Leitsatz (amtlich)
Im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren kann der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO nicht allein mit der Begründung begehrt werden, daß sich der Freibetrag, dessen Eintragung auf der Lohnsteuerkarte erstrebt wird, anderenfalls beim Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber nicht mehr auswirken würde.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute, die beide in einem Dienstverhältnis stehen. Am 29. Juli 1974 beantragten sie beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA), auf ihren Lohnsteuerkarten als Freibetrag jeweils einen Teilbetrag eines Verlustes von 36 016 DM aus Vermietung und Verpachtung einzutragen, der ihnen durch ihre noch im Bau befindliche Eigentumswohnung, die von einer Baubetreuungsgesellschaft erstellt wurde, entstanden waren. Das FA lehnte die Eintragung ab, weil das Gebäude noch nicht fertiggestellt und weil eine Eintragung nur im Zusammenhang mit erhöhten Absetzungen möglich sei (§ 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1974). Nach erfolglosem Einspruch erhoben die Antragsteller Klage und beantragten den Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Das FG lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unbegründet ab. Es führte u. a. aus: Eine einstweilige Anordnung zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO setze einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Im vorliegenden Falle fehle es an einem Anordnungsgrund, da wesentliche Nachteile der in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO genannten Art weder glaubhaft gemacht noch vorgetragen seien. Die bloße Zahlung oder Einbehaltung eines Steuerbetrages, der später - falls sich der Vortrag und die rechtliche Beurteilung der Antragsteller als richtig herausstellen - im Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei der Veranlagung zur Einkommensteuer zu erstatten ist, reiche nicht aus. Besondere Umstände, die wesentliche Nachteile zur Folge haben könnten, z. B. die Beeinträchtigung der Finanzierung des Bauobjekts, seien nicht zu erkennen.
Mit der Beschwerde beantragen die Antragsteller, das FA durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, bis zur Entscheidung über die Klage auf den Lohnsteuerkarten 1974 der Antragsteller jeweils einen weiteren Freibetrag von 18 008 DM vorläufig einzutragen. Zur Begründung tragen sie u. a. vor: Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes werde von anderen Gerichten regelmäßig bejaht (z. B. Entscheidung des BFH vom 28. Januar 1972 VI B 22/71, Der Betriebs-Berater 1972 S. 784; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 40 EStG Anm. 3 und die dort angeführten FG-Entscheidungen). Neben der Abwendung wesentlicher Nachteile seien in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO auch "andere Gründe" genannt, die eine einstweilige Regelung nötig erscheinen lassen könnten. Ein solcher anderer Antragsgrund ergebe sich aus der Verzögerung der steuerlichen Berücksichtigung des Freibetrages. Daneben bestehe ein selbständiger Anordnungsgrund nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO, da die Gefahr bestehe, daß durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt werden könnte. Denn das Recht auf eine richtige Bemessung des Lohnsteuerabzugs könne nur dann verwirklicht werden, wenn der entsprechende Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte zu einem Zeitpunkt eingetragen werde, in dem er sich noch auf den Lohnsteuerabzug auswirken könne. Die Arbeitgeber könnten nach § 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich in der Fassung vom 16. März 1971 nur noch bis zum 31. März 1975 Freibeträge berücksichtigen. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung sei die einzige prozessuale Möglichkeit, das Ziel überhaupt zu erreichen, da selbst im Falle des Obsiegens im Hauptprozeß der Anspruch auf verminderten Lohnsteuerabzug mit Sicherheit durch Zeitablauf vereitelt sein würde. Das Recht der Antragsteller auf Eintragung folge aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe für die beantragte Anordnung auch für die Zeit nach dem 31. März des Folgejahres.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist in der Hauptsache erledigt.
