Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmängel: Sachaufklärungspflicht von Amts wegen; Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten; rechtliches Gehör (Beginn der Errichtung eines Gebäudes für Zwecke der Option nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG 1993)
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG erfordert das Aufzeigen, weshalb sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
2. Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn die Würdigung des FG auch Gesichtspunkte enthält, die nicht vertieft erörtert wurden, diese aber für die Entscheidung nicht tragend sind.
Normenkette
UStG 1993 § 9 Abs. 2 S. 1, § 27 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) errichtete in den Jahren 1994 und 1995 ein Gebäude, das sowohl Wohnzwecken als auch gewerblichen Zwecken dient. Das Erdgeschoss sowie eine Garage, drei Stellplätze und drei Carports vermietete sie an ihren Ehemann, den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der dort eine Fahrschule betrieb; er führte damit sowohl steuerfreie (§ 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1993) als auch steuerpflichtige Umsätze aus. Die Klägerin verzichtete gemäß § 9 Abs. 1 und 2 UStG 1993 auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1993), versteuerte diese und brachte insbesondere die Vorsteuerbeträge aus den Baukosten in Abzug. Der Kläger nahm entsprechend aus den Mietkosten den Vorsteuerabzug vor.
Im Anschluss an eine Außenprüfung versagte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Vorsteuerabzug der Klägerin und des Klägers, setzte die Umsatzsteuer des Klägers für 1995 bis 1997 entsprechend höher fest und hob die Umsatzsteuerbescheide der Klägerin für 1994 bis 1998 auf. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger die gemieteten Räume und Stellplätze nicht ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, so dass die Option der Klägerin nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG 1993 i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2001) unzulässig gewesen sei; auf die Übergangsregelung nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 könne sich die Klägerin nicht berufen, weil mit der Errichtung des Gebäudes nicht vor dem 11. November 1993 begonnen worden sei.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) bejahte die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG 1993, weil der Kläger die Mietobjekte nicht ausschließlich für Umsätze verwendet habe, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen; eine Billigkeitsregelung, wie sie Abschn. 148a Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien vorsehe, finde im Gesetz keine Stütze, ein besonderes Billigkeits(vor-)verfahren habe nicht stattgefunden. Auch habe die Klägerin nicht dadurch mit der Errichtung des Gebäudes begonnen, dass sie vor dem 11. November 1993 für 100 DM Deckenteile gekauft habe, die später nur zu einem Teil für das Gebäude verwendet wurden; auch der Bezug von 12 Paletten Pflastersteinen für rund 800 DM vor dem Stichtag führe nicht zur Annahme des Beginns der Gebäudeerrichtung. Das FG ließ die Revision nicht zu.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde und rügen Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); sie führen insbesondere aus, das FG hätte den Sachverhalt im Zusammenhang mit den Deckenteilen ungenügend aufgeklärt, habe gegen § 96 FGO verstoßen und das rechtliche Gehör verletzt, weil seine Entscheidung in tragenden Teilen überraschend gewesen sei.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die gerügten Verfahrensmängel liegen weder vor noch könnte die Entscheidung des FG auf ihnen beruhen.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Wird als Verfahrensfehler die Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gerügt, so ist unter anderem aufzuzeigen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung oder Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag des anwaltlich vertretenen Beteiligten hätte aufdrängen müssen (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, 394; Senatsbeschluss vom 22. Februar 2006 V B 30/05, BFH/NV 2006, 1168). Daran fehlt es hier.
Die Kläger sind der Meinung, das FG hätte, wenn es seine Entscheidung auch darauf stütze, dass die Qualität der vor dem 11. November 1993 bezogenen Deckenteile fraglich gewesen sei und der Architekt diese möglicherweise deshalb nicht verwendet habe, hierzu ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Auch hätten die Gründe der Nichtverwendung gerade dieser Materialien weiter aufgeklärt werden müssen. Dabei übersehen die Kläger, dass das FG seine Entscheidung, mit dem Bezug der Deckenteile und der Pflastersteine habe die Klägerin nicht schon mit der Errichtung des Gebäudes begonnen, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 13. Februar 1998 V B 69/97, BFH/NV 1998, 1005) auf das Ergebnis einer tatsächlichen Gesamtwürdigung stützt, bei der die Überlegungen, dass die bezogenen Deckenteile später gar nicht verwendet wurden, nur eine geringe Rolle spielten. Tragend war vielmehr der Gedanke, dass die Klägerin angesichts des im Verhältnis zum Gesamtaufwand von 270 000 DM äußerst geringen finanziellen Volumens des beschafften Materials noch nicht mit der Errichtung des konkreten Gebäudes begonnen hatte, auch weil das Material --wie sich zeigte-- großteils dafür nicht verwendet wurde. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats. Es bestand für das FG auf der Grundlage seiner tragenden Rechtsauffassung daher kein Anlass, weiteren Sachverhalt aufzuklären.
2. Ein Verstoß gegen § 96 FGO ist nicht erkennbar; die tatsächliche und rechtliche Würdigung des FG widerspricht nicht dem Inhalt der Akten und auch nicht den protokollierten Ergebnissen des Erörterungstermins vom 16. August 2004 und der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2005.
3. Auch ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs ist nicht erkennbar; das FG hat wiederholt seine Rechtsauffassung zum Beginn der Gebäudeerrichtung dargetan (vgl. insbesondere die Niederschrift des Erörterungstermins vom 16. August 2004), so dass eine Überraschungsentscheidung nicht vorliegt. Dass das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung in nicht tragender Weise auch Gesichtspunkte heranzieht, die nicht vertieft erörtert wurden, führt nicht zu einer Überraschungsentscheidung. Abgesehen davon wurden die Fragen im Zusammenhang mit den Deckenteilen ausführlich erörtert, allen Beteiligten war klar, dass es hierauf für die Entscheidung zentral ankam.
Fundstellen