe) im Verfahren nach § 116 Abs. 1 FGO zu bescheiden. Die Entscheidung ergeht zeitlich und sachlich unabhängig von der nach einer Zulassung eingelegten Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FGO).
a) Eine zulassungsfreie Revision ist -- abgesehen von der Sonderregelung für Zolltarifsachen (§ 116 Abs. 2 FGO) -- nur statthaft, wenn die in § 116 Abs. 1 FGO genannten wesentlichen Verfahrensmängel gerügt werden. Die Rügen müssen schlüssig sein. Aus ihnen muß sich ergeben, daß ein in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneter Verfahrensmangel vorhanden ist.
b) Der Kläger rügt in seiner Revisionsschrift keinen in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmangel. Aus der Revisionsbegründung ergibt sich weder ausdrücklich noch dem Sinne nach, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), daß bei der Entscheidung ein nicht dazu i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO befugter Richter mitgewirkt habe, daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO), daß das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen sei, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden seien (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO) oder daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Selbst wenn der Kläger sich auf einen der bezeichneten Verfahrensmängel hätte berufen wollen, erfüllt seine Revisionsbegründung nicht die Anforderungen an eine schlüssige Rüge eines solchen Mangels (vgl. zu den Anforderungen Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 116 FGO Tz. 23).
c) Vielmehr rügt der Kläger fehlerhafte Auslegung und Anwendung von § 64 Abs. 1 FGO und andere Verfahrensverstöße, die eine Zulassung der Revision weder nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO wegen nicht vorhandener Entscheidungsgründe (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Dezember 1994 I R 150/93, BFH/NV 1995, 984) noch nach einer anderen in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Fallgruppe rechtfertigen.
2. Da die Revision aus den vorstehend genannten Gründen (1.) nicht statthaft und somit unzulässig ist, und weil der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Revisionsschriftsatz mit vollem Namenszug unterschrieben hat, ist im vorliegenden Verfahren unerheblich, ob dessen Handzeichen die Anforderungen an eine schriftliche Einlegung des Rechtsmittels (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) erfüllt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Sie kann auch mit Rücksicht auf den Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde nicht anders lauten. In Fällen, in denen der Kläger neben der Nichtzulassungsbeschwerde eine Revision nach § 116 FGO einlegt (vgl. dazu statt aller Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 115 FGO Rz. 21 ff., m. w. N.), wird er bei derzeitiger Rechtslage (mindestens) mit den Kosten des erfolglos verfolgten Begehrens belastet. Er trägt somit auch Kosten, wenn die eingelegte Revision nach § 116 FGO erfolgreich ist und die Nichtzulassungsbeschwerde dadurch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig wird (vgl. dazu Tipke/Kruse, a. a. O., § 116 FGO Tz. 2 bis 4).
Fundstellen