Aus § 3 Abs. 3 JAV (BGBl I 1971, 195, BStBl I 1971, 170) ergibt sich, daß der Arbeitgeber einen Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1974 spätestens im Monat März 1975 (d. h. bei der Lohnzahlung für den letzten Lohnzahlungszeitraum, der im Monat März 1975 endete) durchführen durfte. Nur bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich daher ein auf den Lohnsteuerkarten der Eheleute eingetragener Freibertrag noch auf den vom Arbeitgeber vorzunehmenden Lohnsteuerabzug auswirken. Nach diesem Zeitpunkt kann ein Rechtsschutzinteresse der Eheleute an einer sachlichen Entscheidung über die Beschwerde nicht mehr anerkannt werden. Zwar bleibt für spätere Jahre das Interesse der Eheleute an der Klärung der Frage, ob ein Verlust aus Vermietung und Verpachtung eintragungsfähig ist, bestehen. Diese Klärung kann aber im Hauptsacheverfahren erfolgen. Dazu bedarf es jedenfalls nicht einer Entscheidung im Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Der Senat hatte hiernach lediglich noch nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden; hierbei war der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen (§ 138 Abs. 1 FGO). Die Prüfung ergibt folgendes:
Der Senat tritt der Vorinstanz darin bei, daß die Antragsteller einen Anordnungsgrund i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO weder glaubhaft gemacht noch vorgetragen haben. Aus der Tatsache allein, daß ohne Ergehen einer einstweiligen Anordnung die Verluste nicht schon beim Lohnsteuerabzug, sondern erst bei einer späteren Veranlagung zur Einkommensteuer geltend gemacht werden könnten, kann ein wesentlicher Nachteil i. S. der Vorschrift des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht hergeleitet werden. Zur Entscheidung steht nicht, ob eine steuerliche Berücksichtigung überhaupt möglich ist oder nicht, sondern lediglich die Frage, zu welchem Zeitpunkt die steuerliche Auswirkung eintritt. Es handelte sich also, wenn die Antragsteller tatsächlich den Ausgang des Klageverfahrens abwarten würden, lediglich um einen Zinsverlust. Zutreffend hat aber bereits das FG darauf hingewiesen, daß es sich hierbei um eine in der Eigenart der Einkommensteuererhebung liegende Auswirkung handelt. Sowohl der Steuerpflichtige als auch die öffentliche Hand müssen in Kauf nehmen, daß Steuern nachzuzahlen oder zu erstatten sind. Ein über den Zinsverlust hinausgehender Nachteil ist von den Antragstellern aber selbst nicht im einzelnen dargetan worden. Der Hinweis der Antragsteller, daß die Entscheidung auch für spätere Kalenderjahre Bedeutung habe, stellt ebenfalls keinen Anordnungsgrund dar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsgrund etwa dann bejaht werden könnte, wenn im Hauptsacheverfahren für ein früheres Kalenderjahr die Eintragungsfähigkeit des Verlustes festgestellt worden wäre und das FA in einem späteren Kalenderjahr trotzdem erneut die Eintragung verweigert; denn ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, da eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren bisher nicht ergangen ist.
Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann der Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch "aus anderen Gründen nötig" erscheinen. Das Gesetz sagt nicht ausdrücklich, um welche Art von Gründen es sich dabei handeln kann. Jedoch werden diese anderen Gründe im Zusammenhang mit der Abwendung wesentlicher Nachteile oder der Verhinderung drohender Gewalt genannt. Daraus ist zu folgern, daß andere Gründe nur dann beachtlich sind, wenn sie ihrer Art und ihrem Gewicht nach diesen Voraussetzungen in etwa entsprechen. Das ist indessen, wie dargelegt, hier nicht der Fall. Soweit sich aus dem nicht amtlich veröffentlichten Beschluß des Senats VI B 22/71 etwas anderes ergeben sollte, hält der Senat hieran nicht fest.
Zutreffend weisen die Antragsteller darauf hin, daß nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO eine einstweilige Anordnung auch dann getroffen werden kann, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Die Voraussetzungen für eine solche Sicherungsanordnung liegen jedoch entgegen der Ansicht der Antragsteller ebenfalls nicht vor. Als Recht, dessen Verwirklichung vereitelt oder erschwert werden könnte, käme lediglich die steuerliche Berücksichtigung der von den Antragstellern behaupteten Verluste überhaupt, nicht aber der Zeitpunkt, zu dem bei der Entrichtung der Steuer die Berücksichtigung erfolgt, in Betracht. Die Berücksichtigung der behaupteten Verluste überhaupt ist in keiner Weise gefährdet, da sie bei der Veranlagung der Eheleute zur Einkommensteuer erfolgen kann und keine Gefahr besteht, daß der Fiskus eine etwa zuviel entrichtete Vorauszahlung (in Form der einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge) nicht wieder erstatten könnte. Eine Auslegung, wie sie die Antragsteller erstreben, würde das Verfahren der einstweiligen Anordnung allgemein für die Eintragung von Freibeträgen auf der Lohnsteuerkarte (wie übrigens auch für die Herabsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen) eröffnen; denn in beiden Fällen würde, wenn die Entscheidung des FA über einen Antrag des Steuerpflichtigen sich verzögert oder erst in einem Rechtsbehelfsverfahren getroffen wird, eine Berücksichtigung der begehrten Steuerermäßigung in dem vom Steuerpflichtigen erstrebten Zeitpunkt unwiderbringlich nicht mehr möglich sein. Der Auffassung der Antragsteller kann daher nicht beigetreten werden. Das Verfahren der einstweiligen Anordnung muß auf fest umgrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Der Senat gelangt hiernach auch für die Auslegung der Vorschrift des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO zu dem Ergebnis, daß ein dem Steuerpflichtigen drohender Zinsverlust, der auf verzögerter Berücksichtigung geltend gemachter Freibeträge im Lohnsteuerabzugsverfahren beruht, für sich allein nicht den Erlaß einer einstweiligen Anordnung begründen kann.
Auf die Frage, ob der Verlust der Antragsteller aus Vermietung und Verpachtung als Freibetrag auf ihren Lohnsteuerkarten eingetragen werden kann, war hiernach nicht mehr einzugehen.
Das FG hat somit den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die Kosten der Beschwerde waren daher den Antragstellern aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 71117 |
BStBl II 1975, 717 |
BFHE 1976, 106 |