Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Begründung der NZB -- Divergenz und Verfahrensmängel
Leitsatz (NV)
1. Wird als Zulassungsgrund Divergenz geltend gemacht, so müssen abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und der Divergenzentscheidungen des BFH so genau aufgezeigt und gegenübergestellt werden, daß eine Abweichung erkennbar wird.
2. Wird ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO gerügt, bedarf es der Darlegung, daß der Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist oder warum dies nicht habe geschehen können.
3. Mit der Behauptung, das FG hätte aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes den Inhalt eines bestimmten Schreibens verwerten müssen (dessen konkreter Inhalt in der Beschwerdeschrift nicht angegeben wird), wird nicht dargelegt, das FG habe seiner Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrundegelegt und damit gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, 3 S. 3, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Über das Vermögen beider Gesellschaften wurde im Mai 1989 das Konkursverfahren eröffnet. Mit Haftungsbescheid vom ... hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) den Kläger wegen nicht vorangemeldeter und entrichteter Umsatzsteuer für die Monate März, Mai und Juni 1988 in Höhe von 15 000 DM als Haftungsschuldner nach den §§ 71 und 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch genommen. Der Haftungsbescheid beruht auf den Feststellungen einer Umsatzsteuersonderprüfung, nach denen der Kläger im Mai 1988 die damalige Buchhalterin schriftlich angewiesen hat, mehrere Rechnungen an die von der KG in den Monaten März, Mai und Juni 1988 belieferte Firma X & Y " ... aus der Umsatzsteuervoranmeldung herauszurechnen, damit auch erst mit der Meldung im Juli die Umsatzsteuer fällig wird ... ". Nach dem Zahlungseingang im August 1988 wurden die Umsätze nicht nachgemeldet, so daß eine Versteuerung der den Rechnungen zugrundeliegenden Umsätze nicht erfolgte.
Mit seiner nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger geltend, daß er nicht die Absicht gehabt habe, die Umsatzsteuer auf Dauer nicht zu entrichten. Das Unterlassen der Nachmeldung durch die von ihm schriftlich angewiesene Buchhalterin könne ihm nicht angelastet werden, da er sich auf die Nachmeldung auch ohne eine Überprüfung jeder einzelnen Maßnahme der vertrauenswürdigen und zuverlässigen Mitarbeiterin hätte verlassen dürfen. Außerdem sei die Inanspruchnahme nicht ermessensgerecht, da das FA seine intensiven Bemühungen um eine weitere Kapitalzuführung nicht berücksichtigt habe. Zu seinen Gunsten müsse die Tilgungsquote nach dem Grundsatz der anteiligen Haftung um mindestens 50 % reduziert werden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte aus, der Kläger habe mit direktem Vorsatz den Haftungstatbestand des § 71 AO 1977 i. V. m. § 370 Abs. 1 und 4 AO 1977 erfüllt, indem er bewußt und gewollt in Kenntnis seiner Pflicht und der Folgen der Vorausanmeldung die Buchhalterin angewiesen habe, Rechnungen an die Firma X & Y aus der Umsatzsteuervoranmeldung herauszurechnen, damit die Umsatzsteuer später fällig werde und dadurch bewirkt habe, daß die entsprechende Umsatzsteuer nicht rechtzeitig festgesetzt worden sei. Er könne sich auch nicht darauf berufen, daß die Nachmeldung durch die Buchhalterin nicht erfolgt sei, da er die Pflicht gehabt habe, sich durch Überwachung und Abstimmung von der tatsächlichen Anmeldung zu überzeugen. Auch komme eine nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 26. August 1992 VII R 50/91 (BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8) grundsätzlich anerkannte Beschränkung der Haftung nicht in Betracht, da der Kläger keine Tatsachen vorgetragen habe, aus denen auf die Annahme einer nur anteiligen Tilgung geschlossen werden könne. Für eine quotenmäßige Beschränkung der Haftung reiche der unsubstantiierte Vortrag, die Tilgungsquote sei um mindestens 50 % zu vermindern, nicht aus.
