Entscheidungsstichwort (Thema)
Auf Verfahrensmangel gestützte Nichtzulassungsbeschwerde bei Umsatzsteuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung; vorübergehende Beherbergung von Asylanten
Leitsatz (NV)
1. Bei einer auf Verfahrensmangel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde ist der Zulassungsgrund vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG aus zu prüfen. Beruht das FG-Urteil auf der Auffassung, bei dem unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) ergangenen USt-Bescheid sei dessen Rechtmäßigkeit auf der Tatsachengrundlage zu prüfen, auf der ihn das Finanzamt erlassen habe, hat die Rüge unterlassener Sachaufklärung bezüglich des weiteren Sachverhalts keinen Erfolg. Ob die Rechtsauffassung des FG zutreffend ist, ist für die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblich.
2. Vermietet ein Beherbergungsunternehmer Räume an eine Gemeinde, die ihrerseits an Asylanten weitervermietet, ist die Frage, ob eine nur vorübergehende Beherbergung an die Asylanten vorliegt, beim Beherberungsunternehmer nicht zu prüfen. Ob dieser nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 steuerpflichtig vermietet, richtet sich nach den Umständen der Vermietung an die Gemeinde.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; UStG 1980 § 4 Nr. 12
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat zwar hinreichend dargelegt, welche Rechtsfrage er für grundsätzlich bedeutend und klärungsbedürftig hält, nämlich die Frage, ob und inwieweit ein Übergang von der zunächst umsatzsteuerpflichtigen Vermietung zu umsatzsteuerfreier Vermietung in Betracht komme, also ob und nach welchen Voraussetzungen die Änderung der maßgeblichen Absicht des Unternehmers beim Bereithalten der Räume möglich sei. Dazu habe der Bundesfinanzhof (BFH) in dem vom Finanzgericht (FG) angeführten Urteil noch nichts ausgesagt.
Diese Begründung kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen. Es fehlt an der Möglichkeit, die Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren gegen das Urteil des FG zu klären. Das FG hat in den Entscheidungsgründen unterstellt, daß Änderbarkeit der zunächst maßgebenden Absicht und damit ein Übergang von steuerpflichtiger zu steuerfreier Vermietung möglich ist. Es hat jedoch den festgestellten Sachverhalt dahingehend gewürdigt, daß den Maßnahmen des Klägers eine Änderung der Absicht, die Räume (zumindest auch) zur kurzfristigen Beherbergung bereitzuhalten, nicht zu entnehmen sei; die vom Kläger beschriebenen Umbaumaßnahmen seien kein Indiz für eine grundlegende Absichtsänderung; der für Asylanten genutzte Bereich sei von dem anderen Gebäudeteil im wesentlichen bereits vorher getrennt gewesen. An diese tatsächlichen Feststellungen des FG ist das Revisionsgericht gebunden. Die Würdigung des FG braucht nicht zwingend zu sein. Überdies ist nicht ersichtlich, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe durchgreifen, § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (vgl. dazu unter 3.).
2. Die vom Kläger geltend gemachte Abweichung des FG-Urteils vom Urteil des BFH vom 20. April 1988 X R 5/82 (BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795) führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Von dem Obersatz des BFH-Urteils, auf den sich der Kläger stützt (danach sind die Vermietungen insoweit steuerfrei, als der Unternehmer die Räume eindeutig und in leicht nachprüfbarer Weise zur nicht nur vorübergehenden Beherbergung von Fremden bereithält), weicht das FG nicht ab. Es beruft sich vielmehr ausdrücklich auf diesen Ausgangspunkt. Abweichend ist nur der Sachvortrag des Klägers selbst, auf den er sich als Abweichung beruft, nämlich daß er die entsprechenden räumlichen Gegebenheiten geschaffen habe. Das FG hat den Sachverhalt jedoch anders gewürdigt. Ob die Würdigung des FG richtig ist, ist im Hinblick auf die Zulassung unerheblich.
3. Auch die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel, auf denen das Urteil beruhe, führen nicht zur Zulassung der Revision.
a) Zur Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs führt der Kläger aus: Das FG habe in seinen Urteilsgründen erstmals erwähnt, daß es eine Aufklärung für nicht angebracht halte, weil der angefochtene Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sei und das FA den Steuerfall angeblich nicht abschließend geprüft habe. Zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt habe er in keiner Weise Stellung nehmen können. Wäre ihm rechtliches Gehör gewährt worden, hätte er darauf hingewiesen, daß er vorliegend die Vorbehaltsfestsetzung gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) aufgrund der Umstände des Falles für rechtswidrig halte und daß dieser keine Bedeutung zukommen könne. Bei entsprechender Gewährung rechtlichen Gehörs hätte das FG sicherlich eine entsprechende Sachverhaltsklärung vorgenommen, so daß die Entscheidung anders hätte ausfallen können.
