Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache
Leitsatz (NV)
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung hat zu unterbleiben, wenn der Steuerpflichtige bei einer auf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide gestützten Aussetzung der Vollziehung im Rahmen zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) und ihr verstorbener Ehemann waren Kommanditisten der X-GmbH & Co. KG (KG); sie wurden für die Streitjahre zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Die KG beantragte im Februar 1975 die Eröffnung des Konkursverfahrens. Dieser Antrag wurde abgelehnt, weil eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse nicht vorhanden war. Die KG erklärte für das Jahr 1974 einen Verlust in Höhe von 1 224 082 DM, der der Antragstellerin und ihrem Ehemann je zur Hälfte zugerechnet wurde. Dadurch ergaben sich für diese negative Kapitalkonten von je 438 874 DM.
Das Finanzamt (FA) stellte den Verlust im Gewinnfeststellungsbescheid 1974 entsprechend der eingereichten Erklärung fest.
Für das Jahr 1975 erklärte die KG einen Verlust aus Gewerbebetrieb von 190 391 DM. Durch geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 1975 stellte das FA Veräußerungsgewinne von 438 649 DM für deren Ehemann fest. Den Gesamtgewinn der KG stellte es auf 687 121 DM fest. Im Januar 1983 erließ das FA gegen die Antragstellerin und ihren Ehemann geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1975 bis 1979.
Die Antragstellerin und ihr Ehemann haben gegen den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 1975 und gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1979 nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben.
Das Finanzgericht (FG) hat die Vollziehung des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids 1975 hinsichtlich der strittigen Veräußerungsgewinne ausgesetzt. Das FA hat daraufhin die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1979 hinsichtlich eines Betrages von insgesamt 513 891,95 DM gegen Anordnung einer Sicherheitsleistung von 500 000 DM ausgesetzt. Auf die Beschwerde gegen die Verfügung vom 12. April 1985 hat das FA die Anordnung der Sicherheitsleistung aufgehoben. Nachdem das FA erfahren hatte, daß der Ehemann der Antragstellerin seine Beteiligung an der X-GmbH & Co. KG veräußert hatte, verfügte das FA am 11. Februar 1986 erneut die Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung; zuvor hatte der Ehemann der Antragstellerin die erbetene Auskunft über den Verbleib des Veräußerungserlöses verweigert.
Gegen den Verwaltungsakt vom 11. Februar 1986 haben die Antragstellerin und ihr Ehemann Beschwerde eingelegt und zugleich beim FG beantragt, die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1979 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen. Das FG hat dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung der rückständigen Einkommensteuern und Kirchensteuern 1975 bis 1979 ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt. Es hat die Beschwerde gegen seinen Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i. V. m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen.
Das FA hat Beschwerde eingelegt, mit der es geltend macht, das FG habe zu Unrecht die Vollziehung für die gesamten rückständigen Einkommen- und Kirchensteuerbeträge 1975 bis 1979 ausgesetzt. Eine Vollziehungsaussetzung sei nur insofern gerechtfertigt, als die Vollziehung des Grundlagenbescheids (Gewinnfeststellung 1975) wegen der strittigen Veräußerungsgewinne von insgesamt 877 513 DM ausgesetzt worden sei. Bei zutreffender Berechnung seien für die Jahre 1975 bis 1978 nur Teilbeträge in Höhe von insgesamt 444 307,04 DM (statt der vom FG insgesamt ausgesetzten 513 801,95 DM) auszusetzen; für das Jahr 1979 seien keine Steuerbeträge auszusetzen.
Das FA hat mit der Beschwerde beantragt, den angefochtenen Beschluß des FG aufzuheben und Einkommensteuer- und Kirchensteuerbeträge wie folgt gegen Sicherheitsleistung auszusetzen:
. . .
insgesamt 444 307,04 DM.
Die Antragstellerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Am 6. Januar 1989 hat das FA auf Antrag der Antragstellerin einen Aufteilungsbescheid für die Steuerschulden der Streitjahre erlassen. Nach dem Inhalt dieses Bescheids entfallen von den rückständigen Steuerbeträgen 0 DM auf die Antragstellerin und 513 801,95 DM auf den am 16. Oktober 1988 verstorbenen Ehemann der Antragstellerin.
Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 1990 hat das FA den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt und angeregt, die Gerichtskosten dem FA und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragstellerin hat sich der Erledigungserklärung des FA angeschlossen und beantragt, die Kosten des Verfahrens dem FA aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, hat der Senat nur noch über die Kosten des gesamten Verfahrens zu entscheiden. Er hat diese Entscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen (§ 138 Abs. 1 FGO). Dabei ist der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses zu berücksichtigen. Einer eingehenden Prüfung der Sach- und Rechslage bedarf es für die Kostenentscheidung nicht (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Oktober 1985 VII B 59/85, BFHE 144, 511, BStBl II 1986, 101). Der Grundsatz der Billigkeit gebietet, auch Erwägungen darüber anzustellen, ob bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse Anlaß zur Anrufung des Gerichts gegeben war. Ist der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits ungewiß, entspricht es grundsätzlich billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen. Bei der Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO ist auch der Rechtsgedanke des § 137 FGO zu beachten.
Im Streitfall hält es der erkennende Senat bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage für angemessen, die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA aufzuerlegen.
1. Der Senat teilt allerdings nicht die Ansicht des FG, daß die Anordnung einer Sicherheitsleistung für die auszusetzenden Steuerbeträge schon deshalb nicht in Betracht komme, weil im Verfahren der Hauptsache (Klageverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1975) mit großer Wahrscheinlichkeit ein für die Antragstellerin und ihren Ehemann günstiger Prozeßausgang zu erwarten sei. Zwar kann das Verlangen nach einer Sicherheitsleistung im Hinblick auf den möglichen Prozeßausgang ungerechtfertigt sein. Eine Sicherheitsleistung ist jedoch erst dann unzumutbar, wenn das Übergewicht der günstigen Prozeßaussichten so stark ist, daß nur noch geringe Zweifel am Obsiegen des Steuerpflichtigen bestehen. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben. Das FG hat die Ansicht vertreten, das FA sei nach Treu und Glauben gehindert gewesen, für die Antragstellerin und ihren Ehemann im Rahmen der Gewinnfeststellung 1975 Veräußerungsgewinne in Höhe ihrer negativen Kapitalkonten bei der KG festzustellen. Der BFH hat demgegenüber in seinem Urteil vom 11. Februar 1988 IV R 19/87 (BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825), das zu einem dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt ergangen ist, entschieden, daß die Korrektur einer im Vorjahr unzutreffend durchgeführten Gewinnverteilung im Folgejahr erfolgswirksam nachzuholen ist, wenn die fehlerhafte Gewinnfeststellung des Vorjahres nicht mehr geändert werden kann (ebenso bereits BFH-Urteil vom 8. März 1973 IV R 77/72, BFHE 108, 540, BStBl II 1973, 398). Der Senat kann offenlassen, ob er dieser Rechtsprechung folgen könnte. Jedenfalls kann unter Berücksichtigung der BFH-Rechtsprechung nicht davon ausgegangen werden, daß die Antragstellerin mit ihrem Obsiegen im Klageverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1975 bei Nichterledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache mit großer Wahrscheinlichkeit hätte rechnen können.
2. Bei einer Fortführung des Beschwerdeverfahrens wäre das FA voraussichtlich mit seinem Begehren, die Vollziehung der streitigen Steuerbeträge nur gegen Sicherheitsleistung auszusetzen, unterlegen.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 FGO kann auch die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden (BFH-Beschluß vom 22. Dezember 1969 V B 115-116/69, BFHE 97, 240, BStBl II 1970, 127). Eine diesbezügliche Gefahr kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bestehen (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1975 V R 6, 8-10/75, BFHE 117, 14, BStBl II 1976, 53). Andererseits hat die an sich im Hinblick auf die Vermeidung von Steuerausfällen gebotene Anordnung einer Sicherheitsleistung zu unterbleiben, wenn bei einer auf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide gestützten Aussetzung der Vollziehung der Steuerpflichtige im Rahmen zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten (Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Rz. 164 ff.; Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 69 FGO Tz. 13). Im Streitfall hat die Antragstellerin glaubhaft vorgetragen, daß sie zur Sicherheitsleistung außerstande ist. Aus ihrer im Prozeßkostenhilfeverfahren eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt sich, daß sie über keinerlei Vermögen verfügt. Das FG hat deshalb im Ergebnis zu Recht davon abgesehen, die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung der Antragstellerin abhängig zu machen.