Mit der Beschwerde gegen das Urteil des FG begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wegen Verfahrensmängel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
Er macht geltend, daß sich das FG in Widerspruch zu den Urteilen des BFH in BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8, und vom 16. März 1993 VII R 89/90 (BFH/NV 1994, 359) gesetzt habe, da es davon ausgegangen sei, daß auch derjenige eine vollendete Umsatzsteuerhinterziehung begehe, der Umsatzsteuern nicht in dem Monat der Entstehung voranmelde, sondern in der Absicht handele, dies zwar noch innerhalb des Geschäftsjahres, jedoch erst nach tatsächlichem Zahlungszufluß anzumelden, und daß den zur Steueranmeldung Verpflichteten eine persönliche Pflicht ohne Exkulpationsmöglichkeit treffe, sich davon zu überzeugen, daß die in Frage stehenden Umsätze auch tatsächlich angemeldet und abgeführt würden. Die Abweichung vom Urteil des BFH in BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8 bestehe darin, daß das FG die Frage nach dem rechtzeitigen Alternativverhalten nicht gestellt habe, denn der Vorsatz des Klägers habe nicht die dauerhafte Hinterziehung der geschuldeten Umsatzsteuern und nicht den Umstand erfaßt, daß die Buchhalterin das Nachholen der Anmeldung unterlassen habe.
Zur Begründung seiner Beschwerde macht der Kläger auch Verfahrensmängel geltend und trägt vor, daß das FG die Buchhalterin und den Steuerberater des Klägers nicht als Zeugen vernommen und entgegen dem Amtsermittlungsgrundsatz eine schriftliche Bestätigung des Steuerberaters und ein Schreiben der Firma X & Y nicht berücksichtigt habe. Der Inhalt der Bestätigung habe belegen können, daß der KG ein Betrag in Höhe von 400 000 DM habe zufließen sollen, mit dem sämtliche Steuerschulden hätten getilgt werden können. Daraus hätte sich ergeben, daß beim Kläger kein auf ein nachhaltiges Hinterziehen gerichteter Vorsatz vorgelegen habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Die behauptete Divergenz liegt nicht vor, und das Urteil des FG beruht nicht auf den geltend gemachten Verfahrensmängeln.
1. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die Beschwerdebegründung den formellen Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht und ob die Divergenz schlüssig dargelegt ist.
Wird als Zulassungsgrund Divergenz geltend gemacht, so müssen in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und der Divergenzentscheidungen des BFH so genau bezeichnet werden, daß eine Abweichung erkennbar wird (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Eine schlüssige Divergenzrüge erfordert, daß der Beschwerdeführer die (vermeintlich) divergierenden Rechtssätze der Vorentscheidung und der BFH-Rechtsprechung herausarbeitet und gegenüberstellt (vgl. BFH-Beschluß vom 11. August 1993 II B 37/93, BFH/NV 1994, 251).
Es ist zweifelhaft, ob die Beschwerdeschrift diesen Anforderungen genügt. Zwar hat der Kläger aus dem erstinstanzlichen Urteil Rechtssätze abgeleitet, diese jedoch nicht in ausreichendem Maße anderen Rechtssätzen aus den angeführten BFH-Entscheidungen gegenübergestellt, so daß eine Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht erkennbar wird. Ohne abstrakte Rechtssätze herauszuarbeiten, führt der Kläger eine Reihe von BFH-Entscheidungen an und gibt teilweise deren Entscheidungsgründe wieder.
Es kann jedoch offenbleiben, ob der Vortrag des Klägers den formellen Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, da die Beschwerde unbegründet ist. Das angefochtene Urteil weicht nicht von den Urteilen des erkennenden Senats in BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8, und BFH/NV 1994, 359 ab.
Das FG hat in seinem Urteil keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der zu einem abstrakten Rechtssatz in den genannten BFH- Entscheidungen in Widerspruch steht. In diesen hat der erkennende Senat entschieden, daß sich der Umfang der Haftung eines Geschäftsführers einer GmbH für die von dieser geschuldeten und nicht an das FA entrichteten Umsatzsteuer danach bestimmt, inwieweit zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Ein solcher kann ganz fehlen, wenn mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens auch bei fristgerechter Abgabe der Steuererklärung die geschuldete Steuer nicht hätte beglichen werden können. Die für die Haftung nach § 69 AO 1977 entwickelten Grundsätze der anteiligen Haftung für die Umsatzsteuer können auch dann Anwendung finden, wenn der Geschäftsführer einer GmbH zugleich den Haftungstatbestand des § 71 AO 1977 verwirklicht hat. Beide Vorschriften haben Schadensersatzcharakter.