Das Recht auf Gehör bezieht sich grundsätzlich auf Tatsachen und Beweisergebnisse jeder Art (vgl. z. B. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 96 FGO Tz. 22b). Die Erörterung rechtlicher Gesichtspunkte wird weder von § 96 Abs. 2 FGO noch von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verlangt. Ein Hinweis des Gerichts auf ein beabsichtigtes Abweichen von seiner bisherigen Rechtsprechung oder Rechtsmeinung zur Vermeidung sog. Überraschungsentscheidungen ist allerdings geboten. Im vorliegenden Fall hat das FG weitere Sachverhaltsaufklärungen bzw. die Erörterung der Beweisangebote des Klägers mit dem Hinweis abgelehnt, Gegenstand des Verfahrens sei ein Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung. Nach dem Vortrag des Klägers ist nicht ersichtlich, daß das FG mit dieser (auf § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gestützten) Rechtsauffassung von einer im Verfahren bereits vorgetragenen Rechtsmeinung abgewichen ist. Überdies muß dabei berücksichtigt werden, daß der Kläger offenbar den in den beiden Umsatzsteuerbescheiden 1985 enthaltenen Vorbehalt der Nachprüfung (obwohl beide Bescheide auf der vorhergegangenen Umsatzsteuersonderprüfung beruhten) und den in der Einspruchsentscheidung aufrechterhaltenen Vorbehalt der Nachprüfung nicht - was geboten gewesen wäre - im Rahmen des Einspruchs bzw. der Klage gegen die Einspruchsentscheidung (mit) angegriffen hat (vgl. z. B. Woerner / Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl. 1988, S. 61 f. mit Nachweisen).
b) Soweit der Kläger zusätzlich mangelnde Sachaufklärung wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch das FG (§ 76 FGO) geltend macht, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
Er trägt dazu vor, dem FG hätte es sich aufdrängen müssen, entsprechende Beweise hinsichtlich der nunmehrigen Raumeinteilung zu erheben. Er legt ferner dar, zu welchen Beweisthemen er welche Beweismittel im finanzgerichtlichen Verfahren angeboten hat.
Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen (BFH, Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621). Das FG ging - wie bereits ausgeführt - (auch) von der Rechtsauffassung aus, bei dem unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid sei dessen Rechtmäßigkeit nur auf der Tatsachengrundlage zu prüfen, auf der ihn der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erlassen habe. Eine weitergehende, umfassende Sachaufklärung durch das Gericht sei nicht angezeigt. Ob diese Rechtsauffassung zutreffend ist, ist für die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblich.
Da das FG-Urteil sich auch auf diese Begründung stützt, kommt eine Zulassung der Revision wegen Verfahrensmangels nicht im Hinblick auf die weitere Begründung des FG in Betracht, weder der Vortrag des Klägers noch der Inhalt der Akten lasse erwarten, daß durch Maßnahmen weiterer Sachaufklärung Umstände zutage treten könnten, aus denen klar und eindeutig eine geänderte Absicht des Klägers ableitbar wäre. Auch wenn darin ein Verfahrensmangel durch unzulässig vorweggenommene Beweiswürdigung läge, könnte dieser nicht (allein) entscheidungserheblich sein.
4. Nicht für die Zulassung der Revision berücksichtigen kann der Senat den (vom Kläger bei keinem seiner Zulassungsgründe angesprochenen) Gesichtspunkt, ob das Urteil des FG aus folgendem Grund von dem BFH-Urteil in BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795 abweicht: Die Feststellungen des FG gehen (übereinstimmend mit der Auffassung des FA) davon aus, daß der Kläger nicht direkt an die Asylanten, sondern an die Gemeinden die Räume zur Nutzung überläßt. Die Gemeinden ihrerseits überlassen dann die Räume an die Asylanten. Im vorbezeichneten Urteil unter 1. d) hat der BFH ausgeführt, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes könnten auch dann vorliegen, wenn der Unternehmer die Räume längerfristig an einen anderen Unternehmer vermiete, der wiederum in den Räumen seine Geschäftsfreunde nur vorübergehend beherberge. Da es entscheidend auf die Vereinbarung mit diesem Mieter ankomme, sei es unerheblich, wie lange dessen Geschäftsfreunde in den Räumen untergebracht würden. Feststellungen und rechtliche Erörterungen der maßgeblichen Gesamtumstände im Hinblick auf diese entscheidungserhebliche Frage enthält das Urteil nicht. Der Umstand, daß das FG möglicherweise unzutreffend entschieden hat, fällt jedoch unter keinen Revisionszulassungsgrund.
Fundstellen