3. Soweit das FA mit der Beschwerde geltend macht, das FG habe zu Unrecht die gesamten rückständigen Einkommen- und Kirchensteuerbeträge für die Streitjahre ausgesetzt, hätte es voraussichtlich bei einer Fortführung des Verfahrens im Beschwerdeverfahren obsiegt. Auch insoweit hält es der Senat jedoch für angemessen, die Kosten des Verfahrens dem FA aufzuerlegen.
Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, daß eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide als Folgebescheid nur insoweit gerechtfertigt war, als das FA die Vollziehung des Grundlagenbescheids (Gewinnfeststellung 1975) ausgesetzt hat. Das FA hat im Beschwerdeverfahren erstmals eine Berechnung der auszusetzenden Einkommensteuer- und Kirchensteuerbeträge vorgelegt. Aus dieser Berechnung ergibt sich, daß der im Jahr 1974 erzielte Verlust aus Gewerbebetrieb, soweit er bei der Einkommensteuerveranlagung 1974 nicht ausgeglichen werden konnte (§ 10 d des Einkommensteuergesetzes - EStG -), unter Berücksichtigung der gebotenen Aussetzung der Vollziehung des Gewinns aus der Auflösung der negativen Kapitalkonten im Jahr 1975 nur eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer 1978 in Höhe von 55 154 DM rechtfertigt und daß für das Jahr 1979 eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommen- und Kirchensteuer entfällt. Die Antragstellerin hat gegen diese Berechnung des FA keine Einwendungen erhoben.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin war das FA nicht gehindert, erstmals im Beschwerdeverfahren Einwendungen gegen die Höhe der vom FG ausgesetzten Beträge vorzutragen. Im Beschwerdeverfahren ist - anders als im Revisionsverfahren - eine Erweiterung des Rechtsmittelantrags grundsätzlich zulässig, da der BFH als Beschwerdegericht nicht auf eine Nachprüfung der Vorentscheidung in rechtlicher Hinsicht beschränkt ist und neuen Tatsachenvortrag der Beteiligten berücksichtigen muß (§ 155 FGO i. V. m. § 570 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Änderungen der erstinstanzlichen Anträge sind im Beschwerdeverfahren allerdings dann unzulässig, wenn sie den Streitgegenstand wesentlich verändern. Bei der Anordnung einer Sicherheitsleistung handelt es sich jedoch nicht um einen selbständigen Streitgegenstand, sondern nur um eine unselbständige Nebenbestimmung der Vollziehungsaussetzung (BFH-Beschluß vom 20. Juni 1979 IV B 20/79, BFHE 128, 306, BStBl II 1979, 666). Obwohl das FA bei einer sachlichen Entscheidung über die Beschwerde voraussichtlich hinsichtlich der Höhe der auszusetzenden Beträge zum Teil obsiegt hätte, entspricht es billigem Ermessen, dem FA auch insoweit die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil diese Kosten hätten vermieden werden können, wenn das FA im finanzgerichtlichen Verfahren seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen wäre (§ 137 FGO). Zwar war das FG verpflichtet, von Amts wegen die auszusetzenden Beträge zu errechnen. Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, daß das FA schon vor der Anrufung des FG die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1979 in Höhe der gesamten rückständigen Steuerbeträge ausgesetzt hatte. Im finanzgerichtlichen Verfahren hat es dem Begehren der Antragstellerin, die Aussetzung dieser Beträge ohne Sicherheitsleistung zu verfügen, nur insoweit widersprochen, als es die Auflage einer Sicherheitsleistung für geboten erachtete. Einwendungen gegen die Höhe der von der Antragstellerin begehrten und vom FG verfügten Aussetzung der Vollziehung hat es erstmals mit der Beschwerdeschrift vorgetragen und im Schriftsatz vom 5. Februar 1987 substantiiert. Hätte das FA bereits im Verfahren vor dem FG eine Berechnung der auszusetzenden Beträge vorgelegt und beantragt, die Vollziehungsaussetzung auf diese Beträge zu begrenzen, hätte das FG voraussichtlich diesem Antrag entsprochen.
Fundstellen
Haufe-Index 417958 |
BFH/NV 1992, 688 |