Diese Grundsätze, die ohne Rücksicht auf das Maß des Verschuldens die Haftung der Höhe nach -- und nicht wie der Kläger meint, dem Grunde nach -- beschränken, hat das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt und eine Beschränkung der Haftung aufgrund des unsubstantiierten Vortrags des Klägers abgelehnt. Die vom Kläger angeführten Urteile des erkennenden Senats enthalten hingegen keine tragenden rechtlichen Erwägungen zu der Frage, ob und in welchem Umfang bei der Prüfung des Haftungstatbestandes des § 71 i. V. m. § 370 AO 1977 der Umstand Berücksichtigung finden kann, daß der Haftungsschuldner die Umsatzsteuer auf Dauer oder nur für einen bestimmten Zeitraum nicht zu entrichten beabsichtigt. Deshalb konnte das FG bei seiner rechtlichen Beurteilung keinen von den Urteilen des erkennenden Senats abweichenden abstrakten Rechtssatz aufstellen.
2. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe entgegen eines Beweisangebotes die Buchhalterin und den Steuerberater des Klägers nicht als Zeugen vernommen, ist die Verfahrensrüge mangelnder Sachaufklärung nicht i. S. des § 115 Abs. 3 i. V. m. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO "bezeichnet".
Für die schlüssige Darlegung unterlassener Sachverhaltsermittlung (§ 76 Abs. 1 FGO) hätte es der Angabe bedurft, daß der Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist oder warum dies nicht habe geschehen können, denn das Übergehen eines Beweisantrages stellt einen verzichtbaren Verfahrensmangel dar, bei dem das Rügerecht durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verlorengeht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372, und vom 4. Oktober 1991 VII B 98/91, BFH/NV 1992, 603 m. w. N.). Diese Grundsätze treffen auch auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136).
3. Soweit sich der Kläger darauf beruft, das FG habe entscheidungserhebliche Tatsachen, die sich aus den beiden bei den Akten befindlichen Schriftstücken ergeben, nicht berücksichtigt, rügt er sinngemäß, daß das FG seiner Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe, und damit einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Hinsichtlich des Schreibens der Firma X & Y ist die Rüge unsubstantiiert, da weder der konkrete Inhalt des Schreibens noch die Auswirkungen auf die Streitsache näher erläutert werden. Der alleinige Vortrag, das FG hätte aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes den Inhalt des Schreibens verwerten müssen, stellt keine schlüssige Verfahrensrüge dar.
In bezug auf die schriftliche Bestätigung des Steuerberaters des Klägers ist die Verfahrensrüge unbegründet, da das Urteil des FG auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel nicht beruhen kann (vgl. § 115 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621, und Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 24 m. w. N.). Das FG braucht bestimmte Beweismittel nicht zu erheben, wenn es nach seiner Rechtsauffassung auf die mit diesen Beweismitteln nachzuweisenden Tatsachen nicht ankommt (vgl. BFH-Beschluß vom 26. März 1991 V B 158/90, BFH/NV 1995, 682).
Nach dem Vortrag des Klägers hätte eine beweisrechtliche Würdigung der schriftlichen Bestätigung ergeben, daß der KG ein Betrag von 400 000 DM zufließen sollte. Auf diesen Umstand kam es jedoch nach der Rechtsauffassung des FG nicht an. Nach Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts erfüllte der Kläger den Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977), indem er die Buchhalterin im Mai 1988 schriftlich anwies, die Rechnungen an die Firma X & Y in der Umsatzsteuervoranmeldung nicht zu berücksichtigen, und dadurch bewirkte, daß die Umsatzsteuer für die Monate März, Mai und Juni 1988 nicht rechtzeitig in der zutreffenden Höhe festgesetzt wurde. Dem FG kam es bei der rechtlichen Würdigung nicht darauf an, ob und inwieweit die nicht rechtzeitig angemeldeten Umsätze zu einem späteren Zeitpunkt erfaßt worden wären und ob der Kläger in seinem Vorsatz aufgenommen hatte, die Steuer zu einem späteren Zeitpunkt zu entrichten. Da somit keine Möglichkeit bestanden hat, daß das FG bei Berücksichtigung eines vermeintlich bevorstehenden Kapitalzuflusses anders entschieden hätte, beruht das Urteil nicht auf dem vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmangel.
Fundstellen
Haufe-Index 421216 |
BFH/NV 1996, 613 |