Entscheidungsstichwort (Thema)
Nebeneinander von § 165 Abs. 2 und § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO? Sonderabschreibung nach § 4 FördG; fehlerhafte Rechtsanwendung
Leitsatz (NV)
1. Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Finanzbehörde die ESt für das Streitjahr vorläufig festgesetzt hat, selbst dann nicht, wenn das die Ungewissheit beseitigende Ereignis (§ 165 Abs. 2 AO) zugleich steuerrechtlich zurückwirkt. Im Übrigen ergibt sich aus dem Einleitungssatz des § 172 Abs. 1 AO, dass ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig ergangen ist, noch geändert werden darf.
2. Die Beurteilung, ob der Grundsatz von Treu und Glauben zum Zuge kommt, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, so dass die Anwendung dieses Grundsatzes einzelfallbezogen und damit insoweit einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
3. Die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen nach § 4 FördG setzt neben der Erfüllung der Tatbestände der §§ 1 bis 3 FördG u.a. voraus, dass es zu einem Investitionsabschluss (§ 4 Abs. 1 Satz 2 FördG) gekommen ist und dass das betreffende Wirtschaftsgut auch angeschafft bzw. hergestellt wurde. Damit ist eine, wenn auch im betreffenden Jahr, aber vor der (begünstigten) Anschaffung oder Herstellung bzw. Baumaßnahme erfolgte Vermietung unerheblich für die Inanspruchnahme der Begünstigung.
4. Die unzutreffende Beweiswürdigung und die ihr zugrunde liegende Beweislastverteilung durch das FG ist revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen. Insofern auch, soweit die Kläger ihre eigene Wertung des Sachverhalts und ihre Rechtsansicht anstelle des FG setzen, rügen sie letztlich eine (vermeintlich) fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG, die allerdings die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen kann, zumal wenn eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung durch das FG nicht offensichtlich ist.
Normenkette
AO § 172 Abs. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 165 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; FördG §§ 1-4, 4 Abs. 1 S. 2; HGB § 255 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 26.04.2007; Aktenzeichen 8 K 1822/02) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein zunächst für vorläufig erklärter Steuerbescheid nach Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks aus dem Grund, der für die Vorläufigkeitserklärung maßgeblich war, noch nach den §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO) geändert werden kann, ist bereits geklärt; ihre Beantwortung ergibt sich im Übrigen aus dem Gesetz.
Dazu hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil die Finanzbehörde die Einkommensteuer für das Streitjahr vorläufig festgesetzt hat, selbst dann nicht, wenn das die Ungewissheit beseitigende Ereignis (§ 165 Abs. 2 AO) zugleich steuerrechtlich zurückwirkt (Urteil vom 10. Mai 2007 IX R 30/06, BFHE 217, 226, BStBl II 2007, 807). Im Übrigen ergibt sich aus dem Einleitungssatz des § 172 Abs. 1 AO, dass ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig ergangen ist, noch geändert werden darf (vgl. BFH-Urteil in BFHE 217, 226, BStBl II 2007, 807, unter II. 1. b bb). Im Streitfall war im Zeitpunkt der Änderung nach § 175 AO der betreffende Steuerbescheid nach Wegfall des Vorläufigkeitsvermerks nicht (mehr) vorläufig und konnte daher unter den (sonstigen) Voraussetzungen der §§ 172 ff., § 175 AO geändert werden.
Soweit sich die Kläger auf Vertrauensschutz berufen, ist nicht dargetan, welche schutzwürdigen Dispositionen sie im Vertrauen auf den von ihnen im Einspruchsverfahren erwirkten Wegfall des Vorläufigkeitsvermerks getroffen haben. Im Übrigen wäre der begehrte Vertrauensschutz nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, so dass er einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Februar 2006 I B 168/05, BFH/NV 2006, 1121; vom 21. April 1999 VII B 274/97, BFH/NV 1999, 1386, m.w.N.). Entsprechend ist auch eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) nicht erforderlich.
2. Ebenso ist eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) nicht erforderlich. Die gerügte Divergenz zur zitierten BFH-Rechtsprechung liegt nicht vor.
Nach der BFH-Rechtsprechung setzt die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen nach § 4 des Fördergebietsgesetzes (FördG) neben der Erfüllung der Tatbestände der §§ 1 bis 3 FördG u.a. voraus, dass es zu einem Investitionsabschluss (§ 4 Abs. 1 Satz 2 FördG) gekommen ist und dass das betreffende Wirtschaftsgut auch angeschafft bzw. hergestellt wurde (vgl. BFH-Urteile vom 29. Juni 2004 IX R 7/01, BFH/NV 2004, 1408; vom 20. April 2004 IX R 49/03, BFHE 206, 113, BStBl II 2004, 600, und IX R 48/03, BFH/NV 2004, 1255; vom 14. Januar 2004 IX R 33/03, BFHE 205, 84, BStBl II 2004, 750; vom 28. Juni 2002 IX R 51/01, BFHE 199, 388, BStBl II 2002, 758). Damit ist eine, wenn auch im betreffenden Jahr, aber vor der (begünstigten) Anschaffung oder Herstellung bzw. Baumaßnahme erfolgte Vermietung unerheblich für die Inanspruchnahme der Begünstigung. Eine Abweichung zum BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 1408, ist daher nicht gegeben.
Ebenso liegt eine Abweichung zu den BFH-Urteilen vom 22. Januar 2003 X R 20/01, BFH/NV 2003, 763, und X R 9/99, BFHE 201, 256, BStBl II 2003, 596, nicht vor. Vielmehr hat das Finanzgericht (FG) auf der Basis der von ihm zitierten Grundsatz-Entscheidungen des BFH vom 12. September 2001 IX R 39/97 (BFHE 198, 74, BStBl II 2003, 569), IX R 52/00 (BFHE 198, 85, BStBl II 2003, 574) und vom 20. August 2002 IX R 98/00 (BFHE 200, 231, BStBl II 2003, 604), auf die sich auch die vermeintlichen Divergenz-Urteile (s.o.) beziehen, entschieden. Es hat unter Berücksichtigung der Umstände des Streitfalles die Aufwendungen insgesamt als Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches) angesehen, weil das Wirtschaftsgut nach Beendigung des Mietverhältnisses entsprechend der von vornherein vorgesehenen Zweckbestimmung aufgrund der durchgeführten Baumaßnahmen (betriebsbereit) hergerichtet und genutzt werden sollte. Dabei hat es den (zumindest teilweisen) Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten erwogen, diese aber vor dem Hintergrund der Annahme von Anschaffungskosten abgelehnt.
Letztlich setzen die Kläger ihre eigene Wertung des Sachverhalts und Rechtsansicht anstelle des FG und rügen eine (vermeintliche) fehlerhafte Rechtsanwendung, die allerdings die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Dezember 2006 IX B 139/05, BFH/NV 2007, 1084). Dies gilt auch, soweit sie unter Hinweis auf einen Widerspruch zu ihrer Sachdarstellung eine (vermeintlich) unzutreffende Beweiswürdigung rügen, zumal eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung durch das FG nicht ersichtlich ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. November 2006 IX B 109/06, BFH/NV 2007, 680; vom 7. Dezember 2006 IX B 34/06, BFH/NV 2007, 715).
Fundstellen
Haufe-Index 2005671 |
BFH/NV 2008, 1297 |